Pascal Richmann: "Über Deutschland, über alles"

Kalkuliertes Chaos

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Von Walhalla bis Wolfsburg befasst sich Pascal Richmann mit dem Traum von Deutschland. © Foto: picture alliance / dpa / Armin Weigel, Cover: Hanser-Verlag
Von Jörg Magenau |
Einen durchaus innovativen Ansatz der Begegnung mit "Rechtsaußen" verfolgt der Schriftsteller Pascal Richmann: Er tritt nicht als Bescheidwisser auf, sondern setzt sich aus und verzichtet auf moralische Distanz - fast naiv. Doch der dauernervöse, lockerleichte Tonfall nervt.
Der Titel ist eine klare Ansage. Er verspricht genau das, worum es in diesem Buch geht: um Deutschland – und um alles. Mit weniger wäre Pascal Richmann, gerade einmal 30 Jahre alter Absolvent der Hildesheimer Schreibschule, nicht zufrieden. Er leidet nicht gerade an einem kränkelnden Schreib-Ego. Beherzt mischt er Autobiografisches mit Fiktivem, Essayistisches mit Reportagehaftem, dezidierte Lektüreerfahrungen mit Blödeleien und springt andauernd lustvoll von einem zum anderen. Kein stringenter Text soll dabei entstehen, sondern ein kalkuliertes Chaos, das all die gleichzeitig ablaufenden Bewusstseinsvorgänge sichtbar werden lässt.

Kunst und Traum und Leben verschmelzen

Die "geheime Geschichte" heißt es an einer Stelle – und auch das ist eines der vielen Zitate in diesem Buch – ist das alltägliche Leben, das sich unserer Kontrolle entzieht, auch wenn wir glauben, wir hätten alles im Griff. "Wir glauben, die Kunst verlaufe auf der einen Straßenseite und das Leben, unser Leben, auf der anderen und merken nicht, dass das gelogen ist." Richmann knüpft damit an die Avantgarde der 20er-Jahre an, an surrealistische Künstler, denen Kunst und Traum und Leben verschmolz. Doch er wendet dieses Verfahren auf einen ganz anderen Gegenstand an: auf den Traum von Deutschland und der deutschen Nation und all die nationalistischen, rassistischen Alpträume, die daraus hervorgegangen sind.
Der Titel "Über Deutschland. Über alles" verhackstückt Hoffmann von Fallerslebens Deutschlandhymne mit der verbotenen ersten Strophe. Allerdings ist Richmanns Vorbild und literarischer Weggefährte vor allem Heinrich Heine, an dessen Grab in Paris er seine Deutschlandreise beginnt. Sie führt ihn auf ein Burschenschaftstreffen auf der Wartburg, zur Porta Westfalica, ans Brandenburger Tor, in die Volkswagenstadt Wolfsburg, zu einer Pegida-Demonstration nach Dresden, ins Stadion zu RB Leipzig, zur Walhalla, zu eine Bunkerbesichtigung nach Helgoland und weiter nach Mallorca, wo der ehemalige NPD-Funktionär Holger Apfel seine Kneipe betreibt. Inseln, immer wieder Inseln: als wäre der unübersichtlichen Wirklichkeit nur so beizukommen, indem man sich auf kleine, überschaubare Ausschnitte begrenzt, dann aber angemessen durchgeknallt darüber schreibt.

Verzicht auf moralische Distanzierung

Manisch-obsessiv und in chamäleonhafter Anverwandlung nähert sich Richmann den Rechtsradikalen in ihren diversen Erscheinungsformen. Er schreibt aus nächster Nähe über sie, so dass man ihn gelegentlich fast für einen von denen halten könnte und auch er selbst gelegentlich einer merkwürdigen Faszination verfällt. Er setzt sich aus, er gefährdet sich, anstatt aus einem ab-oder aufgeklärten Bewusstsein heraus immer schon Bescheid zu wissen. Die Unerschrockenheit, auf eine moralische Distanzierung zu verzichten, fördert aber keine wirklich neuen Einsichten zu Tage. Die Burschenschaftler sind halt blöd, mehr ist nicht.
Das wirkt eher so, wie wenn ein kleiner Junge Hakenkreuze kritzelt, um damit zu schockieren und den angenehmen Kitzel des Verbotenen auszukosten. Oder wie soll man es verstehen, wenn der dem Autor sehr ähnliche Erzähler in der Bar bei Holger Apfel "Heil dir im Siegerkranze" anstimmt? So triumphieren die Effekte. Auch sprachlich betreibt Richmann großen rhetorischen Aufwand. Wenn er aber zum hundertsten Mal die Floskel "na klar" benutzt ("Im Bunker war es, na klar, kalt." "Die Wohnungssuche gestaltete sich, na klar, schwierig.") geht der dauernervöse, lockerleichte Tonfall (unterwegs wird auch so manche Line gezogen, um den Erregungspegel hoch zu halten) irgendwann bloß noch auf die Nerven. Schade drum, denn Richmanns Ansatz in der Begegnung mit Rechtsaußen könnte durchaus innovativ sein.

Pascal Richmann: Über Deutschland, über alles
Hanser-Verlag, München 2017
326 Seiten, 20,00 Euro

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