Stefan Krankenhagen / Heiko Rothenpieler: Die Poesie des Fußballs
Mit einem Vorwort von Hans Meyer
Blumenbar/Aufbau-Verlag, Berlin 2018
240 Seiten, 20 Euro
Schurken, gemeuchelte Prinzen und Narren
Fußball gilt nicht mehr als Proletensport, er animiert viele Schriftsteller und Zeitungsleute zu feinsinnigen Analysen. Das Buch "Die Poesie des Fußballs" bündelt solche Texte, erzählt deutsche Geschichte und berichtet vom Kopfballungeheuer.
Poesie des Fußballs? Per se ist Fußball meist nicht poetisch, sondern eher kämpferisch. Aber der Fußball als Verlängerung der Kindheit kann sehr wohl dem Leben eine poetische Note geben. Findet Moritz Rinke, Schriftsteller und zugleich Stürmer in der deutschen Autoren-Nationalmannschaft. Für ihn hat jedes Spiel eine besondere Geschichte. Mit Helden und Bösewichten. Zum Beispiel Real Madrid kontra FC Liverpool.
"Wenn Sie an das letzte Champions-League-Finale denken, das war wirklich ein Beispiel für große Oper. Dieses Endspiel mit dem Schurken, mit dem gemeuchelten Prinzen, mit dem tragischen komischen Tor-Wart als Narr, mit dem düpierten König und mit dem neuen König. Das sind fünf große Rollen, die dieses Spiel geschrieben hat, das ist eine poetische dramatische Lesart."
Die Schlagwörter des Buchs werden jeweils im historischen Kontext erläutert. Begriffe wie Abwehrschlacht, Ehrentreffer und Lufthoheit kommen nicht von ungefähr in der Nachkriegszeit auf. Der "Hexenkessel" wiederum ist untrennbar mit dem WM-Halbfinale von 1958 zwischen Gastgeber Schweden und Deutschland verbunden. Das stakkatoartige "heja, heja" der schwedischen Fans verunsicherte die Spieler des Titelverteidigers so, dass am Ende eine 3:1-Schlappe stand. Was heute wohl als tolle Heimspielatmosphäre gelten würde, ließ den "Kicker" seinerzeit eine Parallele zum "Einpeitscher Goebbels im Berliner Sportpalast" ziehen.
Anarchisch und gewaltsam, andererseits zivilisiert
Eher späteren Datums ist das "Kopfballungeheuer". Für Mitherausgeber Stefan Krankenhagen, Kulturwissenschaftler an der Uni Hildesheim, spiegelt sich in diesem Phänotyp der Doppelcharakter des Fußballs: Einerseits das Anarchische, Gewaltsame, Körperliche, andererseits das Zivilisierende.
"Dass da ein Kopf benutzt wird, der das Wichtigste ist, was wir haben, um überhaupt zu denken, Bewusstsein zu haben, und der wird in einer martialisch-rabiaten Art benutzt, um sich am besten gegen drei Leute gleichzeitig, anderthalb Meter noch in die Luft zu schrauben und dann zu stoßen."
Als Experten in Sachen Phrasenschwein agieren Kulturarbeiter, Comedians und Journalisten. Birgit Schönau, Italien-Korrespondentin der "Süddeutschen Zeitung" widmete sich dem "Schwalbenkönig", nach ihrer Beobachtung beheimatet vor allem in Brasilien, Italien und Spanien. Aber, so räumt sie in ihrem Text – vorgetragen vom Schauspieler Dennis Habermehl - ein:
"Die Deutschen sind auch immer mal wieder dabei, sie predigen Haltung, aber wenn’s sein muss, lassen sie sich durchaus fallen. Man steht auf der Seite der Moral, aber deshalb ist man noch lange nicht blöd. Die Deutschen handhaben die Sache mit der Schwalbe 'orthoprax', bei Reden orthodox, beim Spielen pragmatisch."
Wird Fußball verwissenschaftlicht?
Das letzte Kapitel heißt "Rasenschach" und analysiert jüngere Phänomene wie Taktiktafeln, Tikitaka, psychologisch ungünstige Zeitpunkte sowie Packing-Raten. Wird sich der Fußball auch im Zeichen zunehmender Verwissenschaftlichung und Kommerzialisierung behaupten können? Die Journalistin Jenni Wulfhekel sieht die Zukunft eher pessimistisch:
"Sie ist technisch, emotionslos. Ich glaube, dass je technischer und je verrückter die Summen, die für Spieler gezahlt werden, werden, desto mehr geht von dem Atem des Fußballs verloren."
Freizeitfußballer und Dramatiker Moritz Rinke hält dagegen.
"Die Liebe zum Spiel wird immer siegen. Wenn wir unterscheiden zwischen der Liebe zum Spiel und der Marke. Die Marke wird irgendwann dieses System überreizen, und dann wird der Fußball kommen, und die Liebe sich wieder zurückholen, und auf den Moment warte ich…"