Wenn die Arbeit auf dem Spielfeld krank macht
Immer mehr schwere Verletzungen, schlechte medizinische Versorgung und Einsatz trotz Krankheit: Der deutsche Fußball erscheint im europäischen Vergleich als harte Verschleißmaschine. Die Spieler sind reich, aber entrechtet - wie eine Ich-AG.
Üppige Kastanienbäume stehen zwischen den Hochhäusern, die gestaffelt bis zu 18.Stockwerke hoch in den Berliner Himmel ragen. Mildes Gelb und Grau beherrscht den Block, das abblätternde Dottergelb der "Neunstöcker" gegenüber kündet vom länger zurückliegenden Richtfest. Anfang der 70er-Jahre wuchsen die Häuserriesen im südlichen Stadtteil Buckow aus dem Boden. Hier an der Ringslebenstrasse heißt die Schultheiss Kneipe "Zinnkanne", der Friseursalon trägt den Namen "Haarmonie". Der alte Supermarkt steht leer, eine entsorgte Matratze mit lila Bezug liegt vor dem Eingang. Zwei Fahnen von Hertha BSC wehen von einem Balkon. Hier ist einer der erfolgreichsten Fußballspieler Deutschlands aufgewachsen.
Carsten Ramelow: "Ich bin in Buckow groß geworden. Ich bin in einem sozialen Wohnungsbau groß geworden, im 14. Stock. Mit meiner Schwester zusammen. Wir sind groß geworden in einer ganz kleinen Wohnung. Aber ich hatte eine wunderschöne Kindheit, meine Eltern waren immer für mich da. Mein Vater war Kraftfahrer bei der BSR, der Berliner Stadtreinigung in Berlin. Und meine Mutter war immer zuhause für mich."
"Mein Vater war jetzt kein Fußballer jemals gewesen. Bloß gedacht hat er, es wäre für mich das richtige. Und die ersten Tage und ersten Wochen, es war einfach anstrengend, es war eine Katastrophe für mich. Ich bin heulend nach Hause. Ja, ich stand teilweise lustlos auf dem Platz, mit Händen in den Hosentaschen, bis meine Mama, dann die Idee hatte: Mensch, da nähe ich doch einfach die Taschen zu. Ja, und dann musste ich mich bewegen...Ja, und irgendwann ist das erste Tor gefallen, das ich geschossen habe, und dann ist der Knoten geplatzt", sagt Carsten Ramelow.
1980, er war sechs Jahre alt und spielte bei der F-Jugend von Tasmania Berlin, begann seine Karriere: 333 Bundesligaspiele, 22 Tore, viermal deutscher Vizemeister mit Bayer Leverkusen, DFB Pokalendspiel, Finalteilnahme an der Champions League gegen Real Madrid, 2002 Vize-Weltmeister in Japan und Korea. 2008 hört er auf wegen Knieproblemen.
Gewerkschaft gegen Entertainment-Maschine
Heute ist Carsten Ramelow aktiver Gewerkschafter. Bei der Fußballspielergewerkschaft VdV, der Vereinigung der Vertragsfußballer. Einfaches Mitglied schon seit dem Jahr 1997, seit 2003 Vizepräsident. "Ja, und damals bin ich halt rein aus Solidarität. Wenn es mal Probleme gibt, und wir viele Spieler sind, dann können wir einiges bewegen."
1987 gründeten Profis wie der HSV Spieler Benno Möhlmann erstmals eine eigenständige Interessenvertretung der Spieler. Heute sind rund 1400 aktive und ehemalige Fußballer Mitglied. Die Spielergewerkschaft hat viele Verbesserungen erreicht, etwa die Ablösefreiheit nach Vertragsende oder ein Trainingscamp für arbeitslose Spieler. Zuletzt führte man Prozesse, für Spieler die gegen ihren Willen in Trainingsgruppen abgeschoben wurden.
