Niedergang eines Drogenbosses
In einer mexikanischen Stadt nahe der Grenze zu den USA lebt der obdachlose Straßenmusiker El Lobo. Beim Singen in einer Kneipe wird er von einem Drogenbaron "entdeckt", und damit ändert sich für ihn alles.
In einer mexikanischen Stadt nahe der Grenze zu den USA - es könnte Ciudad Juarez sein oder eine andere der berüchtigten Hochburgen des transnationalen Drogenhandels – lebt der obdachlose Straßenmusiker El Lobo. Beim Singen in einer Kneipe wird er von einem Drogenbaron "entdeckt", und damit ändert sich für ihn alles. Sein Leben, bislang nur "eine Strichliste von Tagen voll Staub und Sonne", bekommt nun Orientierung, Sinn und ja: Größe.
In seinem Erstlingsroman erzählt der Mexikaner Yuri Herrera vom Leben am Hofe des Drogenkönigs. In der riesigen Palastanlage mit zahlreichen Häusern, Wegen und Gärten, labyrinthischen Fluren und ineinander übergehenden Höfen, umgeben von hohen Zäunen und Wüste, dreht sich alles um den Willen des Herrschers. El Lobo wird der Hofsänger, der Heldenlieder zu Ehren des Königs und seiner Vasallen dichtet und vorträgt.
Solche Lieder, genannt narcocorridos, Drogenballaden, kann man in Mexico überall auf der Straße hören; oft auch im Radio. Die Drogenkartelle halten sich gerne eigene Bands und Komponisten und sorgen für den Vertrieb der CDs – also dafür, dass die Gesänge von Glanz und Größe der Narcos ihr Publikum finden.
Yuri Herreras kleiner, aber immens dichter Roman hat selbst etwas von einem Narcocorrido, jedenfalls zu Anfang: Denn El Lobo, der Erzähler, sieht in seinem "König" zunächst keinen Verbrecher, sondern einen großen Herrscher und Wohltäter. "Dass er das Gift rüberschaffte, nach dem man drüben verlangte, na wenn schon? Sollen sie's haben. Sollen sie's nehmen." Dass damit nicht nur den verhassten Yankees Schaden zugefügt wird, sondern auch ihm selbst und seinesgleichen, dämmert dem Sänger nur sehr langsam.
Im Palast beginnt El Lobo Bücher zu lesen, die ihm ein vom König gekaufter Journalist leiht; und je mehr er Worte verstehen und einzusetzen lernt, desto klarer wird sein Blick auf die wichtigen Figuren des Kartells, auf die Strukturen der Gewalt, in der sie alle leben.
Geschrieben in einer Sprache, die aus dem Gesang geboren ist, stellt Herreras eher poetische denn reißerische Geschichte vom Niedergang eines Drogenbosses eine aktuelle und hochinteressante Variante des lateinamerikanischen Diktatorenromans dar: die Prosa-Fassung einer mexikanischen Heldenballade.
Besprochen von Katharina Döbler
Yuri Herrera: Abgesang des Königs
Aus dem Spanischen von Susanne Lange
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2011
128 Seiten, 14 Euro
In seinem Erstlingsroman erzählt der Mexikaner Yuri Herrera vom Leben am Hofe des Drogenkönigs. In der riesigen Palastanlage mit zahlreichen Häusern, Wegen und Gärten, labyrinthischen Fluren und ineinander übergehenden Höfen, umgeben von hohen Zäunen und Wüste, dreht sich alles um den Willen des Herrschers. El Lobo wird der Hofsänger, der Heldenlieder zu Ehren des Königs und seiner Vasallen dichtet und vorträgt.
Solche Lieder, genannt narcocorridos, Drogenballaden, kann man in Mexico überall auf der Straße hören; oft auch im Radio. Die Drogenkartelle halten sich gerne eigene Bands und Komponisten und sorgen für den Vertrieb der CDs – also dafür, dass die Gesänge von Glanz und Größe der Narcos ihr Publikum finden.
Yuri Herreras kleiner, aber immens dichter Roman hat selbst etwas von einem Narcocorrido, jedenfalls zu Anfang: Denn El Lobo, der Erzähler, sieht in seinem "König" zunächst keinen Verbrecher, sondern einen großen Herrscher und Wohltäter. "Dass er das Gift rüberschaffte, nach dem man drüben verlangte, na wenn schon? Sollen sie's haben. Sollen sie's nehmen." Dass damit nicht nur den verhassten Yankees Schaden zugefügt wird, sondern auch ihm selbst und seinesgleichen, dämmert dem Sänger nur sehr langsam.
Im Palast beginnt El Lobo Bücher zu lesen, die ihm ein vom König gekaufter Journalist leiht; und je mehr er Worte verstehen und einzusetzen lernt, desto klarer wird sein Blick auf die wichtigen Figuren des Kartells, auf die Strukturen der Gewalt, in der sie alle leben.
Geschrieben in einer Sprache, die aus dem Gesang geboren ist, stellt Herreras eher poetische denn reißerische Geschichte vom Niedergang eines Drogenbosses eine aktuelle und hochinteressante Variante des lateinamerikanischen Diktatorenromans dar: die Prosa-Fassung einer mexikanischen Heldenballade.
Besprochen von Katharina Döbler
Yuri Herrera: Abgesang des Königs
Aus dem Spanischen von Susanne Lange
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2011
128 Seiten, 14 Euro