Barcamp statt Bischofspredigt
Vor dem Katholikentag brachte ökumenischer Streit die Bischofskonferenz in Aufruhr. Während des Katholikentags redeten dann zwar auch Bischöfe über die Ökumene – aber vor allem brachte die Diskussion unter den Laien neuen Wind ins ökumenische Geschehen.
"Herzlich willkommen bei einer Premiere auf dem Katholikentag! Seit Jahren versucht man mal, wegzugehen vom klassischen Podium, wo vorne jemand erzählt und unten jemand verständig nickt – wir drehen den Spieß heute um, wir machen nämlich ein Barcamp und beschäftigen uns mit der Ökumene."
Kein Saal mit Stuhlreihen, sondern eine Schulaula mit zehn Tischen für je acht Personen: beim Barcamp für mehr Leichtigkeit in der Ökumene sollen alle mitreden. Barcamp, das bedeutet: wer da ist, darf was anbieten – alle Teilnehmenden schlagen Themen vor, egal welche, dann werden die Themen so verteilt, dass daraus eine Art Seminarplan entsteht. Diese Arbeitsform ist unter digital arbeitenden Menschen verbreitet und beliebt, der Katholikentag musste sich aber erst einmal damit anfreunden, sagt Sandra Bils, eine der Organisatorinnen. Vier Stunden Veranstaltung ganz ohne festes Programm?
"Weil uns wichtig war, dass man die Leute mit ihren Erfahrungen vor Ort abholt. Bei dem Barcamp war vorher gar nichts vorgegeben, da wurde gemeinsam geschaut: wer bringt welche Erfahrungen mit, die er oder sie teilen möchte, und so haben sich die Kleingruppen gefunden. Und ich glaube, dass wir für ökumenische Diskurse deswegen in manchen Settings auch andere Formen brauchen."
"Ich hab euch zwei Sessions mitgebracht: Wie digitalisiert man eine Kirche, und braucht man online überhaupt noch Konfessionen?"
"Was ökumenisch dran ist, heißt für mich beten und bauen. Was bauen wir? Wir bauen etwas Neues, vielleicht ein Gebetshaus."
"Ich bin Nähseelsorgerin und habe mitgebracht eine neue Form, in der man ökumenisch arbeiten kann, mit biblischen Erzähldecken."
"Ich bin Martin, und ich finde, was ökumenisch dran ist, ist die Frage: was ist unser Auftrag, wozu sind wir eigentlich da – und das würde ich gerne mit euch diskutieren."
Reger und direkter Austausch fernab des theologischen Streits
In erstaunlich kurzer Zeit füllen sich die Zeitpläne für die verschiedenen Gruppenräume, Jüngere wie Ältere lassen sich darauf ein, vor die anderen zu treten, Teilnehmende werden zu Referenten und Diskussionsleiterinnen, ein reger und vor allem: direkter Austausch beginnt, fernab des theologischen Streits in der Bischofskonferenz.
"Naiv nenn ich es nur, wenn du sagst, sie gehen aufeinander zu – ha! Es bleibt in diesem Jammertal der Spaltpilz, das ist die Moral, was man zuweilen Ethik nennt, das ist es, was die Kirchen trennt."
Klassischer in der Form, neu aber in der Wahl des Debattenthemas: eine Diskussion mit dem unterhaltsamen Titel "Ethische Positionen – Spaltpilz der Ökumene?"
"Du nennst es rigoros, ich nenn es Klarheit, du nennst es Starrsinn, ich nenn es Wahrheit."
Ein klug gewähltes Thema: denn wo früher galt: der Glaube trennt, die Praxis verbindet, so gehen katholische und evangelische Kirche heute immer öfter in ethischen Fragen getrennte Wege – bei der Suizidbeihilfe am Lebensende etwa oder Fragen der vorgeburtlichen Diagnostik. Allerdings auch ein sperriges Thema – denn dafür muss man unterschiedliche Herangehensweisen an ethische Entscheidungen diskutieren. Die katholische Moraltheologin Monika Bobbert:
"Was gehört zu Fragen des guten Lebens, wo müssen wir Regelungen finden, die für alle gelten? Da sind wir auch als Ethiker im Streit, und das hat tatsächlich nichts mit der Konfession zu tun, sondern mit der Frage: ist das normativ zu regeln oder nicht."