Derzeit steht die Spielergewerkschaft vor der größten Herausforderung ihrer dreißigjährigen Geschichte. Denn der Profifußball 2017 ist eine milliardenschwere Entertainment-Maschine, mit immer mehr Spielen, immer mehr Tempo, immer mehr Sprints, immer mehr Schmerzmitteln- und immer mehr Verletzungen.
Ingo Froböse, Professor für Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule Köln: "Was früher immer im Mittelpunkt stand zu Netzers, Uwe Seelers Zeiten waren ja oft nicht die gravierenden Knieverletzungen, Kreuzbandverletzungen, die wir heute haben, sondern man hatte meistens Muskelverletzungen auf der einen Seite. Oder die normalen Schürfverletzungen. Also, wir haben eine deutliche Verletzungshäufigkeit dahingehend, dass nicht die Bagatellverletzungen zugenommen haben, sondern die schweren Verletzungen zugenommen haben. Man muss das Spielerdpotential einfach schützen, und damit den Menschen schützen. Wir brauchen keine Gladiatoren. Und diese Gladiatoren, das wissen wir ja, die sind damals geopfert worden, in der Arena."
Die gemächlichen 80er-Jahre
Im Jahr 1987, dem Gründungsjahr der Spielergewerkschaft, rollte das runde Leder noch gemächlicher. "Gut 1987, gab es schon internationale Wettbewerbe wie Europapokalwettbewerbe. Aber Fußball war noch wenig internationalisiert", sagt Professor Christoph Breuer, Sportökonom an der Sporthochschule Köln. "Und Fußball war noch wenig kommerzialisiert, die Spieler der Fußball Bundesliga waren natürlich bereits Profis, aber die Jahresgehälter, die bewegten sich nicht im Millionenbereich bei den 30 bis 40 Besten. Sondern es waren Summen im sechs stelligen DM Bereich damals. Und auch die Erlöse aus Medienrechten, waren deutlich geringer und auch die Zuschauerzahlen waren deutlich geringer. Ausverkaufte Stadien war keine Selbstverständlichkeit sondern eher die Ausnahme."
"Insgesamt war der Fußball gerade in der körperlichen Domäne, es war alles statischer auf dem Spielfeld, es war alles ein Stück weit langsamer, dass wissen wir wie schnell der Ball weiter gepasst wurde. Es war alles übersichtlich. Das heißt auch die Taktik war noch nicht so ausgereift, die Ideen, die man hatte", berichtet Daniel Memmert, Professor am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik.
Die Straßenbahnlinie 302 fährt von Gelsenkirchen Hauptbahnhof zum Stadtteil Buer die "Schalker Meile" entlang – eine ganze Straße in blauweiß. Links die alte Glückauf-Kampfbahn aus dem Jahr 1927, dahinter eine Fahrschule, ein Schalke Grill Eck, eine Polsterei - alles in Blau und Weiß, dann der legendäre ehemalige Tabakladen der Schalker Idole Ernst Kuzorra und Stan Libuda. Die letzte Betreiberin machte vor vier Jahre dicht, zu wenig Kaufkraft in den eigentlich grauen Mehrfamilienhäusern. Eines davon ist mit riesigen blauen Bannern und einem Versprechen behängt: "Blau und Weiß, ein Leben lang!"
In der Glückauf-Kampfbahn, da spielten die besten Fußballer Deutschlands. Damals in den dreißiger Jahren. Dann folgten vor allem Skandale und Abstiege. Um die Jahrtausendwende strahlte Blau Weiß wieder: Gewinn des Europapokals, des DFB Pokals, Deutscher Vizemeister, Champions League mit Europas Besten.
Vom Spieler zum Mannschaftsarzt
Einer stand damals immer am Spielfeldrand: Thorsten Rarrek. "Ich bin nach wie vor großer Hesse und Rilke Fan. Unterm Rad ist mein Lieblingsbuch, muss ich sagen. Da wird sehr schön ausgedrückt, wie durch falsch verstandene Bildung und den entsprechenden Druck, ein Mensch zerstört werden kann. Ich finde das immer wieder gut. Es ist ein Bildungsroman, der aus meiner Sicht noch genauso gelesen kann, wie vor fünfzig Jahren."
Die Praxis, erzählt er, sei eingerichtet wie bei ihm zu Hause: Ältere Möbel, Holztöne, warme Farben. Seine Website präsentiert "zahlreiche Naturheilverfahren". Hier praktiziert der Orthopäde Dr. Thorsten Rarrek in seiner Privat-Praxis in Gelsenkirchen Buer. Millionen Fernsehzuschauer kennen ihn als Mannschaftsarzt von Schalke 04 - zwischen 1997 und 2007 und von 2011 bis 2014 war er dort zu sehen. Der grüne Rasen war immer sein Ziel. In der Jugend träumte er von einer Profikarriere. Zuerst lief alles sehr gut, Aufstieg in die Westfalenliga und die Jugend von Schalke. Dann kam ein schwerer Schienbeinbruch und mehrere Operationen. Thorsten Rarrek begann Medizin zu studieren. Und kam als Mannschaftsarzt ins Stadion zurück.
"Die Entwicklung des neuen Fußballs nach der Jahrtausendwende, immer mehr Hochleistung in einer immer härteren Entertainmentmaschine, er hat sie miterlebt. Es ist definitiv so, dass die Belastung des Spielers deutlich zugenommen hat, also, deutlich mehr Spieltage, durch internationale Spiele, aber auch durch sonstige Wettbewerbe. Das kann schon man sechzig, siebzig Spiele sein, die ein Spieler wie Thomas Müller absolvieren muss im Jahr. Dann pro Spiel mindestens drei, vier Kilometer mehr laufen. Dann hunderte von Sprints und Richtungswechseln, die um dreißig Prozent zugenommen haben seit den 80er-Jahren."
"Die Spieler haben eine Überforderung im Dauermodus. Durch diese Wettbewerbe und die Einwirkung des Gegners passieren laufend Zerrungsmomente auf Sehnen, Muskeln, Gelenke. Und das summiert sich im Laufe der Saison...dazu kommen Ermüdungsrückstände. Und die Schäden werden größer, der Spieler hat Dauerschmerzen. Kaum ein Spieler hat nicht jeden Tag Schmerzen", sagt Dr. Thorsten Rarrek.
"Aber die Schmerzen sind unser Freund und sagen , dass irgendetwas nicht richtig ist. Und was natürlich folgt, neben diesen Überlastungsschäden, sind massive Verletzungen, Kreuzbandrisse, Großmuskel-, Sehnenverletzungen, wie wir sie in der Anzahl früher auch nicht hatten. Mindestens 25 Prozent eines Kaders pro Saison hat eine schwere Verletzung."
Geschönte oder intransparente Statistiken
Der europäische Fußballverband UEFA hat 2016 eine Studie zu Verletzungen bei 50 Elite-Fußballklubs durchgeführt. Die Gesamt-Rate der verletzten Spieler sank in den letzten 15 Jahren. Die Clubs bleiben allerdings anonym. Der Welt Fußball-Verband Fifa verweist ebenfalls auf sinkende Verletztenzahlen - zumindest bei Weltmeisterschaften. "Auch hier muss man sagen, die eindeutige Diagnostik bleibt beim einzelnen Verein, beim einzelnen Mannschaftsarzt, und das tritt häufig nicht an die Öffentlichkeit. Der Marktwert ist das eine, das andere die Medien, den Spieler nicht zu verunsichern. Und so sind die ganzen Statistiken entweder geschönt oder nicht ganz so transparent", sagt Ingo Froböse.
Zudem verschleiert der positive Gesamtwert der Statistiken von Uefa und Fifa die gravierenden Unterschiede zwischen einzelnen Ländern. Im internationalen Vergleich ist der deutsche Fußball sehr hart und gesundheitsschädlich. Das Fußballmagazin Kicker und Michael Zorc, Manager des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund sind sich im Juni 2015 einig: Deutsche Mannschaften, die in internationalen Wettbewerben spielen, haben deutlich mehr Verletzungen als die europäische Konkurrenz.
