P. Rohrbach und N. Wahl (Hrsg.): "Austria. A Soldier's Guide"

Reisehandbuch für Besatzungssoldaten

Ausgebombte Häuser im Sommer 1945 in Wien
"Austria. A Soldier's Guide" aus dem Jahr 1945 changiert zwischen Verhaltensvorschrift und Reiseführer. © Foto: picture alliance / dpa. Cover: Czernin-Verlag
Von Stefan May |
Sparsam mit Schnaps umgehen, sich vom Varieté fernhalten: Das Soldatenhandbuch für Österreich von 1945 enthält praktische Tipps und Informationen für damals dort stationierte alliierte Soldaten. Zwei Historiker haben es jetzt neu herausgebracht.
Bereits der erste Satz des Handbuchs "Austria. A Soldier's Guide" sagt viel über die Doppelrolle aus, in der sich die amerikanischen und britischen Soldaten zwischen Kriegsende 1945 und Besatzungsende 1955 in Österreich befanden: "Sie kommen als Mitglied der Alliierten Streitkräfte nach Österreich, als Sieger und Befreier", heißt es da. Und so changiert das Buch auch zwischen Verhaltensvorschrift und Reiseführer für das Leben in der neuen Umgebung.
"Als Volk waren sie uns gegenüber niemals so feindselig eingestellt wie die Deutschen", schreibt der unbekannt gebliebene Autor über die Bewohner des Landes. "Aber Österreich wurde vom Gedankengut der Nazis, für dessen Vernichtung wir gekämpft haben, ebenso verseucht. Und wenn Sie nach Österreich kommen, werden viele unserer Feinde noch dort sein, manche werden Deutsche sein, andere Österreicher."

Vom führenden Kaiserreich zur "Provinz Nazideutschlands"

Österreich kommt in dem Soldatenführer überraschend gut weg, wenngleich der Autor einräumt, dass es teilweise die Schuld der Österreicher gewesen wäre, dass ihr Land "von den Deutschen überrannt wurde", wie es wörtlich darin heißt. "Von einem führenden europäischen Kaiserreich" sei es "zu einer Provinz Nazideutschlands" abgestiegen.
Fast wohlwollend wird von einer Minderheit der Österreicher gesprochen, die den Anschluss gewollt habe, wenngleich es mit Hitlers Invasion zu einer Welle der hysterischen Begeisterung gekommen sei. Sie habe nur jene nicht erfasst, die bereits wussten, dass sie gebrandmarkt würden. Wohl zu Recht wird die Ursache des österreichischen Minderwertigkeitskomplexes in der jüngeren Vergangenheit des Landes gesucht: Seit 1918 hätten die Österreicher unter dem Gefühl gelitten, dass sie jeder herumstoßen konnte. Deshalb hätten sie gemeint, als Teil des "Großdeutschen Reichs" endlich wieder jemand zu sein.

Armut, Unterernährung, Hunger

Im Soldatenführer heißt es, nur einige Peiniger wären österreichische Nazis gewesen, die meisten aber Deutsche. Etwas klarsichtiger wird ein Stück weiter die nahe Zukunft beschrieben:
"Sobald jene Nazis, die Schlüsselstellen in Österreich innehatten, geflohen oder 'liquidiert' sind, wird es wahrscheinlich zu einem zeitweisen Zusammenbruch im öffentlichen Dienst kommen."
Der Soldier's Guide bereitet die alliierten Streitkräfte geistig auf ihr Einsatzgebiet vor. Es gebe nichts zu kaufen, alles sei strikt rationiert. Man werde Armut, Unterernährung und Hunger vorfinden, Österreich sei ein völlig anderer Ort als zu Friedenszeiten. Für alle, die das Land weder so noch anders kennen, beschreibt es der Guide recht originell, aber für die Zielgruppen leicht begreiflich: Österreich wird in seiner Ausdehnung mit Schottland oder South Carolina verglichen. Wien habe die Größe von Cincinnati oder Edinburgh, Graz die von Brighton oder Worcester, Massachusetts.
Auch vor Klischees wird in dem Führer für die Besatzungssoldaten nicht Halt gemacht. "Österreicher haben 'Charme', heißt es da. "Sie sind freundlich und heiter und verstehen einen Spaß so schnell wie Sie, manchmal sogar schneller. Sie haben wenig Achtung vor Regeln und Vorschriften, was die Deutschen, die ohne viel Erfolg ihr Möglichstes taten, um die Österreicher in ein preußisches Muster zu pressen, verärgerte."

Unpünktlich, aber mit Stil

Die Österreicher seien nicht für die Pünktlichkeit "gestrickt", dafür hätten sie "Stil", schreibt der Autor. In Sachen Sport wären die Berge der Tummelplatz der Österreicher. Aber: Es gebe kein Cricket und kaum Golf. Jazz und Swing wären beliebt, doch die einheimischen Walzer seien noch immer sehr gefragt.
Bier, normalerweise eisgekühlt, wird als bevorzugtes Getränk beschrieben, statt Whiskey oder Gin würde hierzulande Schnaps getrunken. Kein Wunder, dass sich auf den Alkohol auch die Ratschläge im Buch beziehen. "Gehen Sie mit Schnaps sparsam um", liest man, und weiter: "Seien Sie standhaft und fair in Ihrem Umgang mit Österreichern. Halten Sie sich von zwielichtigen Varietés und anderen Orten fern, an denen Sie ausgenommen werden könnten."
Der anonyme Autor könnte aufgrund seiner guten Kenntnisse von Land und Leuten selbst Österreicher gewesen sein, der nach dem Anschluss seine Heimat hatte verlassen müssen, vermuten die Herausgeber des Buches. Sie haben es bei ihren Recherchen zu einer Ausstellung über die Kinder amerikanischer Besatzungssoldaten entdeckt. Zwar wird unter den Don'ts des Soldatenführers ein Fraternisierungsverbot ausgesprochen und auf die Gefahr von Geschlechtskrankheiten hingewiesen. Dennoch verweisen die zwei Historiker im Vorwort auf etwa 30.000 Kinder aus Beziehungen von Österreicherinnen mit Besatzungssoldaten.

Kaum veränderte Vorurteile

Am Ende des Soldier's Guide, eines völlig ungewohnten Zeugnisses der österreichischen Zeitgeschichte, finden sich noch gebräuchliche deutsche Ausdrücke in englischer Übersetzung. Erheiternd liest sich die Aussprache der Wörter in englischer Umschrift. Dass in der Liste auch Begriffe wie "Gefahr" oder "Deckung" vorkommen, macht die Situation der unmittelbaren Nachkriegszeit deutlich. Insgesamt ist es aus heutiger Sicht aufschlussreich, wie vor mehr als einem halben Jahrhundert Österreich von außen gesehen wurde und wie wenig sich eigentlich am (Vor-)Urteil über Land und Leute geändert hat.

Philipp Rohrbach und Niko Wahl (Hrsg.): "Austria – A Soldier's Guide"
Czernin Verlag, Wien,
82 Seiten, 15 €

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