Münchner NSU-Prozess im Rückblick

"Kein Kotau vor den Rechten"

Die Strafverteidigerin Angela Wierig
Die Strafverteidigerin Angela Wierig © ©BertBrüggemann
Angela Wierig im Gespräch mit Christian Rabhansl |
Die Strafverteidigerin Angela Wierig war Vertreterin einer Nebenklägerin im NSU-Prozess. Ihre Erlebnisse in diesem Prozess musste sie "irgendwie abarbeiten", sagt sie. Daraus entstand das Buch "Nazis Inside: 401 Tage NSU-Prozess", in dem sie insbesondere die Nebenklägervertreter kritisch beleuchtet.
Christian Rabhansl: Vor zwei Tagen haben sie ihre Schlussplädoyers abgeschlossen, die Vertreter der Nebenkläger im NSU-Prozess. Fast fünf Jahre währte das Hauptverfahren jetzt gegen Beate Zschäpe und weitere Angeklagte. Es fehlen jetzt noch die Schlussworte der Verteidiger und dann das Urteil. Fast fünf Jahre mit hunderten von Verhandlungstagen, und über diese Zeit hat eine der Anwältinnen jetzt ein Buch geschrieben. Angela Wierig, sie hat im NSU-Prozess eine Schwester des am 27. Juni 2001 in Hamburg ermordeten Süleyman Taşköprü vertreten. Er war das mutmaßlich dritte Opfer des NSU. Dieses Buch trägt den Titel "Nazis Inside: 401 Tage NSU-Prozess", und darüber möchte ich mit ihr sprechen. Guten Tag nach Hamburg, Frau Wierig!
Angela Wierig: Guten Tag, ich grüße Sie!
Rabhansl: Was war denn Ihr innerer Antrieb, dieses Buch zu schreiben, über diese 401 Tage?
Wierig: Das war eigentlich eine Art von Notwehr. Ich musste das irgendwie abarbeiten, was ich da erlebt habe und habe das eigentlich zu Anfang nur für mich selber aufgeschrieben, um es zu sortieren, zu ordnen und mir darüber klar zu werden, was da eigentlich passiert ist.
Rabhansl: Einer breiteren Öffentlichkeit sind Sie bekannt geworden als jene Anwältin, die bei Beate Zschäpe deutlich mehr Schuld sieht, so als Mastermind des NSU, die bei anderen Angeklagten teils deutlich weniger Schuld sieht, die solche Sachen sagt wie: "Die moralische Überlegenheit sei teils wichtiger als die prozessuale Rechtsstaatlichkeit." Und die dann letztlich das Mandat der Schwester von Süleyman Taşköprü verloren hat. Was davon ist es, was Sie aufarbeiten wollen mit diesem Buch als Notwehr?
Wierig: Von diesen Sachen eigentlich gar nichts –
Rabhansl: Ah, sondern?

"Es hat mich schon gewundert, wie einige Protagonisten zu Werke gegangen sind"

Wierig: – die kamen ja erst viel später –, sondern wie sich dieser Prozess für mich am Anfang darstellte. Meine Erwartung, die ich wiederum an die Kollegen hatte und die so grausig enttäuscht wurde, wobei Enttäuschung nicht im negativen Sinne verstanden werden soll, bitte, das ist nach dem Wortsinn, man unterlag einer Täuschung, und die ist vorbei, dafür kann man ja nur dankbar sein, aber es hat mich schon gewundert, wie einige Protagonisten zu Werke gegangen sind, und ich hatte, wie gesagt, anderes erwartet. War mein Fehler.
Rabhansl: Sie teilen in Ihrem Buch da auch kräftig aus: Nebenklageanwälten geben Sie konsequent Spitznamen wie "der große Nazifresser" oder "der Empörte". Nebenklägervertreter teilen Sie in zwei Gruppen: die eine Gruppe, die den Staat vor Gericht stellen möchte und die andere, die das Verfahren auf die Angeklagten beschränkt wissen wollen. Sie gehören zu den Letzteren und sind der Meinung, dass die politische Aufklärung nicht in diesen Prozess gehört. Warum ist Ihnen das so wichtig?

"Von Herzen Strafverteidigerin"

Wierig: Weil ich von Herzen Strafverteidigerin bin und weil ich den Strafprozess als Strafprozess behandelt haben möchte. Der Strafprozess ist kein Untersuchungsausschuss. Wir haben viele Untersuchungsausschüsse zu dem Thema, die müssen es aufarbeiten, nicht nur die, auch gesellschaftlich muss es aufgearbeitet werden, aber der Ort dafür ist nicht der Strafprozess.
Rabhansl: Trotzdem führt das zu Sätzen, die manche Beobachter dann zusammenzucken lassen, wenn zum Beispiel trotz Ermittlungen, die jahrelang keinen rassistischen Hintergrund der Mordserie sahen, sondern den Opfern regelmäßig unterstellten, sie seien eben Drogenhändler, Menschenhändler und einem Bandenkrieg zum Opfer gefallen, da schreiben Sie, Sie können keine rassistische Motivation entdecken. Beurteilen Sie nicht dann doch politisch?

