"Menschen beim Sterben zu helfen, ist durchaus eine menschliche Tätigkeit"
Der Dignitate-Vize-Chef und Berliner Arzt Uwe-Christian Arnold hat den Wunsch seiner Sterbehilfe-Organisation nach einem Präzedenzfall in Deutschland bekräftigt. Über einen möglichen Patienten sagte Arnold: "Es müsste schon jemand sein, der relativ krank ist, und dem man nicht nachsagen kann, dass er nicht das aus freien Stücken getan hat."
Matthias Hanselmann: Schönen guten Tag, Uwe-Christian Arnold, Arzt und Vertreter des Deutschen Sterbehilfevereins Dignitate. Guten Tag, Herr Arnold!
Uwe-Christian Arnold: Guten Tag!
Hanselmann: Wie weit sind Sie mit den Vorbereitungen für den Präzedenzfall? Haben Sie bereits einen Arzt und einen Sterbewilligen gefunden?
Arnold: Den Arzt hatten wir schon lange vorher, bevor wir das vorbereitet haben, und einen Sterbewilligen haben wir bisher nicht. Wir werden das im nächsten Jahr in aller Ruhe in Angriff nehmen, wir müssen dabei aber ein paar Dinge berücksichtigen.
Hanselmann: Welche Dinge?
Arnold: Erst mal muss die Person natürlich bereit sein, da mitzumachen. Wenn man den Wunsch zum Sterben hat, findet man so ein Rummel darum nicht so interessant. Wir müssen versuchen, das möglichst erträglich zu machen, und es müssen auch die äußeren Bedingungen stimmen. Es müsste schon jemand sein, der relativ krank ist, und dem man nicht nachsagen kann, dass er nicht das aus freien Stücken getan hat.
Hanselmann: Wie wollen Sie denn diesen Präzedenzfall dann schaffen? Wie soll das konkret vonstatten gehen? Sie haben ja sicherlich ganz klare Pläne?
Arnold: Ein Arzt wird diesen Patienten aufsuchen. Er wird ihm, und deshalb ergibt sich auch die Verzögerung des Termins, er wird ihn natürlich kennenlernen. Wir werden dort mehrere Monate verstreichen lassen müssen. Er muss den Patienten ja kennen, der Wunsch muss mehrfach geäußert sein, wir brauchen Atteste von Hausärzten, und wir brauchen wahrscheinlich auch einen juristischen Beistand, der uns über die Urteilsfähigkeit des Patienten ein Attest gibt.
Hanselmann: Ihr Vorgehen, Ihr Vorhaben sind äußerst umstritten. Wenn wir jetzt hier miteinander sprechen, dann ist das emotional unglaublich aufgeladen, das ist mir völlig klar. Ich möchte Sie aber mal als Arzt fragen: Wie kann ein Mediziner es mit dem eigenen Auftrag und Gewissen vereinbaren, einem Menschen dabei zu helfen, sich zu töten?
Arnold: Wissen Sie, Mediziner sind ja nicht alle gleich, sie machen ja unterschiedliche Dinge. Wenn Sie sehen, ein Frauenarzt, der Schwangerschaftsabbrüche macht, der bewegt sich auf einem ganz anderen Parkett als der Hausarzt, der Grippe behandelt. Und das Gleiche ist auch am Lebensende. Ich denke einfach, dass es Ärzte geben muss, die am Lebensende helfen. Wie sie helfen, das ist eine andere Sache. So, wie es am Anfang des Lebens einen Geburtshelfer gibt, muss es auch einen Sterbehelfer geben. Und Sie fragten nach meiner Ethik in meinem Verständnis meines Berufes. Und da muss ich sagen, das Genfer Weltärztegelöbnis verpflichtet mich auf verschiedene Dinge. Aber es steht dort zweimal drin, dass ich mich im Dienste der Menschlichkeit verschreibe, dass ich also meine Tätigkeit im Sinne der Menschlichkeit ausführe. Und ich denke, Menschen beim Sterben zu helfen und auch zum Sterben zu helfen, ist durchaus eine menschliche Tätigkeit.
