Marie-Luisa Frick: "Zivilisiert streiten"

Konflikte gehören zur Demokratie

"Zivilisiert streiten"
Marie-Luisa Frick: "Zivilisiert streiten" © picture-alliance/dpa/Foto: Rainer Jensen/reclam Verlag
Von Arno Orzessek |
Die Philosophin Marie-Luisa Frick hat ein wichtiges Buch über die Streitkultur in der Demokratie geschrieben. Ihre frohe Botschaft lautet: Demokratie funktioniert auch ohne Einigkeit – solange man sich über die Demokratie als solche einig ist.
Soviel vorab: Zivilisiert streiten erteilt keine Ratschläge, wie sich der nervige rhetorische Krawall in den Talks-Shows mindern ließe. Das wäre die Aufgabe eines Anstands-Büchleins. Die Philosophin Marie-Luisa Frick skizziert vielmehr grundlegende Richtlinien zur Austragung von Konflikten in der Demokratie.
Für sie gehören Konflikte "wesenhaft zum Politischen" und müssen keineswegs in Konsens münden. Im Gegenteil. Frick kritisiert deliberative Modelle à la Jürgen Habermas, die den Konsens idealisieren, der durch Austausch rationaler Argumente in gewaltfreier Unterredung erzielt werden soll. Laut Frick droht das die Demokratie auszuhöhlen. Wenn nämlich Konsens-Idealisten eine Position für unvernünftig erklären, steht sie nicht mehr zur Debatte.

Es darf "Gegner", aber keine "Feinde" geben

Frick dagegen ermuntert zu "agonistischen Konflikten", in denen es stets "Gegner", jedoch keine "Feinde" gibt, jedenfalls solange alle Beteiligten den verfassungsmäßigen Rahmen als Arena ihres Streits anerkennen. Dass Demokraten die Demokratie selbst abschaffen wollen könnten, erwägt Frick durchaus. Sie hält es aber für undemokratisch: Die Entscheidung würde künftige Generationen betreffen, ohne dass sie mitentscheiden könnten.
Laut Frick müssen politische Konflikte weder im Konsens aufgelöst, noch überhaupt gelöst werden. Denn ohne gegenseitige Bevormundung sei unter gleichermaßen souveränen Bürgern ohnehin stets mit unvereinbaren Interessen zu rechnen. Es reiche aus, diese vorläufig zu befrieden, in der Regel durch Mehrheitsentscheidungen, die den geschützten Minderheiten die Möglichkeit einräumen, auf die Revision der Entscheidung hinzuarbeiten.

Verweise auf "Tatsachen" sind autoritär

Vorübergehend mag der Streit ruhen, der Konflikt aber existiert durchaus weiter – für Frick ist das lebendige Demokratie. Im übrigen rät sie davon ab, Entscheidungen an wissenschaftliche Experten zu delegieren, nicht zuletzt, weil sie den autoritären Verweis auf "Tatsachen" für problematisch hält.
Frick argumentiert meistens abstrakt, hält aber die Zeitgeschichte im Auge. "Populismus" etwa ist für sie im heutigen Sprachgebrauch bloß abwertender "Jargon" und kein neutraler Begriff. Zöge man einen solchen heran, wäre Populismus als politische Position zu diskutieren, deren Vertreter sich gegen die Entpolitisierung zentraler gesellschaftlicher Fragen wehren (Angela Merkels einsame Entscheidung in der Flüchtlingspolitik ließe sich als eine solche Entpolitisierung verstehen).

Lust auf demokratische Konflikte

Auch in puncto Political Correctness (PC) und der Kritik an ihr dringt Frick auf Differenzierung. Wer jeden, erst recht moralischen Einwand gegen gängigen Sprachgebrauch als verabscheuenswürdige PC geißelt, handele unreflektiert. Wer umgekehrt mittels PC missliebige Stimmen zu eliminieren versuche, verstoße gegen das basale Aufklärungsprinzip, dass nichts und niemand über Kritik erhaben sei.
Am Ende verkündet Frick: "Das Ideal zivilisierter Gegnerschaft ist eine Haltung, die jeder Einzelne einnehmen und einüben kann." Und tatsächlich schürt das kluge Buch die Lust auf demokratische Konflikte, die diesem Ideal folgen. Die frohe Botschaft lautet: Demokratie funktioniert auch ohne Einigkeit, solange man sich über die Demokratie als solche einig ist.

Marie-Luisa Frick: Zivilisiert streiten. Zur Ethik der politischen Gegnerschaft
Reclam, Ditzingen 2017
94 Seiten, 6,00 Euro

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