Umgang mit Querfront-Aktivisten spaltet Linkspartei
Über eine Preisverleihung an den umstrittenen Ex-RBB-Moderator Ken Jebsen ist bei der Linken ein Streit entbrannt. Er gilt einigen in der Partei als Verschwörungstheoretiker und Antisemit. Der Journalist Markus Decker beobachtet in der Partei schon seit längerem ein erstaunliches Querfront-Denken.
In der Partei Die Linke gibt es Streit über den richtigen Umgang mit Querfront-Aktivisten. Querfront steht dabei als Sammelbegriff für antidemokratische, antisemitische, verschwörungstheoretische, rechtspopulistische oder rassistische Positionen. Entzündet hat sich diese parteinterne Debatte an der umstrittenen Ehrung des früheren RBB-Moderators Ken Jebsen, der einigen in der Partei als Verschwörungstheoretiker und Antisemit gilt. Sie stehen deshalb auf der Seite des Berliner Kultursenators Klaus Lederer, der die Preisverleihung des "Kölner Karlspreises für Engagierte Literatur und Publizistik" des ebenso umstrittenen Blogs "Neue Rheinische Zeitung Online" im staatlich geförderten Berliner Kino Babylon gerne verhindert hätte. Auf der anderen Seite gibt es den Vorwurf der "Zensur", die Bundestagsabgeordnete wie Diether Dehm und Andrej Hunko sowie der ehemalige Vize-Fraktionschef Wolfgang Gehrcke kritisieren. Auch Linken-Politiker Oskar Lafontaine warnte seine Partei vor einer "Ausgrenzung missliebiger Meinungen".
Relative Balance zwischen Befürwortern und Gegnern
"Es gibt diese Diskussion parteiintern schon länger", sagte der Journalist Markus Decker, der sich mit dem Querfront-Phänomen beschäftigt. "Es gab mehrere Antisemitismus-Diskussionen zum Beispiel in der Linken." Da habe sich bereits gezeigt, dass linke und rechte Positionen übereinstimmten. "Aber bei der Linken – und das ist kennzeichnend für Die Linke eigentlich generell – werden sozusagen Auseinandersetzungen selten bis zum Ende ausgefochten, und es gibt auch immer eine relative Balance zwischen Befürwortern und Gegnern von irgendetwas." Das habe sich auch bei der Abstimmung über die Jebsen-Preisverleihung gezeigt. Im Parteivorstand habe es 18 Leute gegeben, die sich mit Lederer gegen Jebsen solidarisiert hätten, aber eben auch sieben Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen. "Daran sieht man schon, wie gespalten Die Linke da in Teilen auch ist", sagte Decker. Er forderte, dass sich die Partei eigentlich von Leuten wie Dehm trennen müsse.
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Ken Jebsen war einst Hörfunk- und zeitweise auch TV-Moderator beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der fand ihn dann aber schon vor vielen Jahren nicht mehr tragbar, und seitdem betreibt Jebsen seinen eigenen Internetkanal und verbreitet Verschwörungstheorien, moderiert Veranstaltungen mit Reichsbürgern, Aluhut-Freunden und anderen. Heute bekommt er dafür in Berlin den Kölner Karlspreis für engagierter Literatur und Publizistik verliehen.
Diese Verleihung im Babylon in Berlin-Mitte wollte der Kultursenator der Stadt, Klaus Lederer, eigentlich verhindern, was interessant ist, nicht nur, weil es ihm nicht gelungen ist, sondern weil auch Lederer natürlich von der Partei Die Linke kommt, und die versucht sich jetzt eigentlich ganz klar gegen irgendwelche Verbindungen zwischen Rechts und Links und Verschwörungstheorien von allen Seiten zu stellen, aber es gibt auch Linkenpolitiker, die zum Beispiel diese Preisverleihung an Ken Jebsen ausdrücklich begrüßen, und über die Schnittmengen von Links und Rechts wollen wir deshalb jetzt mit Markus Decker reden. Er ist Journalist, arbeitet immer wieder auch zu diesem Thema, und zwar für die "Berliner Zeitung". Herr Decker, schönen guten Morgen!
Markus Decker: Schönen guten Morgen, ich grüße Sie!
Kassel: "Klare Kante gegen Querfront", das hat der Linken-Parteivorstand beschlossen, womit ja eigentlich schon von der Parteiseite selber zugegeben ist, es gibt Überschneidungen zwischen extremer Linke und extremer Rechte.
Decker: Ja, so ist es, und es gibt sie sozusagen auf inhaltlicher Ebene, aber auch auf personeller Ebene. Also es gibt inhaltliche Berührungspunkte zwischen linken und rechten Positionen beziehungsweise Linksaußen- und Rechtsaußen-Positionen in der Europapolitik. Es gibt sie im Verhältnis zu Israel und dem Verhältnis zu den Palästinensern. Es gibt sie in der Frage, wie stehen wir zu Russland und wie stehen wir zu den USA und vor allen Dingen zur NATO. Es gibt diese Berührungspunkte in der Flüchtlingspolitik, und es gibt sie, last but not least, im Verhältnis zur AfD.