Hanselmann: Warum wollen Sie dann aber diesen Präzedenzfall schaffen?
Arnold: Es hat bereits einige interessante Urteile beim Bundesgerichtshof gegeben, sodass man sagen könnte, wir brauchen diesen Fall gar nicht mehr. Aber es doch unklar, was genau passiert, wenn es konsequent vorbereitet wird, und wir wissen eben nicht ganz, was mit dem Arzt passiert bei dem Fall Wittich, wo ein Arzt genau das getan hat, der ist nämlich bei der Patientin geblieben, die sterben wollte, es kein Approbationsentzug beantragt worden von der zuständigen Ärztekammer. Also die Frage ist, wie, wenn das offiziell gemacht wird, verhalten sich die gegnerischen Positionen.
Hanselmann: Es steht zu erwarten, dass dieser Fall, wenn er eintrifft, vor Gericht geht, und das wollen Sie ja sicher auch provozieren, oder?
Arnold: Könnte sein, es könnte aber auch sein, dass der Staatsanwalt Ermittlungen aufnimmt und dann die Ermittlungen einstellt, weil ja keine Straftat vorgelegen hat. Wenn der Staatsanwalt wegen der Garantpflicht, also der Pflicht des Arztes oder eines Angehörigen, Ermittlungen ergreift, ist zu fragen, ob wirklich wegen dieses Paragrafen eine Verurteilung stattfindet, wenn man sich vorher von dem Betroffenen diese Erklärung abtreten lässt sozusagen.
Hanselmann: Na, ich denke, die Rechtslage ist so, dass es als unterlassene Hilfeleistung gewertet wird, wenn ein Arzt einen Menschen sich selbst töten lässt und dabei ist.
Arnold: Das ist eben die große Frage. Es hat ja einen Fall gegeben, wo das genau nicht passiert ist, unter besonderen Umständen.
Hanselmann: Ich möchte jetzt nicht über Einzelfälle reden, sondern über die Gesetzeslage. Die ist doch aber so noch vorhanden?
Arnold: Noch gibt es diesen Paragrafen 323, ein Strafgesetzbuch-Paragraf, der genau das umschreibt. Und ansonsten ist der Arzt nur standesrechtlich bedroht, er soll eben zum Sterben nicht helfen, die Ärzteschaft sagt, ihr Ärzte dürft beim Sterben und im Sterben helfen, aber nicht zum Sterben helfen, da kann man nun darüber diskutieren, was diese Feinunterschiede eigentlich sagen.
Hanselmann: Und solches würden Sie dann auch zur Verteidigung Ihres Arztes vor Gericht vorbringen?
Arnold: Genau, wir würden diesen Arzt verteidigen, würden ihn unterstützen, und mehr als ein standesgerichtliches Verfahren droht ihm ja nicht, und da wir einen pensionierten Arzt genommen haben, ist für den das letzten Endes nicht interessant, eine Strafe im Gefängnis oder so etwas droht ihm sowieso nicht.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit Uwe-Christan Arnold, er ist Arzt und Repräsentant des Deutschen Sterbehilfevereins Dignitate. Nehmen wir doch mal an, Ihre Methoden seien legal. Wie soll dann verhindert werden, dass die Sterbehilfe auch von anderen, ich sage mal, Firmen betrieben wird als einträgliches Geschäft mit dem Tod?
Arnold: Wir wollen ja Rechtssicherheit für den Arzt haben, der sich dafür zur Verfügung stellt auch in Zukunft. Es heißt also, es müsste gar keine Organisation mehr geben, sondern die Ärzte haben Rechtssicherheit. Sie wissen, sie können das, wenn sie das tun wollen, und damit würde sich das verteilen. Das heißt, es würde gar keine Organisation mehr notwendig sein, die damit irgendwelche fragwürdigen Geschäfte macht. Selbstverständlich ist es die Aufgabe des Vereins, in Zukunft auch solche Ärzte zum Beispiel zu sammeln, sie zu schulen. Aber wir müssen nicht unbedingt nur zentral von diesem Verein aus Sterbebegleitungen anbieten und vielleicht sogar damit Geld verdienen, was wir sowieso nicht vorhaben.
