Von wegen Alleskönner Spargel!
Wenn es auf deutschen Tischen ein Wundermittel schlechthin geben muss, dann ist das der Spargel. Das behaupten zumindest Ernährungsberater und Medien. Tatsächlich aber kann Spargel nichts - außer schmecken, meint unser Lebensmittelchemiker Udo Pollmer.
Die Hymnen auf den Spargel werden von Jahr zu Jahr euphorischer. Was den Amerikanern ihre "Polypill", also jene magische Tablette, ist, die gegen alle Krankheiten dieser Welt hilft, das ist den Deutschen ihr Spargel: "Spargel – der Alleskönner" lese ich auf einer beliebigen Website, die wie viele andere auch Gesundheitsversprechen als Geschäftsmodell betreibt.
Ganz vorne an steht wie immer das willentliche Verkleinern des eigenen Körpers, der Versuch mittels einer Diät, sprich mit quälendem Hunger, seine äußeren Konturen an die Konfektionsgrößen der Modeindustrie anzupassen. Beim Spargel geht das wie von selbst. Der löst nämlich keinen Frust, sondern Abnehmbegeisterung aus. Abnehmbegeisterte, lese ich, "können bei Spargel … zuschlagen bis zum Abwinken". Denn: "Kalorien sucht man im Spargel nahezu vergeblich". Stimmt. Der Nährwert entspricht tatsächlich dem Inhalt einer Seifenblase oder einer Website über gesunde Ernährung. Doch heute ist alles, was ohne jeden Nährwert ist, offenbar zu Höherem berufen.
Brauchbare Untersuchungen gibt es nicht
Unweigerlich wird der Spargel an die Krebsfront abkommandiert und darf sogar bei Alzheimer für positive Effekte sorgen. Brauchbare Untersuchungen gibt es nicht, es existieren lediglich ein paar Experimente mit Zellkulturen in Reagenzgläsern. Als sich zeigte, dass Krebszellen in alkoholischem Spargelextrakt den Alkohol abbauen, war die nächste Wunderwirkung geboren: Spargel hilft bei Kater. Allerdings waren im Reagenzglas nicht Spargelspitzen wirksam, sondern das ungenießbare Laubwerk der Pflanze.
Unter den unzähligen unsinnigen Claims gibt es gerademal einen, der eine gewisse therapeutische Tradition aufweisen kann. Früher wurde Spargel manchmal zur Durchspülung bei entzündlichen Erkrankungen der… Harnwege verwendet – meist als Teeaufguss von Spargelpulver. Doch Vorsicht: Wer's mit der Niere oder dem Herzen hat, insbesondere Entzündungen derselben, sollte, so die Pharmakologen, lieber die Finger von diesem Entzündungshemmer lassen. Da frage ich mich doch, dürfen diese Patienten noch regelmäßig Spargel essen?
Dabei gäbe es schmackhaftere und nützlichere Getränke, die Harndrang hervorrufen, als Kannen voll Tee mit fragwürdigem Spargelpulver. Auch echter Bohnenkaffee wirkt harntreibend, senkt das Nierensteinrisiko und beugt noch dazu dem Leberkrebs vor. Doch die harntreibende Wirkung brachte ihm den Ruf ein, "Wasserräuber" zu sein. Wenn's schmeckt, gräbt das Getränk dem Körper das Wasser ab, schmeckt es nicht, spült es die Niere. So einfach können Ernährungstipps sein.
Ein wenig harntreibend
Ja, ein wenig harntreibend ist der Spargel – und das war's denn auch. Allerdings enthält er in seinen Wurzeln und Blättern weitere Wirkstoffe. Noch mehr davon finden sich in seiner Wildform. Inzwischen wird auch der wilde Spargel eifrig gesammelt und gegessen, weil natürlich und damit noch gesünder. Der bekannteste Inhaltsstoff ist wohl das Diosgenin. Dieses Steroid ist der wichtigste Ausgangsstoff zur Herstellung zahlreicher Hormone, insbesondere der Antibabypille.
Da liegen hormonelle Folgen nicht fern. Im Tierversuch lässt wilder Spargel die Fortpflanzungsorgane von Rattenweibchen wachsen. Bei Milchvieh sorgt er für mehr Milch. Verabreicht man den Wurzelextrakt an trächtige Ratten, so kommt es zu Missbildungen. In der schönen neuen Welt der Aufklärung heißt es dann: "Spargel – ideal für Schwangere". Und dann kaufen die Kunden ganz bewusst den teuren Wildspargel, weil das ursprünglichere Naturprodukt noch idealer sein muss.
Es hatte offenbar gute Gründe, dass wir die Wildform zu einer Nutzpflanze umgezüchtet haben, um so die Gehalte an unerwünschten Wirkstoffen zu senken. Nicht umsonst essen wir vom Kulturspargel traditionell nur jene Teile, die praktisch frei von Wunderstoffen sind. Ein guter Spargel kann nichts – außer schmecken. Ein Gemüse ist um so bekömmlicher und vorteilhafter, je langweiliger seine Pharmakologie ist. Sonst wäre es eine Heilpflanze – und die gehört nicht auf den Teller, sondern in die Apotheke. Mahlzeit!
Literatur
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