Das ist sozusagen die inhaltliche Ebene, und dann gibt es auch immer wieder Ereignisse, wo sich das zeigt, wo Berührungspunkte sichtbar werden. Das war zum Beispiel bei den Montagsdemonstrationen gegen die Agenda 2010, so ab 2004, wo sich erstmals Rechtsextremisten unter Linke gemischt haben, damals aber eher, glaube ich, unbeabsichtigt. Also da war diese Querfront noch nicht geplant in dem Sinne. Es gab dann den sogenannten Friedenswinter ab 2014, Demonstrationen zugunsten Russlands im Ukraine-Konflikt, und jetzt die Preisverleihung an Ken Jebsen ist eine weitere Gelegenheit, wo sich das Berühren von Links und Rechts zeigt.
Dieter Dehm als zentrale Figur
Kassel: Kann man das eigentlich auch an einzelnen Personen festmachen innerhalb der Partei Die Linke?
Decker: Ja, man kann das an einzelnen Personen festmachen. Also eine zentrale Figur ist Diether Dehm, Bundestagsabgeordneter aus Niedersachsen, Musikmanager lange Zeit gewesen, war früher mal in der SPD, wurde von Wolf Biermann beschuldigt, ihn für die Stasi bespitzelt zu haben. Also Diether Dehm ist jemand, der Kontakte zu Jebsen pflegt. Wer auch für Jebsen und die Preisverleihung Partei ergriffen hat, ist Oskar Lafontaine, der ehemalige SPD- und spätere Linken-Vorsitzende.
Über Lafontaine kommt in gewisser Weise auch Sahra Wagenknecht ins Spiel, seine Ehefrau, auch wenn die sich zu diesem Fall jetzt nicht geäußert hat, aber die ja immer wieder auch ins Gespräch kommt, weil sie sich freundlicher als andere in der Linken zur AfD äußert. Und dann gibt es zum Beispiel noch den europapolitischen Sprecher der Linksfraktion, Andrej Hunko, der auch in gewisser Weise in dieses Spektrum gehört.
Gespaltene Linke
Kassel: Und Hunko und Dehm spielen keine so ganz bedeutende Rolle innerhalb der Partei. Das ist natürlich bei Lafontaine, bei Wagenknecht anders. Wie geht denn die Partei um mit diesen Strömungen, und, vor allen Dingen, hat sie sie in der Vergangenheit eher ignoriert oder gibt es die Diskussion parteiintern schon länger?
Decker: Es gibt diese Diskussion parteiintern schon länger. Es gab mehrere Antisemitismus-Diskussionen zum Beispiel in der Linken. Da zeigt sich das Berühren von Links und Rechts ja auch, also im Verhältnis zu Israel und einer besonderen Feindseligkeit von Teilen der Linken gegenüber Israel. Aber bei der Linken – und das ist kennzeichnend Die Linke eigentlich generell – werden sozusagen Auseinandersetzungen selten bis zum Ende ausgefochten, und es gibt auch immer eine relative Balance zwischen Befürwortern und Gegnern von irgendetwas.
Das zeigt sich auch bei der Abstimmung über die Jebsen-Preisverleihung und die Demonstration, die da geplant war. Im Parteivorstand hat es 18 Leute gegeben, die sich mit Lederer gegen Jebsen solidarisiert haben, aber es hat eben auch sieben Nein-Stimmen gegeben, also sieben Leute, die das dezidiert nicht wollten, und fünf Enthaltungen. Daran sieht man schon, wie gespalten Die Linke da in Teilen auch ist.
Es ist immer wieder dasselbe Bild, dass es Auseinandersetzungen gibt, dann geht es ein paar Tage oder auch Wochen heftig zu. Und wenn die Auseinandersetzung vorüber ist, dann geht eigentlich alles weiter wie bisher. Also meiner Ansicht nach müsste sich Die Linke von bestimmten Leuten wie Dehm zum Beispiel einfach auch mal trennen oder sie aus Ämtern drängen zumindest. Aber so etwas passiert bei Der Linken nicht.
Tabus gelten nicht mehr
Kassel: Der Begriff Querfront ist natürlich schon ziemlich alt. In der Weimarer Republik ist er aufgetaucht, und das ist immer die Frage, wenn man heute solche Begriffe verwendet. Wie angemessen ist dieser historische Vergleich? Wie extrem sind denn für Sie diese Verstrickungen zwischen Verschwörungstheoretikern und linken und rechten-extremen Politikern inzwischen schon?
Decker: Im Moment spielt sich das noch auf einem Niveau ab, auf dem es nur Experten wie Sie und ich vielleicht überhaupt zur Kenntnis nehmen. Also weite Teile der Öffentlichkeit kennen Jebsen nicht, kennen auch Diether Dehm nicht. Den muss man immer erst mal erklären, wer das eigentlich ist. Aber dass insgesamt, sagen wir mal, das politische Denken in Deutschland in Wallung ist, dass bestimmte Tabus nicht mehr gelten, die bis vor zehn Jahren noch gegolten haben, auch was das Verhältnis zum Nationalsozialismus angeht und die Konsequenzen, die wir daraus ziehen sollten.
Also das ist so, und es ist sozusagen heutzutage nicht mehr so richtig klar, was links und was rechts ist oder weniger klar als es in der Vergangenheit war. Das ist, glaube ich, ein Prozess, der sich eher noch beschleunigen und verstärken wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.