Hanselmann: Dennoch, im Moment ist es so, Ihre Kritiker und Gegner halten Ihnen vor, dass Sie Werbung betreiben für eine kommerzielle Organisation, dass Sie am Tod Ihrer Klienten kräftig verdienen. Dignitas in der Schweiz und Dignitate hier in Deutschland sind doch kommerzielle Unternehmen, oder? Ein begleiteter Selbstmord soll um die 5000 Euro kosten?
Arnold: Also der begleitete Suizid in der Schweiz kostet diese Summe, in Deutschland haben so was nicht, damit können wir auch kein Geld verdienen. Sollten wir in Deutschland das tun, dann haben wir vor, dies aus unseren Mitgliedsbeiträgen, also Kosten, die beim Arzt entstehen, Reisekosten usw., Medikamentenkosten, die aus den Beiträgen natürlich zu nehmen. Und in der Schweiz ist es natürlich kommerziell insofern, als dass eben Kosten auch hier anfallen, aber all die großen Kosten, die immer genannt werden, sind Mietkosten, Telefonkosten, Arzthonorarkosten, Kremationskosten. Das ist kein Geschäft, sondern es sind einfach Kosten, die auch in Deutschland anfallen würden in einem Sterbefall. Andere Organisationen verdienen daran Geld, also alles kostet sein Geld. Es gibt nichts umsonst, leider auch nicht den Tod.
Hanselmann: Nun habe ich gelesen, dass die Dignitate Deutschland, also Sie, ihre finanziellen Verhältnisse nicht offenlegen.
Arnold: Da haben Sie was Falsches gelesen, wir hatten im vorigen Jahr eine Mitgliederversammlung, dort wurde unsere Bilanz öffentlich vorgestellt. Jedes Mitglied kann einsehen, wie und was wir für Gelder haben und was wir ausgeben.
Hanselmann: Ich möchte noch mal zur moralischen Seite der Sterbehilfe zurückkommen. Können Sie sich vorstellen, dass Menschen sich selbst töten wollen, aber eigentlich nur mehr Hilfe brauchen, um die verbleibende Lebenszeit würdevoll zu verbringen?
Arnold: Das ist sicherlich der Fall. Es ist die Zahl der potenziellen Menschen, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen, wird sehr klein sein. Internationale Vergleiche in den Ländern, wo es möglich ist, Schweiz und Oregon am besten, sind es verschwindende Zahlen im 0,0-Prozent-Bereich. Das wird keine Volksbewegung werden, sondern es werden – einige wenige Menschen haben diesen Wunsch, und all die anderen, die Sie ansprachen, da finde ich es ja nun gar nicht schlecht, wenn die sich zum Beispiel auch uns wenden, denn sie scheinen ja niemanden anders zu haben, an den sie sich wenden können, sie wissen ja nicht, wie sie an die Palliativmedizin, an die Hospize, an die Schmerzkliniken rankommen, und da können wir gerne helfen, das tun wir auch.
Hanselmann: Der Rechtsausschuss des Bundesrates will sich einer Woche mit Ihrer Organisation beschäftigen oder besser gesagt, mit dem Verbot von Diginate. Es gibt eine Initiative von drei Bundesländern, die das Verbot beantragen wollen, nämlich Hessen, Thüringen und das Saarland. Sehen Sie diesem Termin, so er denn stattfindet, gelassen entgegen?
Arnold: Wir sehen diesem Termin gelassen entgegen. Ich kann zu der juristischen Seite nicht viel sagen, das macht unser Rechtsanwalt. Aber diesen Antrag hat es schon mal gegeben vor zwei Jahren, und er ist dann gestoppt worden, merkwürdigerweise auf Initiative von Bayern. Was die Hintergründe dafür damals waren, ist nie so ganz klar geworden. Und ich muss schauen, was jetzt passiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas vorm Bundesgericht Bestand hat.
