Country-Musiker, die wie Rapper klingen
Die Country-Musik zeigt sich wandelbar und folgt bisweilen den Trends aus dem Pop- und Rockbereich. Eines behält sie allerdings bei: Jeder gute Country-Song erzähle eine Geschichte, sagt der Musikjournalist Alfred Soto.
Carsten Rochow: Wenn man sich heute die Billboard-Top-Ten der Countrymusic anhört, findet man dort Leute wie Sam Hunt, Brett Young, Jon Pardi oder Luke Combs – Musik, die ganz ähnlich klingt wie die Pop-Charts, eigentlich ist sie nur noch gewürzt mit Country-Elementen. Ist es das, was man in den USA heute meint, wenn man von Countrymusic spricht?
Alfred Soto: Country-Musik reflektiert immer das, was in den Pop-Charts passiert. Schon in den späten 70ern haben Künstlerinnen wie Dolly Parton Disco-Remixe ihrer Songs gemacht, oder Ende der 80er/Anfang der 90er gab’s Bands mit breitem Gitarrensound und knackigen Drums, wie man es von Bon Jovi oder einigen Glam-Metal-Bands kannte.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass Country und die Pop-Charts ein gesundes Verhältnis haben. Und jetzt tendiert der Sound zu elektronischen Elementen, Scratching und Hiphop-Beats. Ich glaube, jemand, dem Country nicht so geläufig ist, findet das ziemlich schockierend.
Rochow: Es gab auch früher schon Musik, die mehr Pop als Country war, Dolly Parton haben Sie gerade erwähnt, ein anderes Beispiel wäre John Denver, der auch eher Pop- als Countrymusiker war. Wofür, glauben Sie, stehen diese Country-Klänge in der Popmusik, welche Botschaft transportieren sie, welches Gefühl geben sie ihren Hörern?
In Country-Songs werden Geschichten erzählt
Soto: Die besten Country-Songs befassen sich mit Erzählungen. Sie erzählen Geschichten übers Landleben, über Männer und Frauen, die sich an Jobs klammern, für die sie kaum ausgebildet sind. Es sind ganz vielfältige Themen bis hin zu Tabletten- und Alkoholabhängigkeit. Countrymusik unterscheidet sich von anderen Genres durch den großen Wert, der auf das Geschichtenerzählen gelegt wird. Und auch wenn’s merkwürdig klingt, das ist, was sie mit Hiphop gemein hat.
Rochow: Country gilt ja als konservatives Genre, gleichzeitig gibt es Country ja in so ziemlich allen Ausprägungen, auch eine queere Countryszene hat sich längst entwickelt. Gibt es irgendetwas, das Country heute NICHT ist?
Soto: Ich möchte davor warnen, die politischen Untertöne von Countrymusik zu verallgemeinern. Es stimmt zwar, dass viele Interpreten aus Staaten mit Republikanischer Mehrheit, den sogenannten "Red States" stammen. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Songs eine konservative Sichtweise transportieren.
Aber was man bei Künstlern wie Luke Bryan und Brad Paisley und ganz bestimmt auch bei vielen Frauen in der Countryszene sieht - die meiner Meinung nach die interessanteste Musik machen – das ist, dass sie Veränderungen widerstreben, die für die meisten von uns unvermeidbar sind, aber sie sehen das als Zerstörung ihres Lebensstils. Ich vermute, dass man das konservativ nennen darf. Aber ich möchte trotzdem davor warnen, davon gleich auf ihre politischen Neigungen zu schließen.
Rochow: Gibt es auch eine starke Verbindung zwischen Trump und der Countryszene? Hat Country eine große Rolle in Trumps Wahlkampf gespielt, und hatte die Wahl Donald Trumps auch eine Auswirkung auf die Countryszene?
Mit politischen Statements ist die Szene vorsichtig
Soto: Das ist schwer zu sagen. Der Sänger Toby Keith, der früher einmal ein radikaler Demokrat war, hat ja Trumps Wahlkampf unterstützt. Aber ich würde sagen, insgesamt ist Nashville eher zurückhaltend, was die Unterstützung von Politikern angeht.
Brad Paisley hat ja damals Barack Obama unterstützt, was man ja auch eher nicht erwartet hätte. Aber Countrymusiker sind da eher vorsichtig, auch in den ersten hundert Tagen von Trumps Amtszeit haben sie sich nicht gerade durch politische Statements hervorgetan.
Rochow: Die schwarze Countrysängerin Rissi Palmer hat vor ein paar Jahren gesagt: "Gute Country-Texte sprechen menschliche Grundwahrheiten jenseits aller Hautfarben an. Jeder kann sich mit den tragischen Details identifizieren." Ist Country eine Universalmusik? Vielleicht eine Musik, die für die USA eine vereinigende Kraft hat, auch zwischen Schwarz und Weiß?
Soto: Ich denke ja. Die beste Countrymusik hat schon immer Geschichten erzählt, von George Jones bis Miranda Lambert. Und je spezieller eine Geschichte ist, desto größere Aufmerksamkeit bekommt sie, das ist das Paradox der Kunst: Je mehr man ins Detail geht, desto besser können die Hörer sich damit identifizieren. Ich denke, die beste Countrymusik ist die, mit der sich alle Amerikaner identifizieren können.
Rochow: Wo spielt sich Country in den USA ab – sicherlich nicht nur in Nashville?
Nashville ist mehr Symbol als Zentrum
Soto: Nashville ist eher ein Symbol für Countrymusik als ihr Zentrum. Die beste Countrymusik kommt zurzeit von Frauen, in der Nachfolge von Miranda Lambert: Frauen wie Ashley Monroe, Angaleena Presley, oder eine jüngere Sängerin namens Maren Morris, die gerade einen Grammy gewonnen hat. Vergessen Sie die Jungs! Sam Hunt ist vielleicht noch jemand, der einen interessanten Sound hat, aber im Moment sind es die Frauen, die die besten Songs schreiben, sie am besten singen und die auch inhaltlich die interessantesten Positionen haben.
Rochow: Zu Beginn unseres Gesprächs haben Sie schon darüber gesprochen, wie verschiedene Einflüsse im Country repräsentiert werden. Gibt es ganz aktuell auch neue Trends in der Countrymusik?
Soto: Von Sam Hunt habe ich ja gesprochen, er hat als erster Countrymusiker seit einigen Jahren ein Album in den Popmusik-Top-Ten. Aber es ist ja auch fast ein Clubmusik-Album. Es ist auf jeden Fall eine neue Entwicklung, dass Countrymusik nach den Maßstäben der aktuellsten Popmusik produziert wird. Ich warte eigentlich nur noch auf den Countrymusiker, der klingt wie der Rapper Drake. Pop und Country haben sich noch nie so stark gegenseitig beeinflusst. Insofern ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein solcher Künstler auftaucht, wobei ich hoffe, dass es eine Frau sein wird.
(ahe)