Moyshe Kulbak: Montag. Ein kleiner Roman
Aus dem Jiddischen von Sophie Lichtenstein
edition.fotoTAPETA, Berlin 2017
111 Seiten, 12,80 Euro
Im Strudel der Revolution
Im Jahr 1926 erschien das Buch "Montag" des sowjetisch-jiddischen Dichters Moyshe Kulbak zum ersten Mal. Hauptfigur ist ein Bücherwurm in revolutionären Zeiten, der tagespolitischen Parolen trotzt, und von den Kommunisten erschossen wird - wie später auch Kulbak selbst.
"Ein kleiner Roman" – so lautet der Untertitel des erstmals 1926 in Warschau erschienenen Büchleins "Montag" von Moyshe Kulbak. Der Autor, 1896 in der Nähe von Vilnius geboren, hatte zuvor als Lyriker reüssiert und galt schnell als einer der originellsten und bedeutenden Jiddisch sprachigen Dichter seiner Zeit.
Kulbak verfügte über eine traditionelle jüdische Schulbildung. Kenntnisse der Literatur in jiddischer, hebräischer und russischer Sprache hatte er sich selbst beigebracht. Mit dem Deutschen tat er sich schwer, ein Studium in Berlin brach er ab und schlug sich als Souffleur dort gastierender jiddischer Theatergruppen durch.
1928 zog Kulbak, inzwischen Vorsitzender des PEN-Zentrums für jiddische Literatur, nach Minsk. Er hoffte, wie viele sowjetische Juden, auf Gleichstellung der jiddischen Kultur infolge der Oktoberrevolution. Doch "Montag" macht deutlich, dass dieser Glaube recht früh wieder zerbrach.
Vermeidung von Revolutionspathos
Hauptfigur des Romans ist ein Hebräischlehrer, Mordkhe Markus. In einer Dachstube haust er, "mit einem Zigarettchen im Mundwinkel" in seine Bücher vertieft, während draußen revolutionäre Umwälzungen stattfinden. Hin und wieder erhält er Besuch vom Fräulein Gnesye, dem er begeistert seine philosophischen Gedankengänge über die Armut und das Erhabene mitteilt. Vor dem Fenster knallt es "ganz lebendig und regelmäßig", und als Mordkhe eines Tages fragt, warum dort geschossen würde, erhält er zur Antwort: "Ich weiß nur, dass jemand angefangen hat zu schießen – also schießt man zurück."
Von Begeisterung über die Revolution ist in Sätzen wie diesen nicht viel zu hören. Es scheint, als wolle Kulbak jegliches Revolutionspathos vermeiden, allein schon durch die dem Jiddischen eigene Häufung von Diminutiven: ein "stilles Windchen" lässt die Fahnen flattern, eine Granate fällt "ins Flüsschen", ein "unverschämtes Kerlchen" schießt. Lieblich aber ist die geschilderte Szenerie beileibe nicht. Mordhke Markus gerät in den Strudel der Revolution, er leidet ebenso wie viele andere in der Stadt Hunger, es kommt zu Vergewaltigungen, einem Progrom und willkürlichen Erschießungen, zu eruptiver Gewalt.
Zweifel an der Erlösung auf Erden
Der Autor beschreibt in expressionistischer wie poetischer Sprache einen Sturm, dem ein schüchterner Bücherwurm wie ein Heiliger standhält. Er verfällt nicht tagespolitischen Parolen, ist für eine Veränderung der Gesellschaft, doch kein Parteigänger der Kommunisten. In deren Parteiprogramm fehlt es ihm an Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Kulbaks Protagonist zweifelt daran, dass Erlösung auf Erden zu erlangen sei. Erkenntnis, proklamiert er, ist nicht in der Aktion, sondern nur im passiven Sein zu erlangen. Was keineswegs zum Zeitgeist passt: Mordkhe Markus wird barfuß, nur in einem Hemd bekleidet, aus seiner Stube geholt und vor einer kalten Wand erschossen.
Elf Jahre nach Erscheinen dieses ironisch-melancholischen, surrealen Romans, von der Übersetzerin Sophie Lichtenstein in ihrem informativen Nachwort auch als lyrisch-philosophisches Poem bezeichnet, teilte der Autor Moyshe Kulbak das Schicksal seines feinfühligen und eigenwilligen Protagonisten: nach einem Schauprozess, in dem festgestellt wurde, dass er Form und Inhalt seines Schaffens nicht den Idealen der sozialistischen Literatur angepasst habe, wurde Moyshe Kulbak erschossen. Nachdem die Henker Kulbaks längst vergessen sind, ist sein Roman neu zu entdecken – ein kostbares Kleinod, nicht nur der jiddischen Literatur.