Geehrt für das Wachrufen der jüdischen Geschichte
Das Bewusstsein für die einst lebendige jüdische Kultur in ihren Kommunen wieder schaffen: Dazu haben in den vergangenen Jahrzehnten viele Personen und Organisationen in Deutschland beigetragen. Einige erhielten nun dafür den Obermayer German Jewish History Award.
"Ich hab selbst noch als fast 4-Jähriger die brennende Synagoge gesehen. Wunderschön. Es war auf dem flachen Lande eine der schönsten Landsynagogen, wie die große Kuppel aus einer Holzkonstruktion brennend einstürzte und die Flammen und die Funken flogen in den Himmel, alle Leute rissen mich mit nach hinten, das ist mit im Gedächtnis geblieben."
Kindheitserlebnisse vom 9. November 1938 in Hamm an der Sieg. Kindheitserlebnisse, die Horst Moog ein Leben lang begleitet haben. Fast 40 Jahre lang arbeitete er bei der Deutschen Bundesbahn. Nach Feierabend aber widmete er sich der Heimatgeschichte im Westerwald. Er begann etwa, über die Gesangs- und Sportvereine in seiner Region Chroniken zu schreiben:
"Und immer wieder tauchten Juden auf als Mitglieder im Vorstand. Und dass die gleichen Leute, die sie am Schluss verjagt und gepeinigt haben, stehen vor den Nazijahren mit ihnen zusammen im Vereinsleben. Ich wollte das alles wieder zurückholen. Nämlich alle diese Leute, die das begangen haben, waren wieder ab 1945 in Amt und Würden. Und es ist ihnen nicht viel passiert. Und für das Unglück, das sie herbeigeführt haben, war das zu wenig. Und eigenartigerweise hat man nach dem Krieg so getan, als ob es nie Juden in unserem Ort gegeben hätt."
Vorträge unter Polizeischutz
Der heute 82-jährige Moog aber fand heraus, dass rund 10 Prozent der Bevölkerung in Hamm an der Sieg vor 1933 jüdisch war. Erste Erwähnungen reichten bis in das Jahr 1663 zurück. Auf Moogs Initiative hin wurde im Hammer Kulturhaus ein kleines jüdisches Museum eingerichtet. Und Horst Moog begann, in Schulen oder kirchlichen Gemeindehäusern Vorträge zu halten. Unter Polizeischutz!
"Ich bin zwei Mal ganz massiv mit Mord bedroht worden. Hatte riesige Fangschaltungen im Haus von der Kripo, das waren damals noch in den 80er-Jahren große Schränke und ich durfte nicht mehr in der Dunkelheit raus aus meinem Haus, obwohl ich war Vorsitzender der anderen Vereine, ich war im Gemeinderat, durfte nirgendwo mehr hin, weil man Angst hatte, dass doch ein Schuss fällt."
Geschändete Friedhöfe
Die persönliche Bedrohung habe in ihm aber Trotz ausgelöst, jetzt erst recht die jüdische Geschichte seiner Heimat zu erforschen, erinnert sich Moog. Mehr als 25 Jahre hat er sich beispielsweise um den jüdischen Friedhof in Hamm an der Sieg gekümmert, in akribischer Kleinarbeit hat er die verwitterten Grabsteine gereinigt und gepflegt. Auch hier wurde seine Arbeit missachtet:
"Mir haben sie den Friedhof einige Male aber sehr geschändet. Es waren immer Jugendliche, die dann von der Kriminalpolizei ermittelt wurden. Sie haben's aus Übermut gemacht."
Deshalb ist es für Horst Moog unabdingbar, dass es viel mehr Aufklärung und Bildung sowohl über das Judentum als auch über die neuere deutsche Geschichte in Schulen geben muss.
Zusammenarbeit mit der Uni Tübingen
"Ich begrüße euch herzlich in Tailfingen. Was wir hier in Tailfingen? Ein Flughafen. Im September 1944 wurde bewilligt, dass 600 KZ-Häftlinge hierher transportiert werden sollen..."
Aufklärung und Bildung, mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. In Zusammenarbeit mit der Uni Tübingen werden Jugend-Guides zur Führung über das Gelände des KZ-Außenlagers Hailfingen-Tailfingen ausgebildet.
"Von den 600 KZ-Häftlingen haben nachweislich rund 190 nicht überlebt."
