Michael Wildt: "Volk, Volksgemeinschaft, AfD"
160 Seiten, 12 Euro, Hamburger Edition
Die neue rechte Sehnsucht nach altem Blutrecht
Wer ist das Volk? Michael Wildt schildert in seinem Buch "Volk, Volksgemeinschaft, AfD" wie die Auslegungen des Begriffs sich im Lauf der Geschichte entwickelt haben. Er belegt, dass die AfD ein homogenes Volk anstrebt und das Abstammungsprinzip im Staatsbürgerrecht wiedereinführen will.
"Wir sind das Volk" rief 1989 nur eine Minderheit – und doch mit schlagkräftiger, das Ende der DDR besiegelnder Wirkung. Die Präambel der US-Verfassung beginnt mit "We the people of the United States" – und doch waren Frauen noch 100 Jahre lang, Schwarze sogar noch 150 Jahre vom Wahlrecht ausgeschlossen. Das Volk, das sind nie alle. "Wir, das Volk" ist anfangs nur die Behauptung einer kleinen Gruppe. Der Begriff "Volk" schließt Menschen ein, und er schließt immer welche aus. Wer oder was ein Volk ist, war immer schon Auslegungssache.
Michael Wildts Buch "Volk, Volksgemeinschaft, AfD" handelt davon, wie diese Auslegungen sich im Lauf der Geschichte entwickelt haben. Die Zeitreise beginnt beim Volksbegriff der alten Griechen und reicht bis zu dem unserer angeblich Neuen Rechten. Schwerpunkt der "historisch-politischen Intervention", wie der Autor sein Buch nennt, sind Verschiebungen des Volksbegriffs seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Die Reise geht von Rousseaus "Gesellschaftsvertrag" über die Französische Revolution, die Verfassung der USA, europäische Kleinstaaterei, den Ersten Weltkrieg als Katalysator für den Begriff "Volkssouveränität", über die Nationalsozialisten und ihre "Volksgemeinschaft" bis zur europäischen Nachkriegsordnung in die heutige Zeit, in der ein alter, längst überholt geglaubter Volksbegriff wieder en vogue zu sein scheint.
Michael Wildts Buch "Volk, Volksgemeinschaft, AfD" handelt davon, wie diese Auslegungen sich im Lauf der Geschichte entwickelt haben. Die Zeitreise beginnt beim Volksbegriff der alten Griechen und reicht bis zu dem unserer angeblich Neuen Rechten. Schwerpunkt der "historisch-politischen Intervention", wie der Autor sein Buch nennt, sind Verschiebungen des Volksbegriffs seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Die Reise geht von Rousseaus "Gesellschaftsvertrag" über die Französische Revolution, die Verfassung der USA, europäische Kleinstaaterei, den Ersten Weltkrieg als Katalysator für den Begriff "Volkssouveränität", über die Nationalsozialisten und ihre "Volksgemeinschaft" bis zur europäischen Nachkriegsordnung in die heutige Zeit, in der ein alter, längst überholt geglaubter Volksbegriff wieder en vogue zu sein scheint.
Das "Volk" als Vorwand für Krieg
Gegenüber standen und stehen sich ein Verständnis vom Volk, das an allen Entscheidungen des Staates direkt beteiligt ist, wie bei den alten Griechen und bei Rousseau, und ein Volksbegriff, wie er in der repräsentativen Demokratie ausgearbeitet wurde, nämlich dass Volksvertreter in Parlamente gewählt werden. Zudem gibt es Mischformen wie in den USA, wo ein direkt gewählter Präsident von Volksvertretern mehr oder weniger kontrolliert wird.
Prinzipiell gegenüber standen und stehen sich der Begriff des staatsbürgerlichen Volks, das sich durch Staatsbürgerschaft, Nation und ihre Grenzen definiert, und des biologisch-ethnischen Volks, das durch vererbtes Blut definiert wird und sich als von Staatsgrenzen unabhängig versteht – was in der Geschichte oft den Vorwand bildete, um andere Staaten zu überfallen, weil ja dort eigene angeblich blutsverwandte Leute lebten. Es ist nicht falsch, dabei aktuellerweise an die Krim oder die Ostukraine zu denken.
Prinzipiell gegenüber standen und stehen sich der Begriff des staatsbürgerlichen Volks, das sich durch Staatsbürgerschaft, Nation und ihre Grenzen definiert, und des biologisch-ethnischen Volks, das durch vererbtes Blut definiert wird und sich als von Staatsgrenzen unabhängig versteht – was in der Geschichte oft den Vorwand bildete, um andere Staaten zu überfallen, weil ja dort eigene angeblich blutsverwandte Leute lebten. Es ist nicht falsch, dabei aktuellerweise an die Krim oder die Ostukraine zu denken.
Vom Recht, Rechte zu haben
Dieses lehrreiche, einem Schnellkurs gleichende Buch legt mit Zitaten von AfD-Politikern und dem Parteiprogramm dar, dass die AfD ein homogenes Volk anstrebt, das Abstammungsprinzip oder Blutrecht im Staatsbürgerrecht wiedereinführen will. Mit dem hier angeführten nationalsozialistischen Staatstheoretiker Carl Schmitt heißt das, so Wildt, das Gleiche gleich zu behandeln und, im Umkehrschluss, das Ungleiche, nämlich jene, die nicht deutscher Abstammung sind, ungleich zu behandeln, also zu beseitigen oder auszusondern.
Reflexhaften und oberflächlichen Kritikern der AfD rät Michael Wildt, deren Volksbegriff ernst zu nehmen, denn wer zum Volk gehöre und wer nicht, wurde in der Vergangenheit stets ausgehandelt. Man müsse der AfD also mit Kritik an deren Begriff vom Volk und mit einem eigenen Begriff vom Volk begegnen.
Schließlich schlägt er mit Hannah Arendt vor, den Volksbegriff aufzulösen und an seine Stelle "das Recht, Rechte zu haben", zu setzen, was zwar Staatenlose endlich einmal nicht ausschließen würde, was aber auch eine utopische Verabschiedung der Nation bedeutet und als politisches Ziel kaum zu vermitteln sein dürfte.
Schließlich schlägt er mit Hannah Arendt vor, den Volksbegriff aufzulösen und an seine Stelle "das Recht, Rechte zu haben", zu setzen, was zwar Staatenlose endlich einmal nicht ausschließen würde, was aber auch eine utopische Verabschiedung der Nation bedeutet und als politisches Ziel kaum zu vermitteln sein dürfte.