Michael Steinbrecher, Günther Rager (Hg.): "Meinung Macht Manipulation. Journalismus auf dem Prüfstand"
Westend-Verlag
240 Seiten, 18 Euro
Warum die "vierte Säule" unserer Demokratie wankt
Was ist dran am "Lügenpresse"-Vorwurf? In einem Sammelband setzen sich jetzt junge Journalisten selbstkritisch mit der Vertrauenskrise zwischen Journalisten und Publikum auseinander. "Ein erfrischend ehrlicher Einblick", so unsere Rezensentin.
Die klassischen Medien haben ihr Deutungs- und Informationsmonopol längst verloren. In Zeiten des digitalen Wandels stehen sie in scharfer Konkurrenz zu den Sozialen Medien und einer Flut frei und oftmals kostenlos verfügbarer Informationen. Sinkende Umsätze im Printbereich beschleunigen den Personalabbau in den Redaktionen, worunter nicht selten die Qualität der Berichterstattung leidet. Auch deshalb misstrauen immer mehr Menschen den Medien.
Sie fühlen sich ungenügend informiert oder sogar planvoll manipuliert. Begriffe wie "Fake News" und "Lügenpresse" gehören mittlerweile zum allgemeinen Sprachgebrauch. Die sogenannte "vierte Säule" unserer Demokratie ist nicht nur bedroht, sie wankt.
Auf der Suche nach den Gründen für das Misstrauen
Vor diesem Hintergrund melden sich nun vierzehn Studierende und Absolventen des Instituts für Journalistik der Technischen Universität Dortmund - allesamt mit redaktioneller Erfahrung - zu Wort.
Ihr Buch "Macht Meinung Manipulation – Journalismus auf dem Prüfstand" ist Ergebnis einer Lehrveranstaltung mit dem TV-Moderator Michael Steinbrecher und dem Journalistik-Professor Günther Rager, die beide auch das Buch herausgeben. Es kreist um Stärken und Schwächen des Berufes in einer digitalen Welt und die Ursachen für das Misstrauen vieler Menschen. In der Einleitung schreiben die Herausgeber:
"Spätestens seit Beginn des Ukraine-Konflikts wurde sichtbar, dass in weiten Teilen der Bevölkerung andere Positionen vertreten werden als von Politikern und den traditionellen Medien. Waren die Medien zu einseitig in ihrer Berichterstattung? Wurde von fast allen suggeriert, man wisse, wer auf dem Majdan zu unterstützen sei? Müssen wir nicht rückblickend konstatieren, dass bis heute niemand genau weiß, was auf dem Majdan wirklich vorgegangen ist?"
Die Gründe, heute Journalist zu sein
In ihren Beiträgen geht es den Autoren hauptsächlich um drei Fragen: Was bedeutet es heute, junger Journalist zu sein? Ist der Vorwurf der "Lügenpresse" begründet? Und wie können die journalistische Qualität gesteigert und das Misstrauen abgebaut werden? Zur Motivation junger Journalisten heißt es bei der freien Journalistin Elisabeth Thobe:
"Wer sich heute für den Journalismus entscheidet, wählt diesen Weg nicht wegen des Prestiges, das diesen Beruf einmal umgeben haben muss. Mit dem Ansehen eines Journalisten gewinnt man schon längst keinen Blumentopf mehr. Er wählt ihn beileibe auch nicht wegen des üppigen Gehalts. Wer sich dafür entscheidet, Journalist zu werden, tut das, weil dieser Beruf auch Berufung ist. Weil man daran glaubt, mit Wissen und Information etwas verändern zu können. Weil man davon überzeugt ist, dass unsere Gesellschaft eine unabhängige Kontrollinstanz braucht. Und weil es Dinge gibt in dieser Welt, die es wert sind, der Öffentlichkeit ins Bewusstsein gebracht zu werden."
Haben ältere Kollegen die Chancen der Digitalisierung vertan?
Elisabeth Thobe übt zugleich harte Kritik. Die älteren Kollegen seien zu selbstherrlich mit ihrer Verantwortung für die Gesellschaft umgegangen. Anstatt die Digitalisierung als Chance zu begreifen, hätten die meisten Chefredakteure sie verschlafen und die Sozialen Medien unqualifizierten Akteuren überlassen.
Der Hörfunk-Moderator Julian Beyer erinnert daran, dass ein wichtiges Kontrollinstrument immer mehr verschwinde: die professionelle Medienkritik innerhalb der Medien selbst. Stattdessen gebe es sogenannte "wachsame Laien", die Druck ausübten. Beyer schätzt deren Arbeit ausdrücklich:
"Im Internet hat sich in den vergangenen Jahren eine wachsende Schar kritischer Beobachter formiert, die sich deutlich von Schmäh- und Hasskritikern unterscheidet. (…) Sie schreiben keine affektgesteuerten Leserkommentare, sondern überprüfen die Fakten durch eigene Recherchen und zerlegen die Argumentation der professionellen Journalisten."
Ausführlich setzen sich die jungen Journalisten mit dem Begriff "Lügenpresse" auseinander. Er wird zurückgewiesen, während der nicht minder harte Vorwurf der "Lückenpresse" auf ein gewisses Verständnis stößt. Informationen seien nämlich nicht bewusst verfälscht, aber eben auch nicht in ihrer Gesamtheit dargestellt worden.
"Rudeljournalismus" befördert die Skepsis des Publikums
Der oft zu hörende Vorwurf, Medien würden zentral gesteuert, wird ebenfalls auf den Prüfstand gestellt. Er gehe auf mehrere Faktoren zurück: auf die geringe Zahl an Nachrichtenagenturen, mit denen die meisten Medien zusammenarbeiten; auf die reale Gefahr des Rudeljournalismus durch Orientierung an Journalistenkollegen und auf das ausgedünnte Netz an Auslandskorrespondenten.
Doch auf welchen Wegen kann der Journalismus aus der Glaubwürdigkeitsfalle herauskommen? Die Redakteurin Marieluise Dennecke fordert eine Kultur der Transparenz in den Redaktionen. Ein offener Journalismus sei nötig, eine neue Fehlerkultur. Die Leser sollten mit einbezogen und nicht belächelt werden. Außerdem wünscht sie sich ein Schulfach namens "Medien und Internetkompetenz".
Alle Autoren stimmen überein: Persönliche Haltungen sind unabdingbar, dürfen aber nicht zur Vermischung von Kommentar und Nachricht führen. Die Werte Andersdenkender müssen stärker respektiert werden, selbst dann, wenn sie dem eigenen Weltbild schroff zuwider laufen.
Das Buch bietet einen erfrischend ehrlichen Einblick in die Köpfe junger Journalisten und wendet sich an Mediennutzer wie Medienmacher gleichermaßen. Es nimmt durch seine klare Sprache und die selbstkritische Grundhaltung für sich ein. Zwar sind nicht alle Beiträge frei von Klischees und Denkschablonen, aber zumindest werden die Probleme einer konsensorientierten Berichterstattung klar benannt.
So bleibt am Ende die Erkenntnis: Die vierte Säule unserer Demokratie mag wanken, doch sie steht noch.