Najem Wali: "Saras Stunde"

Eine saudische Frau wehrt sich

Von Dina Netz |
Ab dem Sommer sollen Frauen in Saudi-Arabien Autofahren dürfen. Auch andere Verbote wurden gelockert, so dass manche schon einen demokratischen Aufbruch erkennen. Najem Wali zeichnet in seinem neuen Roman allerdings ein etwas anderes Bild von der Lage der saudischen Frauen.
Der aus dem Irak stammende Najem Wali verarbeitet in "Saras Stunde" Erlebnisse einer Lesereise durch Saudi-Arabien von 2010. Das Publikum vor ihm im Saal: nur Männer. Die Frauen saßen im Nachbarzimmer und hörten per Videoübertragung zu. Die Geschichte von Sara, die Wali im neuen Roman erzählt, mischt die Erzählungen dieser Frauen mit Erfundenem.
Schon ganz früh ist klar, dass Sara, aus deren Perspektive der Roman erzählt ist, ein besonderes Mädchen ist: Sie hat es so eilig, auf die Welt zu kommen, dass die Hebamme zu spät eintrifft. Sie verweigert die Muttermilch, weil sie mit dem Fläschchen selbst über ihre Mahlzeiten entscheiden will. Mit acht Jahren gerät sie zum ersten Mal in Konflikt mit einem Scheich der saudischen Religionspolizei, woraufhin sie der Schule verwiesen wird.

Ständige Eingriffe ins Saras Leben

Die eigensinnige Sara hat zwar einen Vater, der schützend die Hand über sie hält, aber sie hat auch einen Onkel, der ihren freien Geist zerstören will: Er ist der Leiter der Behörde für die Verbreitung von Tugendhaftigkeit und für die Verhinderung von Lastern - die in der Realität tatsächlich so heißt. Saras Leben wird zu einem Wettkampf zwischen ihm und ihr: Der Onkel zwingt sie zur Ehe mit seinem Sohn, sie sorgt dafür, dass die Hochzeit zu einer Blamage für ihn wird. Immer wieder greift der Onkel in Saras Leben ein, bis es zum dramatischen Showdown zwischen ihnen kommt.
Najem Wali auf dem blauen Sofa, aufgenommen auf der 67. Frankfurter Buchmesse 2015 in Frankfurt/Main.
Najem Wali auf der Frankfurter Buchmesse © dpa / picture alliance / Uwe Zucci

Scheinheilige Oberschicht in Saudi-Arabien

So wie Sara stellvertretend für alle jungen, mutigen Frauen steht, so steht auch ihr Onkel nicht nur für sich: Er akquiriert junge Männer und Frauen für den Krieg in Afghanistan. Ein Salafist, dessen Behörde direkt dem König unterstellt ist – damit kritisiert Wali auch Saudi-Arabiens Haltung zum islamistischen Terror. Außerdem verkörpert der Onkel die immens reiche, scheinheilige Oberschicht, die Recht und Gesetz zum eigenen Vorteil verbiegt und bricht.
Walis Empörung über diese Zustände ist im Roman genau so spürbar wie seine immense Empathie für Sara. Er erzählt weitschweifig, mit vielen Wiederholungen und manch altmodischer Formulierung. Vielleicht ist diese Sprache auch Ausdruck davon, dass sich Sara eben nicht ohne Weiteres von den Traditionen ihres Landes befreien kann. Denn der immerwährende Kreislauf aus Gewalt und Gegengewalt ist nicht so leicht zu durchbrechen – dass Frauen bald Autofahren dürfen, ist nur ein kleiner Schritt auf einem langen Weg. Auch das macht dieser Roman bewusst.
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