Mit dem Klavier den Stummfilm modernisieren
Richard Siedhoff verschafft Stummfilmen mit seinem Klavier ein neues Leben. In Weimar trifft sich eine kleine Fangemeinde, um zu seinem Konzert Kinoklassiker zu gucken. Der Musikwissenschaftler spielt aber auch auf Festivals im Rest der Republik.
Richard Siedhoff testet kurz das Klavier im noch leeren Saal 3 des Lichthaus Kinos in Weimar. Dann schiebt er es an die Seite, wo er spielen und den Film begleiten wird - mit Blick auf die Leinwand.
"Jetzt frage ich mich, wo mein Stuhl ist. Ach, da hinten steht er. Ja, hier muss man sich immer die Sachen zusammensuchen, aber jetzt so nach - wie viele Jahre sind es? - sieben Jahren weiß man schon, wo was wie warum ist."
Der Kinosaal ist groß, die Wände des alten Straßenbahndepots aber dünn, deshalb bläst die Gasheizung lautstark von oben.
"Zum Beispiel hat dieses Klavier irgendwann Rollen bekommen; seitdem ist es höher, jetzt ist mein Stuhl zu klein! Deswegen muss man immer noch so ein Kissen besorgen."
In einer halben Stunde beginnt die Vorstellung des expressionistischen deutschen Stummfilms "Von morgens bis mitternachts" von 1920. Auf der Leinwand ist er schon testweise zu sehen:
"Sieht jetzt gar nicht mal so gut aus, muss ich sagen. Für eine digitale Projektion ... Na! Sieht aus, wie eine 16mm-Kopie. Habe ich mir doch ein bisschen mehr versprochen. Vor allem sind so komische Artefakte drin. Na ja, digitale Projektion kann halt richtig gut sein, kann aber auch mal richtig enttäuschend sein - wie das jetzt hier."
Einer der Betreiber des Kinos, Sven Opel, kommt dazu: "Ich find's erst mal OK."
Richard Siedhoff: "Das sieht ja aus wie ... Du siehst es an den Konturen, da fehlt halt ein bisschen was, was das Material auf jeden Fall noch hergegeben hätte. Na ja ..."
Sven Opel: "So komm, da müssen wir einfach durch!"
Siedhoff spielt aus alten Noten und mit eigenen Ideen
Noch 15 Minuten bis zur Vorstellung. Richard Siedhoff spielt sich warm. Zum Stummfilm gekommen ist er durch Filmempfehlungen seines Vaters. Charlie Chaplin, Buster Keaton, Laurel & Hardy führten ihn irgendwann auch zu Fritz Lang. Mit 15 sah er zum ersten Mal dessen Science-Fiction-Klassiker "Metropolis" mit einer neuen Musik:
"Aber ich hatte parallel auch eine alte Videokassette mit einer Fassung, die in den 60er Jahren aufgelegt wurde, da hatte man schon die Originalmusik von Gottfried Huppertz bearbeitet für Klavier und ein bisschen für elektronische Orgel und Schlagzeug. Und da habe ich das nachgespielt, die Originalmusik, weil ich die auch sehr faszinierend fand, diesen romantischen, spätromantischen Duktus. Habe die nachgespielt frei und habe irgendwann angefangen, die auf die restaurierte, längere Fassung draufzuspielen sozusagen für mich nebenbei, habe ausprobiert. Irgendwann konnte ich dann den ganzen Film in einer sehr eigenen Interpretation, sage ich mal, weil: ich hatte ja keine Noten! So ging das los."
Irgendwann hat er dann auch neue Musiken zu alten Stummfilmen gespielt. Teils mit ausgearbeiteten Passagen, Leitmotiven, teils improvisiert:
"Das ging dann so los mit 18, 19. Da habe ich dann immer zu meinem Geburtstag Stummfilme gezeigt - das war immer so der absolute Partykiller! -, hab dazu gespielt. Habe das dann im Kino probiert; die fanden das gut im Kino, und dann entstand im Kino eine Reihe draus."
Passend dazu hat er in Weimar Musikwissenschaften studiert. Richard Siedhoff spielt mittlerweile bundesweit in Programmkinos, in Filmmuseen, auf Festivals. Aus alten Noten oder mit eigenen Ideen. Manchmal muss er nach einmaliger Sichtung einen Films kurze Zeit später anderthalb Stunden begleiten. Jeden Monat versucht er, sich 1-2 Filme neu zu erarbeiten:
"Also, hier habe ich so mein kleines Archiv an Stummfilmmusiken, hier zum Beispiel einen Klavierauszug von Edmund Meisel, den ich kompliziert eingerichtet habe. Sachen, die man so nicht einfach spielen kann als Pianist; da muss man halt gucken, wie legt man das in eine Hand, dass man da noch die Melodie mit drin hat? Und halt viele Sachen zugeklebt, die man nicht spielen kann, weil der Film an der Stelle kürzer ist. Minutiös alles mit Synchronangaben gemacht."
Stummfilmpianist will selbst komponieren
Im Kino dann setzt er sich höchstens mit ein paar Notizen ans Klavier, vom Blatt spielen ist nicht seine Sache. Das Publikum in Weimar ist nun im Saal, um die 40 Leute wollen den fast 100 Jahre alten Film sehen. Siedhoff erläutert dem Publikum vorab, dass der den deutschen Verleihern damals zu expressionistisch war und er deshalb damals nur in Japan gezeigt wurde.
Das Licht geht aus, Siedhoff setzt sich ans Klavier und spielt eine gute Stunde. Das Publikum ist begeistert und lässt sich auch von einer Panne der Digitaltechnik nicht aus der Ruhe bringen. Nebenbei träumt Richard Siedhoff von der Zukunft:
"Es ist auf jeden Fall eine Perspektive. Ich denke mal, es wird etwas sein, was ich immer weiter machen werde nebenbei, wenn ich mal einen anderen Hauptberuf ergreifen sollte. Also, ich träume immer noch davon, mal irgendwann ein 'vernünftiger', ernster Komponist zu sein - gern auch Filmkomponist; aber davon gibt es zu viele und es werden zu wenig gebraucht. Vielleicht werde ich auch was ganz anderes machen; aber der Stummfilm wird mich, glaube ich, immer begleiten und das Spielen dazu."