Hanselmann: Herr Arnold, würden Sie sich, wie es der "Spiegel" formulierte, als "Facharzt fürs Töten" bezeichnen?
Arnold: Na, das kann man nicht sagen. Man kennt sich dann aus, aber es gibt sicherlich keinen Facharzt für den (…). Jeder Arzt, der Menschen behandelt, den könnten Sie so bezeichnen. Es tut ja nicht jeder Arzt am Ende des Lebens mit dem Patienten arbeiten. Es gibt ja viele ärztliche Bereiche, wo Sie mit Menschen am Ende ihres Lebens nicht zu tun haben. Also ist im Grunde genommen jeder Arzt, jeder Allgemeinmediziner, jeder Internist zum Beispiel, und natürlich auch die Fachärzte, aber die beiden Berufsgruppen besonders, sind vertraut mit solchen Situationen, aber als Facharzt, das geht zu weit, da ist natürlich eine gewisse Polemik dabei.
Hanselmann: Das ist provokativ gemeint, das ist klar.
Arnold: Ja, das ist mehr ironisch.
Hanselmann: Wir haben über den Präzedenzfall gesprochen, auf den Sie hinarbeiten. Was müsste denn passieren, damit Sie es bleiben lassen?
Arnold: Ja, das habe ich mir noch gar nicht überlegt. Ja, es könnte ja sein, dass die Ärztekammer anbietet, endlich mal in ein Gespräch einzutreten und eine praktikable Lösung zu finden. Es ist ja nicht so, dass nun Dignitas die Einzigen sind, die auf diesem Sektor etwas zu sagen haben. Ich denke, dass es auch in der Ärztekammer und in anderen Bereichen Menschen, vernünftige Menschen, gibt, die sich Gedanken machen, in der Ethikkommission zum Beispiel, über eine praktikable Lösung, vor allen Dingen, weil die Zeit reif ist, sonst würden ja die Umfragen auch nicht so hoch ausfallen, wenn es nicht ein akutes, seit langem bestehendes, menschliches Problem gäbe.
Hanselmann: Vielen Dank, Uwe-Christan Arnold, Arzt und Vertreter des Deutschen Sterbehilfevereines Dignitate. Danke für das Gespräch!
Uwe-Christian Arnold: Guten Tag!
Hanselmann: Wie weit sind Sie mit den Vorbereitungen für den Präzedenzfall? Haben Sie bereits einen Arzt und einen Sterbewilligen gefunden?
Arnold: Den Arzt hatten wir schon lange vorher, bevor wir das vorbereitet haben, und einen Sterbewilligen haben wir bisher nicht. Wir werden das im nächsten Jahr in aller Ruhe in Angriff nehmen, wir müssen dabei aber ein paar Dinge berücksichtigen.
Hanselmann: Welche Dinge?
Arnold: Erst mal muss die Person natürlich bereit sein, da mitzumachen. Wenn man den Wunsch zum Sterben hat, findet man so ein Rummel darum nicht so interessant. Wir müssen versuchen, das möglichst erträglich zu machen, und es müssen auch die äußeren Bedingungen stimmen. Es müsste schon jemand sein, der relativ krank ist, und dem man nicht nachsagen kann, dass er nicht das aus freien Stücken getan hat.
Hanselmann: Wie wollen Sie denn diesen Präzedenzfall dann schaffen? Wie soll das konkret vonstatten gehen? Sie haben ja sicherlich ganz klare Pläne?
Arnold: Ein Arzt wird diesen Patienten aufsuchen. Er wird ihm, und deshalb ergibt sich auch die Verzögerung des Termins, er wird ihn natürlich kennenlernen. Wir werden dort mehrere Monate verstreichen lassen müssen. Er muss den Patienten ja kennen, der Wunsch muss mehrfach geäußert sein, wir brauchen Atteste von Hausärzten, und wir brauchen wahrscheinlich auch einen juristischen Beistand, der uns über die Urteilsfähigkeit des Patienten ein Attest gibt.
