Lydia Davis: "Samuel Johnson ist ungehalten"

Viel Leben in kurzen Geschichten

Cover: Lydia Davis "Samuel Johnson ist ungehalten" - vor Hintergrund einer Zeichnung einer Frau und eines Manns mit Sprechblasen
Ewiger Streit: In Lydia Davis' "Samuel Johnson ist ungehalten" geht es auch um Beziehungsprobleme. © Imago-Zeichnung / Cover Droschl-Verlag
Von Manuela Reichart |
Es sind gesammelte ältere Erzählungen der hochverehrten amerikanischen Erzählerin Lydia Davis, die der Literaturverlag Droschl hier vorlegt. Es sind Stories über die Zumutun­gen des Lebens, der Liebe und nicht zuletzt der Sprache.
Die amerikanische Autorin Lydia Davis ist eine Meisterin der Kurz- und Kürzest-Geschichten. Die Zumutungen des Lebens, der Liebe und nicht zuletzt der Sprache stehen im Zentrum dieser intelligenten und ziemlich komischen Erzählungen.
"Wir kennen nur vier langweilige Leute. Alle übrigen Freunde finden wir interessant. Aber die meisten Freunde, die wir interessant finden, finden uns langweilig; die Interessantesten finden uns am allerlangweiligsten." So beginnt die erste Geschichte dieses Bandes, in der das soziale Drama eines Ehepaares in nur acht Zeilen deutlich wird.

Drei Zeilen für die Ehe-Trostlosigkeit

Wie selbstbewusst, wie spannend tritt man der Welt gegenüber? Wer ist mit wem befreundet und warum? Immer wieder werden in diesem - mit 16 Jahren Verspätung endlich auch bei uns erschienen – Band Paare und ihr Alltag blitzlichtartig beleuchtet: Da sind zwei aufs Land gezogen und ertragen dort weder die Mäuse noch die quakenden Frösche. Sie begreifen, dass sie Stadtmenschen sind, aber "es gibt keine angenehmen Städte zum Leben." Oder das Sehnsuchtsdrama eines alternden Paares: Sie schlafen in getrennten Zimmern; sie träumt davon, ihn in den Armen zu halten, er jedoch träumt vom Essen mit dem Dramatiker Ben Jonson. Lydia Davis braucht nur drei Zeilen für diese Ehe-Trostlosigkeit, und sie gibt dieser Kürzestgeschichte den Titel: "Fast schon vorbei: getrennte Schlafzimmer".
Ihre Motive findet die Autorin im Alltag, im Leben mit Kindern, mit den Nachbarn oder den Begegnungen mit Handwerkern. Aber es geht – wie immer bei Lydia Davis – auch um die Zumutungen der Sprache. In dem "Brief an einen Bestattungsunternehmer" schreibt sie etwa empört über den Begriff der "Kremage", der ihr eine ungeheuerliche Beleidigung und Dummheit zugleich ist.

Moderne Dramen auf wenigen Zeilen

Dass Lydia Davis nicht nur witzig, gekonnt, pointenreich und intelligent moderne Dramen und Stimmungen auf wenigen Zeilen entwerfen kann, sondern auch ein historisch verbürgtes Leben in seiner Essenz erfasst, das beweist sie in einer längeren Erzählung über Marie Curie. Lydia Davis spürt darin der Leidenschaft und Genialität dieser Wissenschaftlerin nach, beschreibt ihren Mut und den Widerstand ihrer Kollegen. Ein ganzes Leben in kurzen Abschnitten. Klug recherchiert, einfühlsam beschrieben.
Lydia Davis, die selbst auch aus dem Französischen übersetzt, ist eine femme de lettres der besonderen Art. Sie hat einen eigenen Ton, eine eigene Form gefunden: keine Literatur für Bestseller-Leserinnen, kein "pageturner", sondern ein Buch für Langsamleser, das auf jeder Seite ein enormes Lektüre-Vergnügen macht.

Lydia Davis, "Samuel Johnson ist ungehalten. Stories"
aus dem Amerikanischen von Klaus Hoffer
Literaturverlag Droschl, Graz – Wien 2017
216 Seiten, 22 Euro

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