Das zeigt eine Statistik, die auf offiziellen Verletztenzahlen der Website Transfermarkt basiert. So sind die Verletzungsfälle bei Bayern München zwischen 2011 und 2015 um gut zehn Prozent gestiegen, auf rund 23 Prozent, fast genauso hohe Steigerungsraten fanden sich beim FC Schalke 04 und Borussia Dortmund. Insgesamt führen die deutschen Mannschaften diese Krankentabelle an, die spanischen und italienischen Vereine schneiden viel besser ab. Als ein zentraler Grund gilt die bessere medizinische Versorgung. Und mehr Schonzeit für die Spieler.
Ronaldo wurde in der spanischen Liga bewusst geschont
Real Madrid gewann in der Saison 2016/17 die Championsleague. Der zentrale Spieler Christiano Ronaldo, wurde in dieser Saison in der spanischen Liga bewusst geschont. Ronaldo entschied die Champion League für Real, auch mit fünf Toren gegen Bayern München im Viertelfinale.
Versichert sind die deutschen Profifußballer bei der Verwaltungsberufsgenossenschaft. Ingo Froböse beklagt, dass die keine Statistik der invaliden Fußballer veröffentlicht: "Invalidität ist auch für die Berufsgenossenschaft ja ein echtes Thema, ...deswegen zahlen die Spieler auch relativ viel Geld in die Versicherung ein. Heißt aber auch auf der anderen Seite, dass man immer was Image betrifft, das auch nicht nach außen tragen will, dass Sport zur Invalidität führt. Und auch wir wissen immer noch nicht, wie viel Zahlen sind es nun. Also, da ist man nicht ganz transparent", sagt Ingo Froböse.
Eine Sprecherin der Genossenschaft betont, dass die Auswertung von Verletzungsdaten noch Neuland sei, im Jahr 2016 erschien der erste öffentliche Report. Die im internationalen Vergleich hohen Verletzungszahlen sind auch Resultat davon, dass kranke Spieler sehr früh wieder aufs Feld geschickt werden, glaubt Dr. Thorsten Rarrek: "Oder eben auch große Mengen von Schmerzmitteln einnimmt, und nicht mal für ein Endspiel. Sondern dauerhaft.Das haben ja auch Untersuchungen von Spielern gezeigt, bei den verschiedenen Meisterschaften. Zuletzt 2010, dass über 40 Prozent dauerhaft Schmerzmittel genommen haben, um überhaupt dass Turnier zu überspielen."
Einer Studie der Fifa zufolge hatten bei der WM 2010 in Südafrika 39 Prozent aller Aktiven vor Spielen Schmerzmittel eingenommen.
Der Mittelfeldspieler und Nationalspieler Jermaine Jones erklärte, dass er in seiner Zeit bei Eintracht Frankfurt nach einem Ermüdungsbruch und Entzündungen im rechten Schienbein monatelang Schmerztabletten geschluckt habe, häufig mehrere am Tag. Der 42jährige Thomas Brdaric, der ebenfalls für die deutsche Auswahl gespielt hat, klagt nach Ende seiner Karriere über kaputte Knie. Er könne mit seinen Söhnen keinen Fußball mehr Spielen. Der Spanier Alvaro Dominguez bis vor kurzem Mittelfeldmotor bei Borussia Mönchengladbach, bezeichnet sich als Invaliden und kritisiert das Fitspritzen. Die Zahl der Beispiele ließ sich endlos verlängern. Dazu kommt noch der weiter wachsende Schmerzmitteleinsatz.
Klage gegen den Mannschaftsarzt
Thorsten Rarrek: "Das viel größere Problem ist die Organschädigung. Magenschäden, bis hin zu Magengeschwüren. Das sind Leberschäden, Nierenschäden. Klasnic in Bremen, wo ja jetzt der Vereinsarzt kürzlich verklagt wurde. Und ich bin ja ganz sicher zu unrecht, weil ich ihn kenne: Man kann als Arzt nichts dagegen machen, wenn die Spieler sich die Mittel von anderswo holen. Und wir dürfen nicht vergessen Blutdruck und Herzschädigungen. Wir wissen mittlerweile, Diclophynac, Ibuprofen, können den Herzrhythmus erheblich stören. Und da kann es auch mal zu Herzrhythmusstörungen führen."