"Man kann der Hamburger Polizei keinen Vorwurf machen"

Wierig: Nein, ich beurteile aus einer strafprozessualen Sicht. Ich beurteile eine Beweisermittlung. Das wird immer ein bisschen undifferenziert dargestellt. Ich habe das über die Hamburger Polizeiermittlung gesagt. Das war zu einem relativ frühen Zeitpunkt der Ermittlung, und ich habe mich nicht per se über alle Ermittlungen geäußert, sondern – und das bitte ich zu unterscheiden –, das war damals ein ganz anderer Zeitpunkt, und wenn Sie es gelesen haben, ich habe ja auch ziemlich akribisch aufgearbeitet, was da an Ermittlungsarbeit getrieben wurde, und ich bin nach wie vor der Meinung, dass man der Hamburger Polizei keinen Vorwurf machen kann.
Es gab viele Anhaltspunkte, aber es gab nicht einen einzigen belastbaren Anhaltspunkt in Richtung Rechtsterrorismus, und wenn Sie Ermittler sind, brauchen Sie belastbare Anhaltspunkte. Sie können ja nicht aufgrund einer Idee her sagen, jetzt ermittle ich mal in Richtung dieser Idee. Wie wollen Sie das machen? Es geht ja rein technisch gar nicht.
Rabhansl: Es wäre auch ein Trugschluss, jetzt zu glauben, Sie würden alle Behörden blanko entlasten wollen, was Sie beispielsweise über Zeugen dann des Verfassungsschutzes schreiben, Sätze wie, dass Sie sich fragen, warum der nicht endlich aufhört zu lügen, das ist ja schon sehr, sehr klar, aber es geht Ihnen ganz zentral, ist mein Eindruck, immer um das korrekte Verfahren. Haben Sie den Eindruck gehabt, in diesem NSU-Prozess, dass Sie eigentlich die Grundregeln der Rechtsstaatlichkeit immer wieder mal neu erklären müssen und wem?

Die Regeln des Strafprozesses

Wierig: Ich habe sie versucht, immer wieder neu zu erklären, weil ich ein Gegengewicht setzen wollte zu der Berichterstattung, wie man sie so aus diesem NSU-Prozess bekommen hat. Da war sehr viel Empörung und zum Teil eben nicht gerechtfertigte Empörung, weil wir uns einfach an die Regeln gehalten haben. Der Strafprozess hat Regeln, und das sind, wenn ich das so sagen darf, auch wirklich tolle Regeln. Die sind mühselig errungen worden, und sie geben uns das größtmögliche Maß an einer gewissen Gerechtigkeit auch, einer Annäherung an Gerechtigkeit. Ich wüsste nicht, wie man es anders oder besser machen könnte, und diese Regeln gilt es einzuhalten, und wann immer über diese Regeln in einer Form berichtet wurde, die … – ja gut, man kann eine Regel nicht diskreditieren, aber es klang so –, dann fühlte ich mich schon berufen, da eine Gegenstimme zu setzen.
Rabhansl: Und die ist sehr deutlich. Sie schreiben zum Beispiel, Ihnen sei im Laufe des Prozesses eine bittere Erkenntnis gedämmert, wieder ein Zitat jetzt: "Nicht nur in diesem Prozess, sondern in ganz Deutschland gilt zweierlei Recht: Meinungsfreiheit für die moralisch überlegene Multikulti-Vegan-Impfverweigerungsfraktion, Redeverbot für die Rechten." Verstehen Sie die Irritation, dass das aus dem Munde einer Opferanwältin im NSU-Prozess kommt?

"Mir wird viel zu wenig differenziert gedacht"

Wierig: Wenn ich mir ganz viel Mühe gebe, kann ich Verständnis haben für die Reaktion, aber möchte auch demjenigen, der so reagiert, entgegenhalten, bitte differenziere doch. Mir wird viel zu wenig differenziert gedacht in diesem Verfahren und insbesondere in der Berichterstattung über dieses Verfahren. Warum soll das aus dem Mund einer Opferanwältin einen komischen Zungenschlag haben? Ich bin ja nicht 100 Prozent Opferanwältin, das ist meine Funktion in diesem Prozess, aber gleichzeitig bin ich ja auch noch ein Mensch und ein Organ der Rechtspflege und vieles andere mehr.
Rabhansl: Angela Wierig war Vertreterin einer Nebenklägerin im NSU-Prozess, und Ihr Buch, das trägt den Titel "Nazis Inside". Worin stecken die Nazis?

Kein Kotau vor den Rechten

Wierig: In jedem Einzelnen, habe ich manchmal den Eindruck. Das ist diese Passage in dem Buch, wo ich darüber nachdenke, dass dieser Kollektivgedanke, wie: die Nebenklage muss jetzt im Schulterschluss geschlossen eine Meinung vertreten, das mich auch immer so geärgert hat, wenn die Nebenklage zitiert wurde. Das ist doch ein Kollektivgedanke, der auch dem Nationalsozialismus innewohnte. Es ist doch in vielem ein Ressentiment gewesen, das sich jetzt nicht gegen Ausländer oder sonst was richtet, aber gegen das Andere, und das ist doch der Beginn jeden Übels, wenn wir das Andere, egal wie es sich präsentiert, und in diesem Fall präsentiert es sich auch noch als eine Kollegin, meinen sofort, vehement bekämpfen zu müssen.
Daher auch das Zitat, das Sie erwähnt hatten. Bitte auch das nicht falsch verstehen. Nicht den Kotau vor den Rechten machen, es geht mir nur darum, lasst uns miteinander reden, und dann, denke ich, ist das Ergebnis besser, als wenn wir uns gegenseitig niederbrüllen oder uns abgrenzen oder ausschließen.
Rabhansl: Vielen Dank, Frau Wierig, für das Gespräch!
Wierig: Sehr gerne!
Rabhansl: Angela Wierig, ihr Buch trägt den Titel "Nazis Inside: 401 Tage NSU-Prozess", 277 Seiten für 20 Euro, erschienen im Osburg-Verlag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema