Nicht Mekka, sondern Zehrensdorf
Auf dem ehemaligen Dorffriedhof von Zehrensdorf, 80 Kilometer südlich von Berlin, befinden sich die Gräber von hunderten muslimischen Toten. Errichtet vom deutschen Kriegsministerium. Auf Seiten der Alliierten kämpften im ersten Weltkrieg mehrere tausende Muslime. Viele von ihnen gerieten im Verlauf des Krieges in deutsche Kriegsgefangenschaft. Hunderte starben später während der Inhaftierung.
Fünf Mal am Tag hören die Einwohner in Wünsdorf bei Berlin den Muezzin, wie er die Menschen zum Gebet ruft. Nicht heute, sondern im Herbst 1914. Also bereits vor 90 Jahren.
Kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs wurden in dem kleinen märkischen Ort Wünsdorf, ungefähr eine Autostunde vom Berliner Kurfürstendamm entfernt, die ersten Kriegsgefangenen interniert. Afrikaner aus den französischen Kolonien, Inder aus dem ehemaligen Commonwealth und muslimische Tataren und Georgier. Sie alle kamen in die so genannten Halbmondlager nach Wünsdorf. Wie der Name es schon sagt, waren die Baracken in dem Lager halbmondförmig angelegt. Im Zentrum stand die Moschee. Die erste Deutschlands überhaupt. In nur fünfwöchiger Bauzeit entstand sie.
Der Wald hier wächst wild und krumm. Ein richtiges Dickicht. Und wechselt sich ab, mit schier endlos sandigen Hügeln. Zwischen den Bäumen versteckt sieht man schlossartige neoklassizistische Villen. Die meisten von ihnen leerstehend. Und oft noch mit den alten Insignien der Roten Armee versehen, die bis 1994 hier ihr Oberkommando Westeuropas stationiert hatte. Daneben stehen Bunkeranlagen aus den Zeiten des 2. Weltkrieges. Dann ein kleines grünes Zeichen: Kriegsgräberstätte. Das führt zu einem ganz besonderen Friedhof, der in Deutschland seinesgleichen sucht. Denn hier wurden in der Zeit zwischen 1914 und 1918 Christen, Moslems, Hindus und Sikhs einträchtig nebeneinander bestattet.
Leicht aufgeregt und mit hastiger Stimme erzählt der 71-jährige Werner Lehse, der Wünsdorfer Chronist, und erste Nachwendebürgermeister des Ortes von dem einzigen muslimischen Friedhof in der Mark Brandenburg.
Der entstand exakt an der Stelle an der sich der frühere Zehrensdorfer Friedhof befand. Ein Dorf das seit 1911 von der Landkarte verschwunden ist.
"Ein kleines Bauerndorf mit nur 140 Einwohnern, das lag nun mittendrin im Militärbezirk, und musste nun weichen. Im Jahr 1911 wurde es dann evakuiert, die Bevölkerung wurde umgesiedelt, entschädigt, dass sie ihre Häuser verlassen mussten. Und hier auf dieser Anhöhe, auf diesem Plateau befand sich der Dorffriedhof Zehrensdorf."
Mitten im Zentrum des Friedhofs sind noch die Grundmauern der alten Friedhofskapelle mit den alten zerbrochenen Grabsteinen zu sehen. Und eine drei Meter hohe sechseckige Bronzestele. Ein erst im letzten Jahr errichtetes Denkmal.
Im oberen Bereich ist ein umlaufendes Fries mit den Symbolen der fünf Weltreligionen zu sehen. Auf den sechs Seiten sind die Namen der knapp 900 Toten eingraviert die hier ihre letzte Ruhe fanden.
Die meisten von ihnen: Muslime, die während des 1. Weltkriegs in den so genannten Sonderlagern im benachbarten Zossen und Wünsdorf interniert waren. Sie starben aber nicht wegen der Lagerbedingungen, sondern weil sie einfach mit den klimatischen Bedingungen des rauen Nordens nicht klar kamen, erzählt Werner Lehse:
"Nicht, und deshalb starben in der ersten Zeit relativ viel, bevor sie sich akklimatisiert hatten. Das waren doch eine ganze Menge, die ins Gras bissen."
Hindus und Sikhs, die hier auch ihre letzte Ruhestätte fanden, haben auf dem Zehrensdorfer Friedhof eigene Gräber und ein eigenes Ehrenmal. Höchstpersönlich betreut vom englischen Königshaus, und der War Graves Commission des Commonwealth.
Auffallend: der Gedenkstein für die toten Tataren. Friedhofskenner Lehse beginnt zu schwärmen.
"Es ist also noch der Originalstein, der war irgendwie – ich weiß nicht mit was für Technik man das gemacht hat – heruntergezogen, herunter gestoßen worden. Der Sockel wurde wieder neu genutzt. Man hat ihn wieder raufgestellt. Es fehlen aber die aus Stein gehauenen Turbane, die praktisch auf jeder Ecke standen. Man sieht hier noch die Anker auf der sie sich befanden. Die fehlen als Original."
Mit einer in Deutsch und Turko-Tartarischen Inschrift versehen. "Grabstätte der kriegsgefangenen mohammedanischen Kasan Tartaren die unter der Regierung Wilhelm des II während des Weltkriegs starben". Entworfen von Otto Stiehl, einem Architekten. Er war der stellvertretende Kommandant der Wünsdorfer Sonderlager und ein sehr ambitionierter Fotograf, der den Alltag in Wünsdorf während des Krieges sehr detailreich dokumentierte. Fotos, die bis heute erhalten sind und in den Archiven des Berliner Museums für Europäische Kulturen lagern. Dias, die es möglich machen, dass wir uns heute noch ein Bild von der damaligen Zeit in Wünsdorf und Umgebung machen können. Vor ein paar Jahren von der Berliner Ethnologin Margot Kahleyss in einer Holzkiste gefunden.
"Ich hab mir die Fotos angeschaut, zum Teil sah es da aus wie in Arabien. Lawrence von Arabia. Friedhof, Sand, Leute in arabischer Kleidung. Andererseits gab es geschnitzte Ortsschilder von Zossen, Lager und Kommandantur. Das machte wenig Sinn zusammen, da bin ich aufgrund der Ortsschilder nachgegangen. So war das damals."
Und durch Archivstudien, unter anderem beim Auswärtigen Amt, ist sie schnell auf die Sonderlager des Ersten Weltkriegs gestoßen.
Dabei auch ein Foto von der Einweihung des Tatarendenkmals während des Bairamfestes. Das Fest des Fastenbrechens unmittelbar nach dem Ramadan: im August 1916 unter Anwesenheit türkischer Offiziere und des Botschafters.
Für die Deutschen waren die wichtigen islamischen Feste fest in die Kalender eingeschrieben. Und wurden prächtig gefeiert. Zum einen konnten sie so den Menschen und der Welt zeigen, wie eng das Verhältnis zwischen ihnen und den Muslimen ist. Zum anderen konnten sie die gute Behandlung der Gefangenen unter Beweis stellen.
Ein Thema, das auch den Berliner Künstler und Filmemacher Philip Schefner sehr beschäftigt und ihn bewogen haben, mit Unterstützung des Hauptstadtkulturfonds, eine Ausstellung über die muslimischen Halbmondlager vorzubereiten.
"Das Ziel dieser Sonderlager war, die Gefangenen durch so genannte gute Behandlung und ihre Möglichkeit ihre jeweilige Religionspraktiken auszuüben, zu überzeugen und für Deutschland und das osmanische Reich in den Krieg zu ziehen. Das war die Idee. Und die gute Behandlung, von der immer geredet wird, muss man auch unter diesem Aspekt sehen. Und was das bedeutet, ist sehr fraglich, zwiespältig. Darüber gibt es sehr unterschiedliche Darstellungen. Das Problem ist nun, dass es nur sehr wenige Darstellungen der Gefangenen selber gibt."
Nicht weit vom Ehrenmal für die gestorbenen Tataren steht der monolithisch wirkende so genannte Araberstein. Ein massiver Felsquader aus rotem Sandstein. Errichtet 1916 für die gefallenen muslimischen Nordafrikaner, die Frankreich an die Front geschickt hat. Der Gedenkstein steht in Richtung Mekka und schräg zum Hauptweg, genau so wie der Islam es fordert. Eingeschrieben ist auf ihm, die 55. Koransure. Kunstvoll eingraviert in arabischer Schrift. Darüber die deutsche Übersetzung der Schahada, des islamischen Glaubensbekenntnisses.
Über die Jahrzehnte hinweg sind die Schriftzüge jedoch sehr verblasst, und daher zum Teil nur noch schwer lesbar. Friedhofkenner Werner Lehse probiert es trotzdem:
"’Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist Gottes Prophet. Wir schritten die Wege, die uns die Allmacht gab. Von der Bahn seines Schicksals weicht keiner auf Erden ab. In welchem Lande einen Menschen bestimmt. Dort und sonst nirgends findet er Tod und Grab.’ Und dann folgt aus der 55. Sure des Korans: Der Allbarmherzige. Und dann folgt noch ein Pentagramm ein fünfzackiger Stern."
In Wünsdorf ist der Friedhof das letzte sichtbare Zeugnis aus der Zeit der Halbmondlager, als das Deutsche Kaiserreich versuchte, überwiegend muslimische Gefangene durch Propaganda gegen seine Dienstherren zu mobilisieren. Dafür tat man alles. Und baute deshalb sogar eine Moschee in den märkischen Sand. Die erste Moschee auf deutschem Boden, die rein für die sakrale Nutzung gedacht war. Ein Holzbau, mit einem 25 Meter hohen Minarett.
"Also man hatte die Vorstellung, dass, wenn man die an einem Ort hat, dort politische hetzerische Reden hält, dass man sie dazu bewegen könnte, sich dem Dschihad der Türkei anzuschließen. Die Türkei, also das osmanische Reich, war seit 1915 mit dem Deutschen Reich verbündet und man hat sich einfach erhofft, wenn man es den Internierten entsprechend schmackhaft macht, dass sie sich diesem Dschihad anschließen. Es war so was wie eine von oben gewollte Subversionsstrategie."
Die allerdings niemals die gewünschten Erfolge zeigte, erzählt die 33-jährige Britta Lange. Historikerin am Berliner Max Planck Institut für Wissenschaftsgeschichte.
Die Wünsdorfer Moschee wurde nach 1918 noch eine Zeit von der Berliner islamischen Gemeinde genutzt, verfiel dann aber immer mehr, so dass sie schließlich 1925 abgerissen wurde. Ein ähnliches Schicksal widerfuhr dem Friedhof. Er geriet zunehmend in Vergessenheit und verwilderte, da er mitten im militärischen Sperrgebiet lag. Noch in den späten zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts exhumierten die Franzosen ihre Toten und begruben sie in den großen Kriegsgräberstätten bei Verdun und Langemarck. Während des 2. Weltkriegs wurde der Friedhof noch mal kurz genutzt, für die Toten, die während der Luftangriffe auf Wünsdorf ums Leben kamen.
Danach verschwand der Friedhof vollends.
Von 1945 bis 1994 war Wünsdorf rein russisches Gebiet. Hier war das Oberkommando der Weststreitkräfte der Roten Armee beheimatet. Und sie ließen, obwohl viele russische Menschen auf dem muslimischen Friedhof bestattet wurden, den ersten muslimischen Friedhof Deutschlands total verfallen und der Vergessenheit anheim fallen.
"Welcher Vandalismus hier geherrscht hat: Man kann es sich kaum vorstellen. Gesehen habe ich ihn zum ersten Mal wieder 1993, als die Russen noch aktiv waren. 1994 war hier kaum etwas zu sehen. Alles verwachsen. Von den kleinen Grabsteinen war kaum noch einer da. Die großen Grabsteine waren zum Teil zerstört, zum Teil vom Sockel gerissen worden."
1995 wurde dieser einzigartige interkonfessionelle Friedhof unter Denkmalschutz gestellt. 300.000 Euro hat der Bund für die Sanierung gezahlt, eine ähnlich hohe Summe kam noch vom englischen Königshaus hinzu.
Heute ist der Friedhof wieder jedem zugänglich. Über dem Eingangstor steht in drei Sprachen das Wort Friedhof. Und eine Tafel weist auf die wechselvolle Geschichte hin. Ein muslimischer Friedhof mitten in Brandenburg, auf dem aber auch Christen, Hindus und Sikhs bestattet worden sind. Das so was möglich ist und sogar bereits möglich war klingt heutzutage fast ein bisschen utopisch.
Kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs wurden in dem kleinen märkischen Ort Wünsdorf, ungefähr eine Autostunde vom Berliner Kurfürstendamm entfernt, die ersten Kriegsgefangenen interniert. Afrikaner aus den französischen Kolonien, Inder aus dem ehemaligen Commonwealth und muslimische Tataren und Georgier. Sie alle kamen in die so genannten Halbmondlager nach Wünsdorf. Wie der Name es schon sagt, waren die Baracken in dem Lager halbmondförmig angelegt. Im Zentrum stand die Moschee. Die erste Deutschlands überhaupt. In nur fünfwöchiger Bauzeit entstand sie.
Der Wald hier wächst wild und krumm. Ein richtiges Dickicht. Und wechselt sich ab, mit schier endlos sandigen Hügeln. Zwischen den Bäumen versteckt sieht man schlossartige neoklassizistische Villen. Die meisten von ihnen leerstehend. Und oft noch mit den alten Insignien der Roten Armee versehen, die bis 1994 hier ihr Oberkommando Westeuropas stationiert hatte. Daneben stehen Bunkeranlagen aus den Zeiten des 2. Weltkrieges. Dann ein kleines grünes Zeichen: Kriegsgräberstätte. Das führt zu einem ganz besonderen Friedhof, der in Deutschland seinesgleichen sucht. Denn hier wurden in der Zeit zwischen 1914 und 1918 Christen, Moslems, Hindus und Sikhs einträchtig nebeneinander bestattet.
Leicht aufgeregt und mit hastiger Stimme erzählt der 71-jährige Werner Lehse, der Wünsdorfer Chronist, und erste Nachwendebürgermeister des Ortes von dem einzigen muslimischen Friedhof in der Mark Brandenburg.
Der entstand exakt an der Stelle an der sich der frühere Zehrensdorfer Friedhof befand. Ein Dorf das seit 1911 von der Landkarte verschwunden ist.
"Ein kleines Bauerndorf mit nur 140 Einwohnern, das lag nun mittendrin im Militärbezirk, und musste nun weichen. Im Jahr 1911 wurde es dann evakuiert, die Bevölkerung wurde umgesiedelt, entschädigt, dass sie ihre Häuser verlassen mussten. Und hier auf dieser Anhöhe, auf diesem Plateau befand sich der Dorffriedhof Zehrensdorf."
Mitten im Zentrum des Friedhofs sind noch die Grundmauern der alten Friedhofskapelle mit den alten zerbrochenen Grabsteinen zu sehen. Und eine drei Meter hohe sechseckige Bronzestele. Ein erst im letzten Jahr errichtetes Denkmal.
Im oberen Bereich ist ein umlaufendes Fries mit den Symbolen der fünf Weltreligionen zu sehen. Auf den sechs Seiten sind die Namen der knapp 900 Toten eingraviert die hier ihre letzte Ruhe fanden.
Die meisten von ihnen: Muslime, die während des 1. Weltkriegs in den so genannten Sonderlagern im benachbarten Zossen und Wünsdorf interniert waren. Sie starben aber nicht wegen der Lagerbedingungen, sondern weil sie einfach mit den klimatischen Bedingungen des rauen Nordens nicht klar kamen, erzählt Werner Lehse:
"Nicht, und deshalb starben in der ersten Zeit relativ viel, bevor sie sich akklimatisiert hatten. Das waren doch eine ganze Menge, die ins Gras bissen."
Hindus und Sikhs, die hier auch ihre letzte Ruhestätte fanden, haben auf dem Zehrensdorfer Friedhof eigene Gräber und ein eigenes Ehrenmal. Höchstpersönlich betreut vom englischen Königshaus, und der War Graves Commission des Commonwealth.
Auffallend: der Gedenkstein für die toten Tataren. Friedhofskenner Lehse beginnt zu schwärmen.
"Es ist also noch der Originalstein, der war irgendwie – ich weiß nicht mit was für Technik man das gemacht hat – heruntergezogen, herunter gestoßen worden. Der Sockel wurde wieder neu genutzt. Man hat ihn wieder raufgestellt. Es fehlen aber die aus Stein gehauenen Turbane, die praktisch auf jeder Ecke standen. Man sieht hier noch die Anker auf der sie sich befanden. Die fehlen als Original."
Mit einer in Deutsch und Turko-Tartarischen Inschrift versehen. "Grabstätte der kriegsgefangenen mohammedanischen Kasan Tartaren die unter der Regierung Wilhelm des II während des Weltkriegs starben". Entworfen von Otto Stiehl, einem Architekten. Er war der stellvertretende Kommandant der Wünsdorfer Sonderlager und ein sehr ambitionierter Fotograf, der den Alltag in Wünsdorf während des Krieges sehr detailreich dokumentierte. Fotos, die bis heute erhalten sind und in den Archiven des Berliner Museums für Europäische Kulturen lagern. Dias, die es möglich machen, dass wir uns heute noch ein Bild von der damaligen Zeit in Wünsdorf und Umgebung machen können. Vor ein paar Jahren von der Berliner Ethnologin Margot Kahleyss in einer Holzkiste gefunden.
"Ich hab mir die Fotos angeschaut, zum Teil sah es da aus wie in Arabien. Lawrence von Arabia. Friedhof, Sand, Leute in arabischer Kleidung. Andererseits gab es geschnitzte Ortsschilder von Zossen, Lager und Kommandantur. Das machte wenig Sinn zusammen, da bin ich aufgrund der Ortsschilder nachgegangen. So war das damals."
Und durch Archivstudien, unter anderem beim Auswärtigen Amt, ist sie schnell auf die Sonderlager des Ersten Weltkriegs gestoßen.
Dabei auch ein Foto von der Einweihung des Tatarendenkmals während des Bairamfestes. Das Fest des Fastenbrechens unmittelbar nach dem Ramadan: im August 1916 unter Anwesenheit türkischer Offiziere und des Botschafters.
Für die Deutschen waren die wichtigen islamischen Feste fest in die Kalender eingeschrieben. Und wurden prächtig gefeiert. Zum einen konnten sie so den Menschen und der Welt zeigen, wie eng das Verhältnis zwischen ihnen und den Muslimen ist. Zum anderen konnten sie die gute Behandlung der Gefangenen unter Beweis stellen.
Ein Thema, das auch den Berliner Künstler und Filmemacher Philip Schefner sehr beschäftigt und ihn bewogen haben, mit Unterstützung des Hauptstadtkulturfonds, eine Ausstellung über die muslimischen Halbmondlager vorzubereiten.
"Das Ziel dieser Sonderlager war, die Gefangenen durch so genannte gute Behandlung und ihre Möglichkeit ihre jeweilige Religionspraktiken auszuüben, zu überzeugen und für Deutschland und das osmanische Reich in den Krieg zu ziehen. Das war die Idee. Und die gute Behandlung, von der immer geredet wird, muss man auch unter diesem Aspekt sehen. Und was das bedeutet, ist sehr fraglich, zwiespältig. Darüber gibt es sehr unterschiedliche Darstellungen. Das Problem ist nun, dass es nur sehr wenige Darstellungen der Gefangenen selber gibt."
Nicht weit vom Ehrenmal für die gestorbenen Tataren steht der monolithisch wirkende so genannte Araberstein. Ein massiver Felsquader aus rotem Sandstein. Errichtet 1916 für die gefallenen muslimischen Nordafrikaner, die Frankreich an die Front geschickt hat. Der Gedenkstein steht in Richtung Mekka und schräg zum Hauptweg, genau so wie der Islam es fordert. Eingeschrieben ist auf ihm, die 55. Koransure. Kunstvoll eingraviert in arabischer Schrift. Darüber die deutsche Übersetzung der Schahada, des islamischen Glaubensbekenntnisses.
Über die Jahrzehnte hinweg sind die Schriftzüge jedoch sehr verblasst, und daher zum Teil nur noch schwer lesbar. Friedhofkenner Werner Lehse probiert es trotzdem:
"’Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist Gottes Prophet. Wir schritten die Wege, die uns die Allmacht gab. Von der Bahn seines Schicksals weicht keiner auf Erden ab. In welchem Lande einen Menschen bestimmt. Dort und sonst nirgends findet er Tod und Grab.’ Und dann folgt aus der 55. Sure des Korans: Der Allbarmherzige. Und dann folgt noch ein Pentagramm ein fünfzackiger Stern."
In Wünsdorf ist der Friedhof das letzte sichtbare Zeugnis aus der Zeit der Halbmondlager, als das Deutsche Kaiserreich versuchte, überwiegend muslimische Gefangene durch Propaganda gegen seine Dienstherren zu mobilisieren. Dafür tat man alles. Und baute deshalb sogar eine Moschee in den märkischen Sand. Die erste Moschee auf deutschem Boden, die rein für die sakrale Nutzung gedacht war. Ein Holzbau, mit einem 25 Meter hohen Minarett.
"Also man hatte die Vorstellung, dass, wenn man die an einem Ort hat, dort politische hetzerische Reden hält, dass man sie dazu bewegen könnte, sich dem Dschihad der Türkei anzuschließen. Die Türkei, also das osmanische Reich, war seit 1915 mit dem Deutschen Reich verbündet und man hat sich einfach erhofft, wenn man es den Internierten entsprechend schmackhaft macht, dass sie sich diesem Dschihad anschließen. Es war so was wie eine von oben gewollte Subversionsstrategie."
Die allerdings niemals die gewünschten Erfolge zeigte, erzählt die 33-jährige Britta Lange. Historikerin am Berliner Max Planck Institut für Wissenschaftsgeschichte.
Die Wünsdorfer Moschee wurde nach 1918 noch eine Zeit von der Berliner islamischen Gemeinde genutzt, verfiel dann aber immer mehr, so dass sie schließlich 1925 abgerissen wurde. Ein ähnliches Schicksal widerfuhr dem Friedhof. Er geriet zunehmend in Vergessenheit und verwilderte, da er mitten im militärischen Sperrgebiet lag. Noch in den späten zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts exhumierten die Franzosen ihre Toten und begruben sie in den großen Kriegsgräberstätten bei Verdun und Langemarck. Während des 2. Weltkriegs wurde der Friedhof noch mal kurz genutzt, für die Toten, die während der Luftangriffe auf Wünsdorf ums Leben kamen.
Danach verschwand der Friedhof vollends.
Von 1945 bis 1994 war Wünsdorf rein russisches Gebiet. Hier war das Oberkommando der Weststreitkräfte der Roten Armee beheimatet. Und sie ließen, obwohl viele russische Menschen auf dem muslimischen Friedhof bestattet wurden, den ersten muslimischen Friedhof Deutschlands total verfallen und der Vergessenheit anheim fallen.
"Welcher Vandalismus hier geherrscht hat: Man kann es sich kaum vorstellen. Gesehen habe ich ihn zum ersten Mal wieder 1993, als die Russen noch aktiv waren. 1994 war hier kaum etwas zu sehen. Alles verwachsen. Von den kleinen Grabsteinen war kaum noch einer da. Die großen Grabsteine waren zum Teil zerstört, zum Teil vom Sockel gerissen worden."
1995 wurde dieser einzigartige interkonfessionelle Friedhof unter Denkmalschutz gestellt. 300.000 Euro hat der Bund für die Sanierung gezahlt, eine ähnlich hohe Summe kam noch vom englischen Königshaus hinzu.
Heute ist der Friedhof wieder jedem zugänglich. Über dem Eingangstor steht in drei Sprachen das Wort Friedhof. Und eine Tafel weist auf die wechselvolle Geschichte hin. Ein muslimischer Friedhof mitten in Brandenburg, auf dem aber auch Christen, Hindus und Sikhs bestattet worden sind. Das so was möglich ist und sogar bereits möglich war klingt heutzutage fast ein bisschen utopisch.