Niedriglohnsektor

Deutschland, deine Sklaven

Reinigungskraft der MVG Münchner Verkehrsgesellschaft reinigt die U Bahn Station Marienplatz in München
In Niedriglohnsektor kommt vom Wirtschaftswachstum kaum etwas an. © imago/Ralph Peters
Von Uwe Bork |
Die deutsche Wirtschaft wächst, die Zahl der Arbeitslosen sinkt, auch die Löhne steigen - doch davon profitieren längst nicht alle: Immer mehr Menschen arbeiten in Teilzeit- und Minijobs. Wer hier arbeitet, bekommt von den Lohnsteigerungen so gut wie nichts mit.
Onkel Toms Hütte kann auch irgendwo am Neckar stehen. Sklavenhandel, so eine Stuttgarter Arbeitsrechtlerin, Sklavenhandel gibt es nämlich immer noch, sogar dort, wo Deutschland am reichsten ist. Bei Paketdiensten, im Baugewerbe, in der Gebäudereinigung, der Pflege sowie der Gastronomie arbeiten Menschen häufig unter Bedingungen, die es so eigentlich gar nicht geben dürfte.
Natürlich sind sie keine Sklaven im strengen Sinne des Wortes, obwohl es auch Leibeigenschaft gerade da noch gibt, wo genau dieser Leib verkauft werden soll. Nein, ich rede hier nicht von jenem internationalen Menschenhandel, der mit verheerenden Auswirkungen die Prostitution bestimmt, ich meine die Arbeitsverhältnisse, die auf den ersten Blick ganz normal aussehen. Nur dass die Arbeitnehmer hier eben oft miserabel bezahlt sind, dass sie um Überstunden und Lohn betrogen werden, dass sie gar keinen oder nur einen befristeten Vertrag haben. Ausbeutung in ihrem schlechtesten Sinne eben.

Knapp 10 Prozent der Beschäftigten sind arm

Deutschlands dunkler Arbeitsmarkt wächst, und er wächst nicht zuletzt durch Zuwanderung. Viele derjenigen, die bei uns Lohn und Brot suchen, stammen aus den Ländern der Europäischen Union, die von der wirtschaftlichen Entwicklung im merkelschen Wunderland nur träumen können. Allein in Stuttgart stieg so die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten EU-Ausländer von rund 50.000 im Jahr 2011 auf über 66.000 im vergangenen Jahr. Die schutzlos schuftenden Armutsflüchtlinge aus Afrika sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt.
Die Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes warnt deshalb davor, dass in Europa immer mehr Menschen als arm angesehen werden müssen, obwohl sie doch arbeiten. In ihrer Studie kommen die Forscher für die vermeintliche 'Wohlstandsinsel' Deutschland zu alarmierenden Ergebnissen: "Am stärksten stieg die sogenannte Erwerbsarmut in den vergangenen Jahren in Deutschland", heißt es in dem Papier, und weiter: "Zwischen 2004 und 2014 hat sich der Anteil der "working poor" an allen Erwerbstätigen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren verdoppelt." Knapp 10 Prozent aller Beschäftigten bei uns sind heute arm.

Niedriglohnsektor steigt überdurchschnittlich

Kann das wirklich sein, mag man sich da fragen? Müsste nicht jeder, "der etwas Ordentliches gelernt hat", in unserer Wirtschaft eine auskömmliche Stelle finden? Die Beschäftigtenquote in Deutschland hat in den letzten Jahren zwar zugenommen, gleichzeitig ist jedoch – von der Bundesregierung zumindest billigend in Kauf genommen - auch der Niedriglohnsektor überdurchschnittlich gewachsen. In ihm finden sich nun vorzugsweise diejenigen wieder, die keine andere Wahl haben, als buchstäblich jede Arbeit anzunehmen, um ihre Familie durchzubringen. Oft sind sie aus südeuropäischen EU-Ländern zugewandert, eine neue Generation von Gastarbeitern.

Der untere Lohnsektor braucht mehr Kontrolle

Für die Arbeitgeber hat diese Zuwanderung durchaus Vorteile. Marx hätte wohl von einer neuen 'Reservearmee' gesprochen, die ihnen als billiges Arbeitskräftereservoir unverhofft zugewachsen ist. Aber auch für alle, die keine Arbeitsplätze zu vergeben haben, lassen sich Vorteile erkennen. Oma kann gerade noch bezahlbar gepflegt werden, das Schnitzel im Restaurant wird nicht zum Luxusgut, selbst das Spargelstechen und die Weinlese sind dank osteuropäischer Erntehelfer gesichert.
Alles gut also? Nicht ganz. Wenn wir so weitermachen wie bisher, müssen wir uns den Vorwurf gefallen lassen, weiterhin auf Kosten anderer zu leben, - anderer, die schwächer sind als wir. Es wird Zeit, auch im Interesse der deutschen Arbeitskräfte am unteren Ende der Lohnskala nicht nur Verbesserungen zu schaffen, sondern diese auch zu kontrollieren. Einen Sklavenmarkt, in welcher Form auch immer, dürfen wir uns nicht mehr leisten.

Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Bork arbeitete als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Stuttgarter Fernsehredaktion 'Religion, Kirche und Gesellschaft‘ des SWR. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet.

Uwe Bork
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