Hanselmann: Ihr Vorgehen, Ihr Vorhaben sind äußerst umstritten. Wenn wir jetzt hier miteinander sprechen, dann ist das emotional unglaublich aufgeladen, das ist mir völlig klar. Ich möchte Sie aber mal als Arzt fragen: Wie kann ein Mediziner es mit dem eigenen Auftrag und Gewissen vereinbaren, einem Menschen dabei zu helfen, sich zu töten?
Arnold: Wissen Sie, Mediziner sind ja nicht alle gleich, sie machen ja unterschiedliche Dinge. Wenn Sie sehen, ein Frauenarzt, der Schwangerschaftsabbrüche macht, der bewegt sich auf einem ganz anderen Parkett als der Hausarzt, der Grippe behandelt. Und das Gleiche ist auch am Lebensende. Ich denke einfach, dass es Ärzte geben muss, die am Lebensende helfen. Wie sie helfen, das ist eine andere Sache. So, wie es am Anfang des Lebens einen Geburtshelfer gibt, muss es auch einen Sterbehelfer geben. Und Sie fragten nach meiner Ethik in meinem Verständnis meines Berufes. Und da muss ich sagen, das Genfer Weltärztegelöbnis verpflichtet mich auf verschiedene Dinge. Aber es steht dort zweimal drin, dass ich mich im Dienste der Menschlichkeit verschreibe, dass ich also meine Tätigkeit im Sinne der Menschlichkeit ausführe. Und ich denke, Menschen beim Sterben zu helfen und auch zum Sterben zu helfen, ist durchaus eine menschliche Tätigkeit.
Hanselmann: Warum wollen Sie dann aber diesen Präzedenzfall schaffen?
Arnold: Es hat bereits einige interessante Urteile beim Bundesgerichtshof gegeben, sodass man sagen könnte, wir brauchen diesen Fall gar nicht mehr. Aber es doch unklar, was genau passiert, wenn es konsequent vorbereitet wird, und wir wissen eben nicht ganz, was mit dem Arzt passiert bei dem Fall Wittich, wo ein Arzt genau das getan hat, der ist nämlich bei der Patientin geblieben, die sterben wollte, es kein Approbationsentzug beantragt worden von der zuständigen Ärztekammer. Also die Frage ist, wie, wenn das offiziell gemacht wird, verhalten sich die gegnerischen Positionen.
Hanselmann: Es steht zu erwarten, dass dieser Fall, wenn er eintrifft, vor Gericht geht, und das wollen Sie ja sicher auch provozieren, oder?
Arnold: Könnte sein, es könnte aber auch sein, dass der Staatsanwalt Ermittlungen aufnimmt und dann die Ermittlungen einstellt, weil ja keine Straftat vorgelegen hat. Wenn der Staatsanwalt wegen der Garantpflicht, also der Pflicht des Arztes oder eines Angehörigen, Ermittlungen ergreift, ist zu fragen, ob wirklich wegen dieses Paragrafen eine Verurteilung stattfindet, wenn man sich vorher von dem Betroffenen diese Erklärung abtreten lässt sozusagen.
Hanselmann: Na, ich denke, die Rechtslage ist so, dass es als unterlassene Hilfeleistung gewertet wird, wenn ein Arzt einen Menschen sich selbst töten lässt und dabei ist.
Arnold: Das ist eben die große Frage. Es hat ja einen Fall gegeben, wo das genau nicht passiert ist, unter besonderen Umständen.
Hanselmann: Ich möchte jetzt nicht über Einzelfälle reden, sondern über die Gesetzeslage. Die ist doch aber so noch vorhanden?
Arnold: Noch gibt es diesen Paragrafen 323, ein Strafgesetzbuch-Paragraf, der genau das umschreibt. Und ansonsten ist der Arzt nur standesrechtlich bedroht, er soll eben zum Sterben nicht helfen, die Ärzteschaft sagt, ihr Ärzte dürft beim Sterben und im Sterben helfen, aber nicht zum Sterben helfen, da kann man nun darüber diskutieren, was diese Feinunterschiede eigentlich sagen.
