Margaret Atwood: "Hexensaat"

Shakespeare neu erzählt

Margaret Atwoods Roman "Hexensaat". Im Hintergrund: Sonnenaufgang am Ontariosee.
Margaret Atwoods Roman "Hexensaat". Im Hintergrund: Sonnenaufgang am Ontariosee. © imago/All Canada Photos
Von Edelgard Abenstein |
Der Leiter eines berühmten Theaterfestivals steht im Mittelpunkt des Romans "Hexensaat" von Margaret Atwood. Nachdem er durch eine Intrige gefeuert wurde, benutzt er das Theater als Waffe. Die kanadische Erfolgsautorin erzählt Shakespeares Alterswerk "Der Sturm" ganz neu.
Ihr Erfolgsroman "Der Report der Magd" aus dem Jahre 1985, in dem eine fundamentalistische Gruppe in den USA die Macht übernommen hat, steht neuerdings wieder in den Bestsellerlisten. Soeben wurde er auch für eine TV-Serie adaptiert. Doch Margaret Atwood, die immer wieder als Kandidatin für den Literaturnobelpreis gehandelt wird, denkt sich nicht nur Horrorvisionen aus. Eigentlich ist ihre Spezialität die komische Anarchie, in jedem Übel spürt sie sein Gegenteil auf, mit Humor und viel Sarkasmus.
So auch in ihrem jüngsten Roman "Hexensaat", in dem sie Shakespeares Alterswerk "Der Sturm" ganz neu erzählt, jenes Stück über den Zauberer Prospero, der als Herzog von Mailand ins Exil gejagt wurde, wo er auf wundersame Weise den Widersachern von einst wieder begegnet. Dabei spiegelt Atwood die Handlung des Stückes über erlittenes Unrecht geschickt in der um einen rachgierigen Regisseur von heute.
Felix ist der exzentrische Leiter eines berühmten Theaterfestivals am Ontariosee. Sein engster Mitarbeiter Tony intrigiert und sorgt dafür, dass er kurz vor der Premiere des "Sturm" gefeuert wird. Nach Jahren des Nichtstuns sinnt der geschasste Star der Branche auf Rache, er klügelt einen raffinierten Plan aus, Tony, der inzwischen zum Minister aufgestiegen ist, zu Fall zu bringen. Dafür setzt er das Theater als Waffe ein. Inkognito übernimmt er einen Weiterbildungskurs für Gefängnishäftlinge.

Burleske Handlung im Gefängnis

Unter dem Vorwand, ihnen Lesen und Schreiben beizubringen, studiert er mit ihnen Shakespeare ein. Nachdem mit großem Erfolg Julius Cäsar, Macbeth und Richard III. aufgeführt wurden, steht jetzt der Sturm auf dem Spielplan. In den "Killerstücken" erfassten seine Schüler sofort die zentralen Themen, "denn auf ihre Art waren sie darin Experten". Nicht ganz so ohne Weiteres erkennen sie Machtkämpfe, Verrat, Verbrechen als Angelpunkt auch in diesem romantischen Märchen.
Seinen Reiz bezieht der Roman aus dem doppelten Spiel. Da ist der naive Blick der harten Jungs auf das verwirrende Personal aus Herzögen und Zauberern, die Welt der Geister, Trolle, Sturmgebraus, die sie gnadenlos auf den Boden der Tatsachen holen, was Atwood, neben einer klugen Shakespeare-Exegese, auch immer wieder Gelegenheit für jede Menge an Slapsticks liefert.
Da wird der elegische Erinnerungsmonolog des Prospero im Handstreich von seinem Widersacher übernommen und als Rap aufgeführt. Szenendieb, empört sich der Regisseur und muss doch nachgeben im Dienste seines Racheplans. Denn der Besuch von Tony, dem jetzigen Kulturminister, zur Premiere steht bevor.

Nur Schimpfwörter aus dem Stück verwenden

Doch nach und nach entpuppt sich die burleske Handlung im Gefängnis als Schwachpunkt des Romans. Was zunächst ein amüsanter Einfall ist - die Häftlinge werden dazu angehalten, statt der gewohnten Schimpfwörter nur die aus dem Stück zu verwenden - wird zunehmend enervierend. Wie überhaupt die gesamte Schauspieltruppe kaum Gesicht gewinnt, zumal Atwood die einzelnen Figuren auf je einen Charakterzug stutzt, wie sie in der Inszenierung gebraucht werden. Fahrt nimmt das Geschehen erst wieder gegen Schluss auf, der in einen grandiosen Theatercoup mündet.
Atwood zeigt zwar keinen Shakespeare reloaded aus dem Globe Theatre, in dem gesoffen, geraucht und gepöbelt wurde. Aber alles in allem ist "Hexensaat" doch eine hübsche Variante auf das Theater und seine Wirkungsmacht.

Margaret Atwood: "Hexensaat"
Aus dem kanadischen Englisch von Brigitte Heinrich
Knaus-Verlag, München 2017, 320 Seiten, 19,99 Euro

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