Paul Mason: "Postkapitalismus"

Ist der Kapitalismus Geschichte?

Die Straßenschilder mit der Aufschrift "Wall Street" und "Broadway" in New York (USA)
Investmentbanker sind mit ihrem System gescheitert, schreibt Paul Mason in "Postkapitalismus". © picture alliance / dpa / Felix Hörhager
Von Katharina Döbler |
Der britische Wirtschaftsjournalist Paul Mason analysiert in "Postkapitalismus" unter anderem das Scheitern des Investmentbankingsystems. Er sieht die Zukunft in der "Sharing economy" des Internets. Mit einem Optimismus, dem man nur schwer folgen kann.
Der kapitalismuskritische Allroundphilosoph Slavoj Zizek behauptet, das einzig wichtige "Post" sei das vor dem Wort Kapitalismus. Es ist nun fast zehn Jahre her, als es so weit schien. "die tageszeitung" verkündete in fetten Schlagzeilen: "Kapitalismus am Ende!" Damals wurde offenkundig, dass das Investmentbankensystem zusammenbrach – oder zusammengebrochen wäre, hätte man es nicht mit Steuergeldern subventioniert.
Eine solche staatliche Intervention läuft den ökonomischen Theorien des Liberalismus völlig zuwider, dessen Rezepte in den letzten 25 Jahren befolgt worden sind: Deregulierung, Kürzung öffentlicher Ausgaben, Freihandel etc.
Der britische Wirtschaftsjournalist Paul Mason widmet den ersten Teil seines ausführlichen Buches diesem Scheitern des neoliberalen Modells. Er analysiert, wie durch die Aufgabe des Goldstandards für Währungen, durch die Finanzialisierung, also die zunehmende Bedeutung des Kapitalmarkts anstelle der Realwirtschaft, durch das globale ökonomische Ungleichgewicht und neue Informationstechnologien die bislang geltenden Regeln des Marktes ausgehebelt wurden und ungeheurer Wohlstand für eine winzige globale Minderheit entstand. Das alles sind keine neuen Erkenntnisse. Doch Mason fasst sie auf eine verständliche und zugängliche Art zusammen; und insbesondere da, wo er auf das Beispiel Großbritannien eingeht und die Veränderungen in der Ära Thatcher beschreibt, klingen seine Ausführungen sehr nachvollziehbar.
Aber seine theoretische Basis ist angreifbar: Oft bezieht er sich auf die "Arbeitswerttheorie", die aus dem 19. Jahrhundert stammt und schon Marx als Grundlage diente, jedoch stets umstritten war. Dass der Wert einer Ware im Zeitalter der Automatisierung und des "Internets der Dinge" nicht mehr an geleisteter Arbeit festgemacht werden kann, spricht nicht zwangsläufig für das Scheitern des Kapitalismus. Schließlich haben dessen aufeinander folgende "Zyklen" (Kondratjew) oder "Wellen" (Schumpeter) immer wieder neue Formen hervorgebracht.
Im zweiten Teil seines Buches analysiert Mason vor allem historische Bedingungen des Kapitalismus, Theorien und Gegenbewegungen. Weil Maschinen bald nahezu kostenfrei arbeiten werden, kommt er zu der optimistischen Voraussage, der Kapitalismus, "ein komplexes, anpassungsfähiges System", sei "an die Grenzen seiner Anpassungsfähigkeit gestoßen".
Für Mason ist die Sharing economy des Internets Grundlage der neuen, gerechteren, postkapitalistischen Wirtschaftsform. Ihr wäre, so propagiert er im dritten Teil, von den Staaten allerdings noch auf die Beine zu helfen durch gezielte Regulierungen und Investitionen.
Es fällt schwer, Masons postkapitalistischen Optimismus zu teilen, zumal er immer von Wachstum ausgeht, als gebe es an ihm keinen Zweifel. Und als wäre nicht offenkundig, dass gerade in den Ökonomien des Teilens gigantische Profite von zunehmend mächtigen Akteuren erwirtschaftet werden, von den sozialen Netzwerken, den Car-Sharing-Firmen, AirBnB und so weiter. Das alles lässt eher darauf schließen, dass der Kapitalismus nicht an seine Grenzen stößt, sondern immer neue Bereiche der individuellen Privatsphäre erobert.

Paul Mason: Postkapitalismus. Grundrisse einer kommenden Ökonomie
Aus dem Englischen von Stephan Gebauer
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
430 Seiten, 26,95 Euro