Offene Schuldfragen
Große Emotionen beschreibt Ferdinand von Schirach in seinem Justizkrimi über einen als Frauenmörder angeklagten Fotografen, der sich von der Wahrheit in die Schönheit flüchtet. Der Autor schafft es allerdings nicht, den Gefühlen Tiefe und Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Die große Frage "Was ist Schuld?" geistert derzeit als die Ferdinand-von-Schirach-Frage durch den populären deutschen Buchmarkt. Mehrfach hat der schreibende Anwalt sie schon ausgeleuchtet. In seinem neuen Roman "Tabu" wird sie auf Seite 122 erstmals explizit gestellt, dann wieder zum Finale. Implizit ist sie allgegenwärtig, wie schon in "Verbrechen", "Schuld" und "Der Fall Collini". In der Reihung kreisen die Titel von "Verbrechen" bis "Tabu" die Frage ein wie ein rechtsphilosophisches Seminar. Die Antwort lautet stets, auch diesmal: Es gibt die Antwort nicht.
Aber einen Roman liest man ja nicht seiner Antworten sondern seiner Geschichte wegen. Also: Sebastian von Eschenburg hat es schwer als Kind. Abgeschoben ins Internat, leidet er unter einer gefühlskalten Mutter, der Vater verfällt dem Alkohol und bringt sich um. Der Junge lebt in Büchern und denkt in Farben. Distanz wird später seine Haltung zur Welt sein – den Frauen, dem Leben, der Grausamkeit, sich selbst gegenüber.
"Er dachte in Bildern, nicht in Worten." Also wird Eschenburg Fotograf, antwortet auf große Fragen mit aufwendigen Installationen. Wenn schon keine Wahrheit, dann wenigstens Schönheit. Er gerät in den Verdacht, eine junge Frau umgebracht zu haben. Die Verteidigung übernimmt der unkonventionelle Anwalt Konrad Biegler. Aus dem Künstlerroman wird ein Justizdrama. Der Gerichtssaal ist nicht nur Bieglers Welt, sondern auch die Ferdinand von Schirachs. Hier kennt er sich aus, hier weiß er, wie man Spannung erzeugt, hier löst er seine Geschichte auf.
Das Buch zerfällt in sehr unterschiedliche, mit Farben (Grün, Rot, Blau, Weiß) überschriebene Teile, die merkwürdig unverbunden aufeinander folgen. Bevor der Justizkrimi erreicht ist, umkreist Schirach den Kosmos Schönheit, Schuld und Kunst. Dabei zitiert er historische Vorbilder, Goyas "Maja" etwa oder Friedrichs "Mönch am Meer". Es geht um große Emotionen. Die werden allerdings eher behauptet oder illustriert als entwickelt oder erzählt. Die viel beschworene Lakonie des Schirachschen Erzählens suggeriert bisweilen Tiefe, wo letztlich doch nur an der Oberfläche gekratzt wird.
Auch auf ureigenem Terrain setzt Schirach aufs Zitat, stellt den viel besprochenen Fall des Polizisten Wolfgang Daschner nach, der einem Kindsentführer mit Folter drohte. Wieder bleibt es bei der Erkenntnis, dass es in der Sphäre von Verbrechen, Schuld und Tabu oft keine Antwort gibt. "Das Gericht ist die letzte wichtige Institution, die sich mit Wahrheit beschäftigt", sagt Biegler. Und das ist es, was Schirach fasziniert. Davon erzählt er, immer wieder, und zieht auch als Erzähler die Anwaltsrobe eigentlich nie aus.
"Die meisten Fragen bleiben am Ende offen", heißt es am Ende ausdrücklich. Das haben wir da längst verstanden, denn das ist es, was "Tabu" in immer neuen erzählerischen Schleifen belegt. Schirach-Fans werden zum Teil wiederfinden, was sie an den früheren Büchern geschätzt haben. Als Roman bleibt die Versuchsanordnung, die Schuldfrage über das Tabu und auf dem Umweg über die Kunst noch einmal zu stellen, am Ende doch vor allem Konstruktion.
Besprochen von Hans von Trotha
Aber einen Roman liest man ja nicht seiner Antworten sondern seiner Geschichte wegen. Also: Sebastian von Eschenburg hat es schwer als Kind. Abgeschoben ins Internat, leidet er unter einer gefühlskalten Mutter, der Vater verfällt dem Alkohol und bringt sich um. Der Junge lebt in Büchern und denkt in Farben. Distanz wird später seine Haltung zur Welt sein – den Frauen, dem Leben, der Grausamkeit, sich selbst gegenüber.
"Er dachte in Bildern, nicht in Worten." Also wird Eschenburg Fotograf, antwortet auf große Fragen mit aufwendigen Installationen. Wenn schon keine Wahrheit, dann wenigstens Schönheit. Er gerät in den Verdacht, eine junge Frau umgebracht zu haben. Die Verteidigung übernimmt der unkonventionelle Anwalt Konrad Biegler. Aus dem Künstlerroman wird ein Justizdrama. Der Gerichtssaal ist nicht nur Bieglers Welt, sondern auch die Ferdinand von Schirachs. Hier kennt er sich aus, hier weiß er, wie man Spannung erzeugt, hier löst er seine Geschichte auf.
Das Buch zerfällt in sehr unterschiedliche, mit Farben (Grün, Rot, Blau, Weiß) überschriebene Teile, die merkwürdig unverbunden aufeinander folgen. Bevor der Justizkrimi erreicht ist, umkreist Schirach den Kosmos Schönheit, Schuld und Kunst. Dabei zitiert er historische Vorbilder, Goyas "Maja" etwa oder Friedrichs "Mönch am Meer". Es geht um große Emotionen. Die werden allerdings eher behauptet oder illustriert als entwickelt oder erzählt. Die viel beschworene Lakonie des Schirachschen Erzählens suggeriert bisweilen Tiefe, wo letztlich doch nur an der Oberfläche gekratzt wird.
Auch auf ureigenem Terrain setzt Schirach aufs Zitat, stellt den viel besprochenen Fall des Polizisten Wolfgang Daschner nach, der einem Kindsentführer mit Folter drohte. Wieder bleibt es bei der Erkenntnis, dass es in der Sphäre von Verbrechen, Schuld und Tabu oft keine Antwort gibt. "Das Gericht ist die letzte wichtige Institution, die sich mit Wahrheit beschäftigt", sagt Biegler. Und das ist es, was Schirach fasziniert. Davon erzählt er, immer wieder, und zieht auch als Erzähler die Anwaltsrobe eigentlich nie aus.
"Die meisten Fragen bleiben am Ende offen", heißt es am Ende ausdrücklich. Das haben wir da längst verstanden, denn das ist es, was "Tabu" in immer neuen erzählerischen Schleifen belegt. Schirach-Fans werden zum Teil wiederfinden, was sie an den früheren Büchern geschätzt haben. Als Roman bleibt die Versuchsanordnung, die Schuldfrage über das Tabu und auf dem Umweg über die Kunst noch einmal zu stellen, am Ende doch vor allem Konstruktion.
Besprochen von Hans von Trotha
Ferdinand von Schirach: Tabu
Piper Verlag, München/Zürich 2013
256 Seiten, 17,99 Euro
Piper Verlag, München/Zürich 2013
256 Seiten, 17,99 Euro