Der früher Bundesliga Star Ivan Klasnic prozessiert seit rund zehn Jahren gegen Mannschaftsärzte von Werder Bremen: Sie seien nachlässig mit den Blutergebnissen und der Verschreibung von Schmerzmitteln umgegangen, was die Nierenprobleme verschlimmert haben soll. Klasnic steht vor der dritten Nierentransplantation.
Thorsten Rarrek berichtet: "Das Problem ist, dass der Arzt für alles verantwortlich gemacht wird, aber nichts entscheiden darf. Das heißt in Sachen Gesundheit wären wir potentiell der Ansprechpartner, aber können uns in der Regel nicht im Alltag durchsetzen. Nein, definitiv ist das so, der Spieler entscheidet längst nicht mehr selbst, ob er eingesetzt wird. Da sind ganz andere Entscheidungsträger, allen voran Trainer und Manager."
Einer der Clubs mit den meisten Verletzten war Schalke 04. Auch unter dem Mannschaftsarzt Dr. Thorsten Rarrek. 2014 haben sich der Club und Rarrek getrennt. Offiziell in beiderseitigem Einvernehmen. War der Mannschaftsarzt glücklich, als alles vorbei war?
"Das waren für mich die größten Streßmomente, die tägliche Diskussion über den Wiedereinsatz der Spieler, man feilschte wirklich wie auf einem türkischen Basar. Und wenn man die Erkenntnis hat über einen Heilungsprozess. Das ist viel zu gefährlich, der befindet sich noch in der sogenannten Reparaturphase, ein falscher Schritt. Und das reißt alles wieder auf. Und das täglich zu erleben, wie hart da am Wind gesegelt wurden. Das war für mich der größte Stress - eben das zu wissen, was da passieren kann. Und dann trotzdem nicht Einfluss nehmen zu können: Komm lass den noch eine Woche draußen."
Karriereaus nach acht Operationen
Frühjahr 2008, Nationalspieler Carsten Ramelow feiert mit Fans von Bayer Leverkusen seinen Abschied vom Profifußball. Sein Körper streikte: "Auch ich hatte da acht Operationen, vier mal links am Knie, vier mal rechts am Knie, zwei Mittelfußbrüche, zweimal Leistenoperationen."
Heute glaubt Carsten Ramelow, dass manche Verletzungen vermeidbar gewesen wären: "Als ich im Jugendbereich bei Hertha BSC Berlin, wo ich ja schon meinen ersten Profivertrag unterschrieben hatte. Und ich dann als das größte Talent in Berlin gehandelt wurde, habe ich natürlich in der A Jugend gespielt, war aber schon soweit, dass ich auch bei den Profis mit trainieren durfte. Und dann noch spielen durfte teilweise. Und wenn ich nicht zum Einsatz kam, dann aber auch bei den Amateuren aushelfen musste, auf drei Hochzeiten war ich unterwegs."
Carsten Ramelow: "Und wenn man heute sagt, man hat diese Erkenntnisse: Zum damaligen Zeitpunkt hätte man mich ja raus nehmen, mal sagen können: Mensch wir gönnen wir die eine oder andere Pause. Hat man aber nicht gemacht. Ich bezweifle, dass man es auch heute machen würde. Durch diese Dreifachbelastung hatte ich meinen ersten Mittelflussbruch auf der rechten Seite, das war dann nach sechs Wochen ausgeheilt. Beim ersten Training, ich konnte es gar nicht glauben, hatte ich das gleiche auf der linken Seite. Innerhalb von ein paar Wochen wirklich zwei Mittelfußbrüche, aufgrund dessen war einfach die Belastung extrem hoch als junger Spieler."
