Raffinement und Eleganz
Das Gemälde strahlt Leichtigkeit und Heiterkeit aus, die junge Frau wirkt selbstbewusst und rätselhaft. Das um 1760 gemalte Bild begeistert unseren Autor so sehr, dass er es dreimal in seiner Wohnung platziert hat − eine Postkarte als schönstes Museumssouvenir.
Es gibt eine Dame, eine Postkartendame: Die steht seit Monaten im Regal, sieht mich jeden Morgen an. Und immer bin ich ganz berührt und weiß gar nicht, warum. Man nimmt an, dass es sich bei der jungen Dame um Marie-Emilie Baudouin handelt, die Tochter des Malers François Boucher, der sie etwa um 1760 gemalt hat.
Sie hat Blumen im Haar, um den Hals eine üppige Schleife in kräftigem Rosa, zartrosa die Haut, ihr Seidenkleid ist tief dekolletiert, mit gelb-grünen, hier und da ins Blau changierenden Pastelltönen halb gezeichnet, halb gemalt. In der linken Hand hält sie einen Kirschzweig, der rechte Arm liegt auf einer Stuhllehne, auf ihrem Zeigefinger sitzt ein Vogel, gelb-grün Schnabel und Gefieder, die Flügel noch etwas ausgebreitet, als wäre er gerade gelandet.
Der Geschmack des 18. Jahrhunderts
Gekauft habe ich diese Karte in einem kleinen Museum, dem Musée Cognacq-Jay im 3. Arrondissement von Paris. Mit dem Getränk Cognac hat es nichts zu tun: Es zeigt die Kunstsammlung von Ernest Cognacq und seiner Frau Marie-Louise Jay. Ernest Cognacq war als 15-Jähriger nach Paris gekommen, als Krawattenhändler hatte er auf der Straße angefangen, 1869 gründeten er und seine Frau das Warenhaus "La Samaritaine", das zeitweise das größte von Paris war, erst 2005 wurde es geschlossen. Clémence Maillard vom Musée Cognacq-Jay:
"Die Menschen damals empfanden das 18. Jahrhundert schlechthin als die Quintessenz von Raffinement und Eleganz, auch Ernest Cognacq. Er wollte kein Geschichtsmuseum, wollte keine Historienmalerei, keine religiösen Themen. Er wollte ein intimes Haus – mit kleinen Genreszenen, Portraits, Kleider, Teppiche, Möbel, Dekoratives, Miniaturen aus Elfenbein oder Porzellan. Ernest Cognacq wollte dem Geschmack des 18. Jahrhunderts nahekommen, ihn nachempfinden – und das zeigen wir: eben aus der Sicht eines Kunstliebhabers vom Beginn des 20. Jahrhunderts."
Erotisches Selbstbewusstsein
Eine kleine Boutique gibt es auch im Musée Cognacq-Jay. Bücher werden verkauft und eben Postkarten, und ich habe mich schon oft gefragt, warum ich gerade dieses Gemälde von François Boucher so mag. Vielleicht ist es die "délicatesse", die "Feinfühligkeit", die das Bild ausstrahlt, die Leichtigkeit, Heiterkeit, mit der alles nuanciert ineinanderfließt: lichte Farben, das Gefieder des Vogels und der Stoff des Kleides entsprechen sich, als gäbe es zwischen Mensch und Tier nichts als Harmonie. Der Blick der Marie-Emilie Baudouin verrät erotisches Selbstbewusstsein, hat etwas Forderndes, Lockendes, doch gleichzeitig sind ihre Lippen geschlossenen. Sie bleibt schweigsam, abwartend, rätselhaft, nicht einmal sicher ist, ob sie lächelt oder nicht.
Anmut, Grazie… der Besuch im Museum Cognacq-Jay hat etwas Zauberhaftes. Wie ist es, dort zu arbeiten?, frage ich Clémence Maillard.
"Ehrlich gesagt, es ist unglaublich schön, jeden Tag hier zu sein! Es ist wie ein großes Geschenk, täglich zum Beispiel mit Gemälden Bouchers, ja… zusammenzuleben. Es ist auch eine große Verantwortung, alles zu erhalten, zu pflegen, gut zu präsentieren. Aber vor allem ist es wirklich: ein großes Glück."
Ein bisschen was von diesem "Glück" hat das Gemälde von François Boucher auch zu mir nach Hause gebracht. Die Wahrheit zu sagen: Ich habe drei Postkarten davon gekauft. Wo immer ich in meiner Wohnung hingehe, begegne ich Marie-Emilie Baudouin. Wahrscheinlich dauert es nicht mehr lange, und ich fange an, mich mit ihr zu unterhalten.