Per Molander: "Die Anatomie der Ungleichheit. Woher sie kommt und wie wir sie beherrschen können"
Westend Verlag, 2017
224 Seiten, 24 Euro
So entsteht Armut - und setzt sich fort
Je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto ineffizienter ist sie auch. Diese These kann der Mathematiker Per Molander in "Die Anatomie der Ungleichheit" eindrucksvoll belegen. Und hat auch Vorschläge, wie sich der Mangel reduzieren lässt.
Der Schwede Per Molander ist einer der führenden Ungleichheitsforscher, der viele internationale Organisationen und nationale Regierungen berät. Er ist Mathematiker. Und er ist Sozialdemokrat. Schon wegen dieser Kombination lohnt es sich, sein Buch "Die Anatomie der Ungleichheit" anzuschauen. Denn Molander nähert sich seinem Thema zunächst einmal nicht aus einer soziologischen oder ökonomischen Perspektive. Er fängt an zu rechnen.
Darin liegt der große Reiz des Bandes. Molander zeigt in Kurven und auf Graphen, wie sich Ungleichheit entwickelt, verstärkt und fortsetzt. Im Grunde ist es ganz einfach: Sollen sich beispielsweise zwei Personen einen Betrag teilen, machen sie nur dann halbehalbe, wenn beide gleichberechtigt sind. Ist dagegen einer mächtiger als der andere, wird er sich einen größeren Teil des Betrags sichern. Wiederholt man dieses Spiel mehrfach, hat am Ende der Mächtige alles, der Ohnmächtige dagegen nichts mehr. Das lähmt die Wirtschaft und es entmutigt die Armen. Deshalb lohnt es sich, in Verhandlungen zu investieren, die auf Augenhöhe stattfinden. In diesem Teil ist Molanders Buch überzeugend, klar und ein überraschender Beitrag in der Ungleichheitsdiskussion.
Die Ungleichheit in Schach halten
Die liberale Annahme, dass Ungleichheit aufgrund unterschiedlicher Leistungsfähigkeit entstehe, spiele dagegen keine große Rolle, sagt Molander. Ungleichheit erzeugt mehr Ungleichheit. Und weil Ungleichheit eine menschliche Existenzbedingung ist, also immerzu neu entsteht, wenn Menschen zusammenleben und arbeiten, muss man sie immerzu in Schach halten.
Bis zu diesem Punkt ist das Buch ein echter Gewinn - sieht man einmal von dem inzwischen üblichen und deshalb auch ein bisschen langweiligen Aufmarsch der Philosophen ab, den auch Molander uns nicht erspart: Thomas Morus, Hobbes, Lock, Mill, Rousseau, Keynes, Rawls. Die Ahnengalerie der Ungleichheit braucht man eigentlich nicht noch einmal, wenn man gelegentlich etwas zu dem Thema liest.
Wie findet man die richtige Balance?
Interessanter sind seine Überlegungen zum Ausgleich. Je ungleicher Gesellschaften sind, desto ineffizienter werden sie, desto weniger Vertrauen haben sie, schreibt Molander. Deshalb müsse der Staat Steuern und Abgaben von den Reichen erheben, ein kostenloses Bildungssystem für alle bereitstellen, Krankenversicherung und andere Sozialversicherungen auf einem guten Niveau garantieren. In den allermeisten europäischen Ländern ist ein solches Programm zustimmungsfähig. Doch wie findet man die richtige Balance?
Molander selbst kommt, wenig überraschend, nach der Prüfung liberaler und konservativer Konzepte zu dem Schluss, dass die Sozialdemokratie im Großen und Ganzen den besten Werkzeugkasten gegen die Ungleichheit hat. Noch weniger überraschend ist, dass er die skandinavischen Länder für besonders erfolgreich auf diesem Weg hält. Genau hier wird aus der naturwissenschaftlichen Analyse eine politische Botschaft für den Rest der Welt. Schade eigentlich.