Die Verletzungsmisere im deutschen Fußball verschärft sich weiter, weil junge Spieler immer wichtiger werden. Borussia Dortmund ist das deutsche Spitzenteam, das klar auf die Jugend setzt. Altersdurchschnitt in der Saison 16/17 22, 9 Jahre.Diese Jugendwelle hat einen klaren Grund, glaubt Fußball Professor Daniel Memmert von der Deutschen Sporthochschule Köln. Das Mentale wird wichtiger, weil der Körper an seine Grenzen gelangt.
"Die physische Komponente ist schon wichtig, da hat man schon viel gemacht. In vielen Bereichen. Da hat man schon was wie Deckeneffekte. Das heißt, das kann man ja schon beobachten an einigen Verletzungen, die einige Vereine hatten - dass der Körper das schon nicht mehr weiter tragen kann. Das sieht man in allen Ländern...dass immer mehr Spieler verletzt sind. Man scheint da irgendwo angekommen zu sein, wo nichts mehr geht", sagt Memmert.
Hohe Flexibilität und schnelles Lernen
Der erfolgreiche Fußball von heute fordert von den Spielern eine hohe Flexibilität, in einem Spiel muss die Mannschaft verschiedene Systeme spielen können. Diese Tendenz verlangt nach einem bestimmten Spielertyp. "Das sind ja gerade die Spieler, die jeder Trainer haben möchte, die extrem schnell lernen. Und deshalb will jeder Trainer junge Spieler haben, weil denen wird das noch mehr zugetraut, aus ihren starren Mustern herauszukommen, um schneller und besser zu lernen", so Memmert.
Der frühere Nationalspieler Christian Ziege wurde im Jahr 2011 deutscher Nationaltrainer der unter 18Jährigen. Nach zwei Jahren machte er die Entdeckung, dass es schon bei seinen Jugendlichen sehr viele schwere Verletzungen gibt, in einem Team habe es zwischenzeitlich sieben oder acht Kreuzbandrisse gegeben. Ziege sprach von einem Alarmsignal.
Thorsten Rarrek: "Und das in einer Zeit in der der Körper noch wächst, und noch nicht voll belastbar ist. Und gerade Strukturen, wie Sehnenansätze oder Knie, wo zwei Knochen noch wachsen, das Schienbein und der Oberschenkelknochen. Das ist natürlich äußerst empfindlich. Und wenn in dem Alter Patienten zu mir kommen, sind es achtzig Prozent der Fußballer die Knieprobleme haben."
Im Frühling 2017 berichtet der Geschäftsführer der deutschen Spielergewerkschaft, Ulf Baranowsky, von alarmierenden Verletzungszahlen bei den talentiertesten Jungendspielern. Die Zahlen stammen von der Verwaltungsberufsgenossenschaft, die die besten Jugendspieler ab 15 Jahren gegen Unfälle versichert: "Bei einer Veranstaltung der Verwaltungsberufsgenossenschaft, Träger der gesetzlichen Unfallversicherung von Fußballprofis, wurden hier auch Studien vorgestellt, die besagen, das auch viele, viele Spieler im Jugendbereich ihre Karriere schon beenden müssen, beispielsweise aufgrund von Knieproblemen. Und rund dreißig Prozent fallen aus dem System raus."
Die Bundesliga als Verschleißmaschine
Der deutsche Fußball erschient im europäischen Vergleich als harte Verschleißmaschine: Die Spieler leiden unter einer schlechteren medizinischer Versorgung und werden trotz Krankheit rücksichtsloser wieder eingesetzt. Um das auszuhalten schlucken die Profis immer häufiger Schmerzmittel. Im März 2017 betonte der Trainer des Bundesligisten Eintracht Frankfurt, Nico Kovac, Fußball gehe ohne Schmerzmittel nicht mehr.
Der Profifußball, das populärste Schaufenster des Entertainment-Kapitalismus der Stars, wird von immer größeren Geldströmen bestimmt. In der deutschen Bundesliga verdient der durchschnittliche Profi mittlerweile fast zwei Millionen Euro im Jahr. Unter den 50 beliebtesten TV Sendungen 2016 finden sich 48 Fußballübertragungen.
