Osamu Dazai: Alte Freunde
Erzählung
Aus dem Japanischen und mit einem Nachwort von Jürgen Stalph
Cass Verlag, Löhne 2017
52 Seiten, 18 Euro
Der ungebetene Gast
"Alte Freunde" sind die beiden Männer keineswegs, die sich in der gleichnamigen Erzählung von Osamu Dazai begegnen: Ein Autor bekommt Besuch von einem Bauern. Der behauptet, sie würden sich aus der Schule kennen. Der Beginn einer beklemmenden Situation.
Osamu Dazai, geboren 1909 im nördlichen Japan, war einer der begabtesten und auch umstrittensten Autoren seines Landes. Er hat das Leben eines Bohemiens geführt, im Nachwort wird Dazais Zeit in Tokio sogar auf folgenden Nenner gebracht: "Alkohol, Frauen, Selbstmordversuche". Das ist ebenso knapp wie deutlich. Frauen gehörten auch zu seinen Suizidversuchen. Beim ersten, der scheiterte, starb seine damalige Gefährtin. Und als es für ihn dann klappte, im Juni 1948, war wieder eine Geliebte mit dabei; beide ertranken in einem Kanal in Tokio.
Kultfigur der japanischen Jugend
Dazais Werke, die "scharf, konzis und aufrüttelnd" sind, wie es sein englischer Übersetzer ausgedrückt hat, gehören zur japanischen Version des autobiografischen Romans. In dieser im Japan des 20. Jahrhunderts zentralen und populären Romanform werden Innenleben und persönliches Schicksal eines Individuums, das gewöhnlich deutliche Züge des Autors trägt, geschildert.
Das ist interessant zu wissen, aber nicht entscheidend, um als lesender Mitteleuropäer diese kurze Erzählung verstehen zu können. Dazai war im zerstörten Nachkriegsjapan wie viele seiner Kollegen Existentialist, er berief sich auf Sartre und Camus. Sein Roman "Die sinkende Sonne" (1947, dt. 1958) gehörte neben Sartres "Ekel" zu den meistgelesenen Romanen im Japan der Nachkriegszeit. Dazais letzter großer Roman "Gezeichnet" (dt. 1997, 2015) machte ihn endgültig zur Kultfigur der existentialistischen Jugend. Erlebt hat er den Erfolg nicht mehr: Eine Woche nach Abgabe des Manuskripts ging er mit seiner Geliebten ins Wasser.
Unfähig, sich zu wehren
Der vorliegende kurze, skizzenhafte Text erzählt von Shuji (so lautet auch Dazais bürgerlicher Vorname), einem namhaften Schriftsteller, der, in Tokio ausgebombt, mit Frau und Kindern im Haus seiner Eltern auf dem Land wohnt. Plötzlich steht ein vierschrötiger Bauer in der Tür, behauptet, sie seien Schulkameraden gewesen, trinkt seinen raren Whiskey, fordert Geschenke und belästigt seine Frau.
Obwohl der ungebetene Gast immer aufdringlicher wird, ist der Schriftsteller unfähig, sich zu wehren – aus Feigheit, aus Berechnung oder schlicht aus Fatalismus? Dass es nicht Gleichmut ist, zeigt seine ständige innere Empörung und eine interessante Reflexion über die Gelassenheit, die – so seine Überlegung – nichts anderes als Arroganz gegenüber der niederen Klasse sei. Mit Bitterkeit, Scham und Selbstmitleid schildert Dazai eine existenzielle Situation im menschlichen Leben: tatsächlich unvergleichlich "scharf, konzis und aufrüttelnd".