"Mein Weg zur Kirche war sehr ruppig"
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Lothar König wurde in der DDR zum Oppositionellen, als er als Jugendlicher "Dubček" an eine Hauswand schrieb. Später organisierte er Montagsdemos. Seit 1990 setzt sich der Pfarrer in Jena gegen Rechte ein - teils auch gegen den Willen der Behörden.
Eine Radiostunde mit Lothar König vergeht sehr schnell, der Jugendpfarrer im (Un-)Ruhestand steckt voller gelebter Geschichten. Für König persönlich kann eine Radiostunde quälend lang sein. Im Studio darf nicht gequalmt werden. Für den leidenschaftlichen Raucher geht das eigentlich nur "im Notfall".
Die Kirche blieb ihm viele Jahre fremd
Seine erste Zigarette hat König schon als Kind gepafft. "Ich muss mindestens schon sechs gewesen sein. Ich bin auf einem Dorf groß geworden. Wenn Konfirmationen waren, gehörte das mit dazu."
Waren Zigaretten schon frühzeitig ein elementarer Bestandteil seines Lebens, die Kirche blieb ihm noch viele Jahre fremd. Erst über Umwege fanden der Mann aus Leimbach, einem Dorf im Harz, und die evangelische Kirche wirklich zueinander.
Bei den Behörden war König schon während der Schulzeit "politisch negativ" aufgefallen, das Abitur wurde ihm verwehrt. 1969 hatte Lothar mit Kreide "Dubček" an eine Wand geschrieben.
Alexander Dubček, die Leitfigur des Prager Frühlings: Das war eine Provokation. "Am anderen Tag war der Notstand in Leimbach. Das Dorf war voller Stasi und Polizei."
Nach einer Ausbildung wurde Lothar König Diakon, durfte später Theologie studieren. Aber er fremdelte weiterhin. "Mein Weg zur Kirche war sehr ruppig. Ich habe gedacht, die haben alle eine Klatsche dort. Die spinnen ja, also Jungfrauengeburt und so. Bis ich mit voller Freude Pfarrer sein konnte, da habe ich lange gebraucht."
"Auch ein Nazi ist ein Mensch"
Ab den 1990er Jahren begann sich Lothar König als Stadtjugendpfarrer in Jena auch mit der wachsenden Neonazi-Szene zu beschäftigen. "Ich habe versucht mit denen Kontakt aufzunehmen. Ich dachte, man könnte die einbinden. Habe versucht, ihre Gesellschaftskritik, ihre Wut ein bisschen zu kanalisieren. Auch ein Nazi ist ein Mensch, das ist mir ganz wichtig."
Für sein Engagement gegen Rechts musste Lothar König viel Kritik einstecken. In der Kirche und bei den Behörden waren viele von seiner Arbeit nicht überzeugt. Von Neonazis wurde er verprügelt, eine große Narbe auf der Stirn erinnert noch heute daran.
Nicht nur Links- oder Rechtsextremisten hält der heute 65-Jährige für gefährlich, sondern auch die "Mittelextremisten". Den Begriff hat Lothar König selbst geprägt. "Das sind die Angepassten, die, die Schnauze halten. Die von nichts wissen wollen."
NSU: Die Aufarbeitung hat gerade erst begonnen
Seine Erfahrungen mit Rechtsextremisten lassen den Pfarrer Sätze sagen, die man von einem Seelsorger eher nicht erwartet. "Man muss manchmal auch zu Gewalt greifen, so hart das ist. Das habe ich auch gelernt. Wenn die [Neonazis] so stark sind und so übermächtig."
1998 hatte Lothar König die Sicherheitsbehörden bereits vor einem rechtsextremistischen Untergrund gewarnt: "Wir sind immer auf Ablehnung gestoßen."
Doch Lothar König sollte recht behalten. Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, das spätere sogenannte NSU-Trio, sie waren dem Jugendpfarrer schon als junge Rechtsradikale in Jena begegnet.
Und heute, nach zehn Morden, 42 Mordversuchen, Sprengstoffanschlägen und Raubüberfällen, wie steht es um die Aufarbeitung des NSU-Komplexes?
"Wollen Sie eine ehrliche Antwort?", fragt Lothar König. Das sei alles erst am Anfang: "Dieses Nazi-Netzwerk ist dicht und gefestigt."