Konfliktbereite Gewerkschaften, die auch Interessengegensätze austragen, passen zu dieser Geldmaschine nicht besonders gut. So wachsen eher die Netzwerke, die sich auf Gemeinsamkeiten und Chancen hin orientieren. Die Stars des runden Leders gelten vielen als zu gut bezahlt, um für Arbeitnehmerrechte zu streiken.
Das glaubt auch Tim Jerat, Mitglied im Spielerrat der Gewerkschaft: "Ja, das kann ich ein Stück weit schon nachvollziehen. Die VDV tritt letztendlich für uns Fußballer in einem anderen Maße ein als vielleicht andere Gewerkschaften, die vielleicht bedroht sind von Arbeitslosigkeit oder ja weniger verdienen als der Profifußballer im Durchschnitt. Aber letztendlich geht es darum, dass auch wir Fußballer auch Interessen haben und diese durchsetzen möchten. Es ist natürlich so, dass die VDV für jeden da große Vorteile bieten kann, sei es vergünstigtes Leasing im Autobereich, Ansprechpartner im juristischen Bereich, es gibt einen Laufbahncoach, es gibt das VDV Trainingscamp im Sommer, was dann für die arbeitslosen Fußballer eine große Hilfe sein kann."
Der Spielerrat der Gewerkschaft fungiert weniger als eigenständiger Motor für Veränderungen von unten nach oben, der Spielerrat erscheint eher als Instrument der Gewerkschaftsspitze: "Also, letztendlich sind wir als Spieler einfach nur Ansprechpartner der Hauptverantwortlichen der VDV", sagt Tim Jerat. "Und werden dann immer mal wieder nach den Themen befragt, die uns Fußballer beschäftigen. Und ab und an ist es so, dass wir uns dann zusammensetzen und wichtige Themen besprechen. Und informiert werden, was es für Neuerungen gibt, was erreicht worden ist und was dann noch ansteht, und was für Ziele dann da sind bei der VDV."
Darum gibt es keine öffentlichen Beschlüsse des Spielerrates. Und so erscheint die Spielergewerkschaft VDV erscheint weniger als Tarifpartner, eher als Netzwerk und Interessengemeinschaft, die hinter den Kulissen mit den Arbeitgebern dealt. Dazu passt, dass auch die Vize-Präsidenten der Gewerkschaft, die früheren Nationalspieler Carsten Ramelow und Christoph Metzelder, direkt vom großen Geld des Fußballentertainments profitieren. Carsten Ramelow verkauft über seine Booking Agentur auch Logen in Bundesligastadien, Christoph Metzelder arbeitet für die Sport Marketing Agentur Jung von Matt Sport.
Zudem hat die VdV immer größere Schwierigkeiten gerade die jungen Spieler zu erreichen, erklärt Tim Jerat, Mitglied im Spielerrat der Gewerkschaft. Der frühere Zweitligaspieler glaubt, dass die Jungen sich eher als autonome Ich AG begreifen: "Das führt dann schon dazu, dass man sich selbst etwas wichtiger nimmt, als das in der Realität der Fall ist. Und Selbstkritik ist dann damit einhergehend, eine Sache die etwas weiter weg ist, als bei Spielern vor zehn, fünfzehn Jahren. Ich hab schon das Gefühlt, dass es immer schwerer ist, Leute zu überzeugen in jungen Jahren, weil dann immer die Frage aufkommt, was bringt es mir persönlich. Und letztendlich, diese soziale Komponente, weshalb man in die VDV eintreten sollte, um einfach die Gemeinschaft zu stärken, um Interessen der Gemeinschaft besser umsetzen zu können, dass die nicht beachtet wird - und weg fällt."