Hanselmann: Und solches würden Sie dann auch zur Verteidigung Ihres Arztes vor Gericht vorbringen?
Arnold: Genau, wir würden diesen Arzt verteidigen, würden ihn unterstützen, und mehr als ein standesgerichtliches Verfahren droht ihm ja nicht, und da wir einen pensionierten Arzt genommen haben, ist für den das letzten Endes nicht interessant, eine Strafe im Gefängnis oder so etwas droht ihm sowieso nicht.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit Uwe-Christan Arnold, er ist Arzt und Repräsentant des Deutschen Sterbehilfevereins Dignitate. Nehmen wir doch mal an, Ihre Methoden seien legal. Wie soll dann verhindert werden, dass die Sterbehilfe auch von anderen, ich sage mal, Firmen betrieben wird als einträgliches Geschäft mit dem Tod?
Arnold: Wir wollen ja Rechtssicherheit für den Arzt haben, der sich dafür zur Verfügung stellt auch in Zukunft. Es heißt also, es müsste gar keine Organisation mehr geben, sondern die Ärzte haben Rechtssicherheit. Sie wissen, sie können das, wenn sie das tun wollen, und damit würde sich das verteilen. Das heißt, es würde gar keine Organisation mehr notwendig sein, die damit irgendwelche fragwürdigen Geschäfte macht. Selbstverständlich ist es die Aufgabe des Vereins, in Zukunft auch solche Ärzte zum Beispiel zu sammeln, sie zu schulen. Aber wir müssen nicht unbedingt nur zentral von diesem Verein aus Sterbebegleitungen anbieten und vielleicht sogar damit Geld verdienen, was wir sowieso nicht vorhaben.
Hanselmann: Dennoch, im Moment ist es so, Ihre Kritiker und Gegner halten Ihnen vor, dass Sie Werbung betreiben für eine kommerzielle Organisation, dass Sie am Tod Ihrer Klienten kräftig verdienen. Dignitas in der Schweiz und Dignitate hier in Deutschland sind doch kommerzielle Unternehmen, oder? Ein begleiteter Selbstmord soll um die 5000 Euro kosten?
Arnold: Also der begleitete Suizid in der Schweiz kostet diese Summe, in Deutschland haben so was nicht, damit können wir auch kein Geld verdienen. Sollten wir in Deutschland das tun, dann haben wir vor, dies aus unseren Mitgliedsbeiträgen, also Kosten, die beim Arzt entstehen, Reisekosten usw., Medikamentenkosten, die aus den Beiträgen natürlich zu nehmen. Und in der Schweiz ist es natürlich kommerziell insofern, als dass eben Kosten auch hier anfallen, aber all die großen Kosten, die immer genannt werden, sind Mietkosten, Telefonkosten, Arzthonorarkosten, Kremationskosten. Das ist kein Geschäft, sondern es sind einfach Kosten, die auch in Deutschland anfallen würden in einem Sterbefall. Andere Organisationen verdienen daran Geld, also alles kostet sein Geld. Es gibt nichts umsonst, leider auch nicht den Tod.
Hanselmann: Nun habe ich gelesen, dass die Dignitate Deutschland, also Sie, ihre finanziellen Verhältnisse nicht offenlegen.
Arnold: Da haben Sie was Falsches gelesen, wir hatten im vorigen Jahr eine Mitgliederversammlung, dort wurde unsere Bilanz öffentlich vorgestellt. Jedes Mitglied kann einsehen, wie und was wir für Gelder haben und was wir ausgeben.
Hanselmann: Ich möchte noch mal zur moralischen Seite der Sterbehilfe zurückkommen. Können Sie sich vorstellen, dass Menschen sich selbst töten wollen, aber eigentlich nur mehr Hilfe brauchen, um die verbleibende Lebenszeit würdevoll zu verbringen?
