Michel Faber: Das Buch der seltsamen neuen Dinge
Aus dem Englischen von Malte Krutzsch
Verlag Kein und Aber, Zürich 2018
688 Seiten, 25 Euro
Wo das Wasser nach Honigmelone schmeckt
Ein Priester auf einem fremden Planeten, der mit den "Oasiern" über die Bibel spricht – das klingt nach Science-Fiction. Tatsächlich aber geht es in Michel Fabers Roman um zutiefst Menschliches: Liebe, Entfernung, Abschied und Trauer.
In der hektischen Literaturszene ist Michel Faber ein Anachronismus. Er lässt sich Zeit mit seinen Romanen, so auch mit dem "Buch der seltsamen neuen Dinge", an dem er sechs Jahre gearbeitet hat. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Geschichte eines Geistlichen, der zu einem fernen Planeten reist, ist gleichzeitig zart und wuchtig, beklemmend und mitreißend, und entzieht sich geschickt jeglicher Einordnung.
Peter Leigh heißt der Priester, der von einem Großkonzern namens USIC auf den Planeten Oasis geschickt wird. Dort ist das Wasser grün und schmeckt nach Honigmelone, die Luft ist feucht und schwer, und die Einheimischen dürsten zu Peters Überraschung geradezu nach Geschichten aus der Bibel, die sie "Das Buch der seltsamen neuen Dinge" nennen. Es ist eine bequeme Mission, von der Peter in seinen Nachrichten an seine daheimgebliebene Frau Bea schwärmt.
Die Erde versinkt im Chaos
Bea hingegen hat anderes zu berichten: Erdbeben und Flutwellen vernichten ganze Staaten, Lebensmittel werden knapp, die Welt versinkt im Chaos. Aber Peter erscheint all das immer ferner und bedeutungsloser: "Unter den gegebenen Umständen war es schwierig, Gefühle festzuhalten und ihnen einen Namen zu geben. Er konnte sich allenfalls noch einen Reim auf die Geschehnisse auf Oasis machen, aber auch nur, weil er am selben Ort war. Herz und Verstand waren in seinem Körper gefangen, und sein Körper war nun mal hier."
Es ist dies eine von vielen Fragen, die der Text aufwirft: die Frage, wie viel Entfernung eine Liebe aushalten kann. Peter liebt Bea, aber ihre Sorgen kann er nicht mehr nachvollziehen, zu sehr faszinieren ihn die Bewohner von Oasis, deren Begeisterung für das Evangelium (das sie als "Jesus-Technik" bezeichnen) ebenso erstaunlich wie verdächtig ist: Verstehen sie wirklich, was Glaube bedeutet? Oder steckt etwas anderes hinter ihrer Hingabe? Und was ist eigentlich mit Peters Vorgänger passiert, jenem Priester, der verschwunden ist und über den niemand reden will? Zu allem Überfluss fühlt sich Peter zu der attraktiven USIC-Apothekerin Alex Grainger hingezogen, während Beas Leben auf der Erde endgültig zu kippen droht.
Was Glaube aushalten kann
All das erzählt Michel Faber in einer gewandten Prosa, die sich vor allem durch ihre Langsamkeit auszeichnet. Es ist ein Buch, das sich Zeit nimmt, um ganz und gar in den Kopf seines Protagonisten einzudringen, und das dabei eine Vielfalt von Themen aufgreift. Es geht um den Glauben, darum, wie er sich manifestiert und wie viel er aushalten kann, um Erinnerungen und Vergessen, um Fremdheit und Zuhause-sein, um Entfernung und Abschied, und nicht zuletzt um die Zerstörung einer Welt, von der sich Peter immer weiter entfernt.
Vielfach schimmert große Trauer durch die Zeilen, Trauer, die Michel Faber erlebt hat, als seine Frau während der Arbeit an seinem Roman an Krebs starb. Er hat das Buch dennoch beendet und damit ein Stück Literatur geschaffen, das so ungewöhnlich, so klug und so liebenswert ist, dass man sich – wie Peter auf seiner Mission – nur allzu gern darin verliert.