Die paradoxe Figur des deutschen Profifußballers
Und so beherrscht sie die Bundesliga, die paradoxe Figur des deutschen Profifußballers: Ein Angestellter, der unter härtesten Arbeitsbedingungen leidet, aber keine gewerkschaftlichen Gegenmaßnahmen ergreift. Der reiche, aber entrechtete Star, eine Ich AG, die nur für den persönlichen Reichtum arbeitet. Und dabei auch mitunter eher bizarre Vorzüge genießt: "So reguliert man von Seiten der Vereine in das ganze Leben hinein, bis hinzu zu Beziehungen, dass Spieler möglichst frühzeitig auch Ehe eingehen, um auch eine gewisse Stabilität zu bekommen", sagt Ingo Froböse.
Zu den entmündigenden Rahmenbedingungen des Profifußballs in Deutschland passt die sehr hohe Kooperationsbereitschaft zwischen Spielergewerkschaft VDV, dem Deutschen Fußball Bund und der DFL, der Deutschen Fußball Liga, die als Tochterorganisation der Profivereine den Spielbetrieb organisiert. "Und dann sicherlich die Kooperationsvereinbarung mit DFB und DFL, die eben zu einer neuen Form der Zusammenarbeit auch geführt haben, auch zu gemeinsamen Projekten und die Dinge konstruktiv anzupacken. Und sich weniger vor Gericht zu sehen. Tarifverträge im politischen Bereich sind unser Ziel, das haben wir noch nicht erreicht, wir wissen große Themen brauchen etwas länger, aber wir haben große Bretter schon durchbohren können", sagt Ulf Baranowsky.
In England, Italien und Spanien haben die Fußballprofis mit einer starken Gewerkschaft Tarifverträge erreicht. In Deutschland forderte die damalige Angestelltengewerkschaft DAG – heute Verdi - schon im Herbst des Jahres 1965 Tarifverträge. Mehr als ein halbes Jahrhundert später ist davon nichts mehr zu hören.
Testbatterien messen den Körperzustand
Der langjährige Mannschaftsarzt von Schalke O4, Thorsten Rarrek, hat Verbesserungsvorschläge für den deutschen Fußball. Sogenannte Testbatterien messen den körperlichen Sollzustand: "Das man sagt, bevor einer überhaupt wieder aufs Feld zurückkommt, muss er diese Testbatterien durchlaufenen, und seinen Sollwert durchlaufen. Diese Expertise wird an den DFB weitergeleitet. Und ansonsten spielt er nicht."
Wichtig wäre auch, den massenhaften Missbrauch von Schmerzmittel dadurch zu stoppen, dass diese Mittel auf die Dopingliste kommen. Zudem dürfe nur der Arzt Krankheit und Gesundheit feststellen. Die bisherige Praxis entspräche eher einem Vergleich, meint Thorsten Rarrek: "Das wäre dasselbe, als wenn ein Bauarbeiter hat sich den Rücke verhoben hat. Und dann kommt sein Polier und sagt: He mein Freund, du kommst jetzt drei Tage früher zur Arbeit. Das geschieht im Fußball: Gegen die Anordnung des Arztes werden laufend Spieler eingesetzt. Und wenn der Arzt sich dagegen aufbäumt, dann gibt‘s Probleme oder man hört selbst auf oder man wird raus geschmissen."
"Wenn man das Rad überdreht, dann kann man natürlich vieles kaputtmachen, auch bei der Anwendung gewerkschaftlicher Mittel, darum gilt es im Einzelfall natürlich abzuwägen, wie groß darf, kann der Druck sein, um das Ziel zu erreichen. Und man muss natürlich versuchen immer Win Win Situationen zu erreichen um das gesamte System weiterzuentwickeln", sagt Ulf Baranowsky.
Thorsten Rarrek: "Sinnigerweise hatte ich eine Anfrage aus der Bundesliga. Und ich hab gesagt, bevor wir uns überhaupt unterhalten: Von Vornherein, ich möchte im Vertrag sicherstellen, dass nur ich bestimme, wann ein Spieler wieder eingesetzt werden kann. Das ist die Grundvoraussetzung. Alles andere können wir hinterher besprechen. Das muss rein. Und da wurden schon die Gespräche schon beendet."