Aber trotzdem, konterte der evangelische Ethiker Peter Dabrock, der auch Vorsitzender des deutschen Ethikrats ist: es macht einen Unterschied, ob ein Ethiker evangelisch oder katholisch ist. Das oft beschworene christliche Menschenbild gibt es eben in einer katholischen und einer protestantischen Variante, die Einflussmöglichkeiten eines kirchlichen Lehramtes seien unterschiedlich. Das sei aber auch nicht schlimm:
"Weil es eben in der Ethik gar nicht darum geht, ob wir das eine Richtige für alle finden. So ist es doch nicht in der pluralen Gesellschaft. Das wäre doch ganz schrecklich. Wenn wir für alle das eine Richtige – wie langweilig wäre das Leben! Sondern es geht darum, dass wir den Korridor identifizieren, innerhalb dessen dann unterschiedliche verantwortliche Möglichkeiten möglich sind."
Eine "intensive Intuition" füreinander ist da
Wie wichtig die persönliche Beziehung für das Gelingen oder Scheitern von Gemeinsamkeit ist, ließ sich schön bei den Diskussionen mit bischöflicher Beteiligung beobachten, vor allem bei der gemeinsamen Nachlese zum Reformationsjubiläum mit Kardinal Reinhard Marx und Bischof Heinrich Bedford-Strohm, dem Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche in Deutschland:
Marx: "Meistens sagt er, wenn ich was schreibe im Interview: Das hätte ich genauso gesagt. Und umgekehrt auch."
Bedford-Strohm: "Da ist doch eine intensive persönliche Intuition füreinander da. Und bei den Punkten, wo wir natürlich von unterschiedlichen Punkten her kommen, nehmen wir mal das Thema Homosexualität: da weiß ich doch, wo er herkommt."
Aber so wichtig das gute Verhältnis an der Kirchenspitze ist und die Fortschritte im Miteinander: nicht alle ökumenischen Differenzen lassen sich so einfach weglachen. Das zeigt eben der Streit um die konfessionsverschiedenen Paare.
"Viele ökumenische Themen tragen so viele Lasten mit sich rum, viele Leute kommen auch mit Altlasten aus der Vergangenheit, die sind da, das kann man nicht leugnen, aber die helfen uns oft nicht weiter. Sondern was uns eher weiterhilft, ist die Frage: was ist heute dran, was können wir heute tun, ganz einfach neue Fragen, die viel interessanter sind und uns eher weiterführen."
Ermutigende Praxisbeispiele vor Ort
Martin Recke ist deswegen bewusst zum Barcamp für mehr Leichtigkeit in der Ökumene gegangen. Dogmatische oder ethische Fragen standen da nicht auf der Tagesordnung – dafür aber neue Ideen und ehrlicher Austausch.
"Ich hab manchmal auch so den Eindruck, Ökumene ist was zwischen hauptamtlichen Evangelen und katholischer Basis."
Gespräche zwischen Kirchenleitungen seien schön und gut, sagt Sandra Bils, Mitorganisatorin des Barcamps. Auch etablierte ökumenische Veranstaltungen wie der Weltgebetstag der Frauen seien wichtig. Aber an der Basis sei inzwischen so viel mehr entstanden:
"Was mir fehlt, ist induktiver Blick: dass die Theologie und auch die Kirchenleitungen beider Großkirchen stärker drauf schauen, welche ermutigenden Praxisbeispiele es vor Ort gibt."
Beispiele wie das ökumenische Gemeindezentrum Arche in Neckargemünd:
"Die Leute stellen sich das einfach komplizierter vor, als ist, das praktische Arbeiten in einem gemeinsamen Pfarrbüro, als wo evangelische und katholische Pfarrei verwaltet und gestaltet wird. Das ist nicht so kompliziert."
Mehr Pragmatik in die Ökumene bringen
Die echten Herausforderungen liegen für die Pfarrgemeindesekretärin Petra Melchers fernab kirchlicher Lehrstreitigkeiten.
"Also, Ablage ist mein großes Sorgenkind. Ich hab ne katholische Registratur und ich hab ne evangelische Registratur. Ich muss ein katholisches Kassenbuch führen, ich muss ein evangelisches Kassenbuch führen. Und jetzt benennen die natürlich die Buchungsposten unterschiedlich. Einfach mal da vorher sich zusammen zu setzen und zu überlegen: das ist das gleiche Problem, das wir lösen müssen, wir machen es gemeinsam. Ja, das wärs."
Mehr Pragmatik in der Ökumene: das ist beim Katholikentag, so seltsam das klingen mag, kein Zeichen von Resignation, sondern eines für einen ökumenischen Aufbruch: von unten, von der Basis her.