Denn die Vermittlung von Geschichte gelinge besonders gut, wenn diese durch annähernd Gleichaltrige geschehe, meint der heute pensionierte Realschullehrer Harald Roth aus dem baden-württembergischen Herrenberg. Zusammen mit seinem Kollegen Volker Mall erforschte er jahrzehntelang die Geschichte des in der Nähe gelegenen ehemaligen KZ-Außenlagers Hailfingen-Tailfingen. Heute erinnern nicht nur eine Gedenkstätte und ein Mahnmal an das Schicksal hunderter jüdischer Häftlinge. Im Sommer finden zudem zweiwöchige Workshops mit jungen Bildhauern statt:
"Zwei Teilnehmerinnen, die eine aus Russland, die andere aus Weißrussland, haben eine Dokumentation gesehen, der Dachdecker aus Birkenau, die Situation der Selektion an der Rampe, das hat die beiden jungen Frauen so bewegt. Da haben die unter Anleitung des Künstlers zwei Köpfe in Stein geschaffen, und diese beiden Skulpturen werden auf dem Gedenkpfad, das ist eine Start- und Landebahn platziert, die schauen sich an, der letzte Abschiedsblick und man weiß, man sieht sich möglicherweise nie wieder. Das ist für junge Leute eine ganz andere Erfahrung."
Mit den Jahren soll so ein immer größerer Erinnerungs- und Gedächtnispfad entstehen. Zeit zum Innehalten und zum Entdecken der eigenen lokalen Geschichte.
"Jeder hat eine Skulptur geschaffen, sind jetzt 15, sind 1800 Meter die Start- und Landebahn, da ist viel Raum für so was. Das ist eine Möglichkeit, um junge Leute einzubinden, dass sie ernstgenommen werden."
Begegnung mit einem Holocaust-Überlebenden
Persönliche Begegnung, mit historischen Orten oder eben mit Zeitzeugen. Die damaligen Religionsschüler am evangelischen Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin trafen bei einem Synagogenbesuch den Holocaust-Überlebenden Rolf Joseph. Ein Schlüsselerlebnis, erinnert sich der heutige Physik-Doktorand Simon Warnach:
"Der hat so eine Motivation versprüht. Dass wir diese Geschichte gehört haben, die ist packend. Da steht jemand, der ein einfacher Mensch ist, der sich irgendwie durchgewurschtelt hat in Berlin, war in einem Zug nach Auschwitz, ist davon runter gesprungen, war im Krankenhaus, ist aus dem zweiten Stock gesprungen, um der Gestapo zu entfliehen, hat sich dann irgendwo in einer Ruine zwei Jahre lang versteckt. Und dann haben wir uns gefragt, was ist da noch mehr, was kann er uns noch sagen und was kann er uns noch mitgeben?"
Es entstand die sogenannte Joseph-Gruppe. Bis zu seinem Tod 2012 hielten die Schüler engen Kontakt zu Rolf Joseph, schrieben ein Buch über ihn. Titel: "Ich muss weiter machen!". Aus dem Erlös des Buchverkaufs hat die Gruppe den "Rolf-Joseph-Preis" ausgelobt, um heutige Jugendliche und Schüler zu motivieren, sich mit der jüdischen Geschichte ihrer Gegend auseinanderzusetzen.
Lücken in der örtlichen Geschichte geschlossen
Ganz anders Brunhilde Stürmer aus dem rheinland-pfälzischen Niederzissen. Als sie für die Ortsgeschichte recherchierte, merkte sie, dass es keine Zeugnisse über die ehemalige Synagoge gab, die später als Schmiede genutzt wurde:
"Und deswegen habe ich einen ehemaligen Niederzissener, den Richard Berger angeschrieben und von ihm bekam ich dann einen Brief, er schickte mir fünf Original-Fotos, die er auf seiner Flucht gerettet hat. Und dieses Vertrauen, was dieser Mann in mich gesetzt hat, das hat mich so überwältigt, dass ich den Entschluss gefasst hab, jetzt interessiert mich doch die ganze Geschichte, wie es in unserem Ort vonstattengegangen ist."
Über 39 Jahre ist das her. Seitdem hat Brunhilde Stürmer nicht nur ein Buch geschrieben, sondern weltweit Kontakte mit Verwandten vertriebener und ermordeter Niederzissener Juden geknüpft. Die ehemalige Synagoge wurde zu einer Erinnerungs- und Begegnungsstätte ausgebaut. Allerdings gibt es auch Grenzen der Geschichtsaufarbeitung, weiß die Hobbyhistorikerin von Niederzissen, Brunhilde Stürmer:
"Ja ich hab auch schlechte Sachen gehört. Also wenn ich jetzt weiß, der und der, die Familien waren Nazis. Aber ich nenne keine Namen! Weil die sind tot und die Nachfahren davon, die machen voll mit. Und soll ich die jetzt belasten damit, dass ihr Opa Dreck am Stecken hatte? Wir sind ein Dorf, wo einer den anderen kennt und wir wollen friedlich miteinander leben.