Arnold: Das ist sicherlich der Fall. Es ist die Zahl der potenziellen Menschen, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen, wird sehr klein sein. Internationale Vergleiche in den Ländern, wo es möglich ist, Schweiz und Oregon am besten, sind es verschwindende Zahlen im 0,0-Prozent-Bereich. Das wird keine Volksbewegung werden, sondern es werden – einige wenige Menschen haben diesen Wunsch, und all die anderen, die Sie ansprachen, da finde ich es ja nun gar nicht schlecht, wenn die sich zum Beispiel auch uns wenden, denn sie scheinen ja niemanden anders zu haben, an den sie sich wenden können, sie wissen ja nicht, wie sie an die Palliativmedizin, an die Hospize, an die Schmerzkliniken rankommen, und da können wir gerne helfen, das tun wir auch.
Hanselmann: Der Rechtsausschuss des Bundesrates will sich einer Woche mit Ihrer Organisation beschäftigen oder besser gesagt, mit dem Verbot von Diginate. Es gibt eine Initiative von drei Bundesländern, die das Verbot beantragen wollen, nämlich Hessen, Thüringen und das Saarland. Sehen Sie diesem Termin, so er denn stattfindet, gelassen entgegen?
Arnold: Wir sehen diesem Termin gelassen entgegen. Ich kann zu der juristischen Seite nicht viel sagen, das macht unser Rechtsanwalt. Aber diesen Antrag hat es schon mal gegeben vor zwei Jahren, und er ist dann gestoppt worden, merkwürdigerweise auf Initiative von Bayern. Was die Hintergründe dafür damals waren, ist nie so ganz klar geworden. Und ich muss schauen, was jetzt passiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas vorm Bundesgericht Bestand hat.
Hanselmann: Herr Arnold, würden Sie sich, wie es der "Spiegel" formulierte, als "Facharzt fürs Töten" bezeichnen?
Arnold: Na, das kann man nicht sagen. Man kennt sich dann aus, aber es gibt sicherlich keinen Facharzt für den (…). Jeder Arzt, der Menschen behandelt, den könnten Sie so bezeichnen. Es tut ja nicht jeder Arzt am Ende des Lebens mit dem Patienten arbeiten. Es gibt ja viele ärztliche Bereiche, wo Sie mit Menschen am Ende ihres Lebens nicht zu tun haben. Also ist im Grunde genommen jeder Arzt, jeder Allgemeinmediziner, jeder Internist zum Beispiel, und natürlich auch die Fachärzte, aber die beiden Berufsgruppen besonders, sind vertraut mit solchen Situationen, aber als Facharzt, das geht zu weit, da ist natürlich eine gewisse Polemik dabei.
Hanselmann: Das ist provokativ gemeint, das ist klar.
Arnold: Ja, das ist mehr ironisch.
Hanselmann: Wir haben über den Präzedenzfall gesprochen, auf den Sie hinarbeiten. Was müsste denn passieren, damit Sie es bleiben lassen?
Arnold: Ja, das habe ich mir noch gar nicht überlegt. Ja, es könnte ja sein, dass die Ärztekammer anbietet, endlich mal in ein Gespräch einzutreten und eine praktikable Lösung zu finden. Es ist ja nicht so, dass nun Dignitas die Einzigen sind, die auf diesem Sektor etwas zu sagen haben. Ich denke, dass es auch in der Ärztekammer und in anderen Bereichen Menschen, vernünftige Menschen, gibt, die sich Gedanken machen, in der Ethikkommission zum Beispiel, über eine praktikable Lösung, vor allen Dingen, weil die Zeit reif ist, sonst würden ja die Umfragen auch nicht so hoch ausfallen, wenn es nicht ein akutes, seit langem bestehendes, menschliches Problem gäbe.
Hanselmann: Vielen Dank, Uwe-Christan Arnold, Arzt und Vertreter des Deutschen Sterbehilfevereines Dignitate. Danke für das Gespräch!