Goldgräberstimmung im ehemaligen KdF-Seebad
Die Nationalsozialisten bauten in Prora das "Kraft durch Freude-Seebad der 20.000", dann nutzte es die Nationale Volksarmee der DDR. Jetzt entstehen in den Blocks Hunderte Wohnungen im Hochpreis-Segment. Wird Prora bald ein "Seebad der oberen 20.000"?
- "Ja, der Meerblick. Mehr Meer geht nicht!"
- "Das ist bedrückend und beklemmend."
- "Dieser schöne Strand, dieser schöne grüne Streifen und dann kommen diese weiße Bauten hier, diese länglichen, weißen Bauten. Das sieht verdammt gut aus."
- "Nee. Also, wenn ich das so sehe, hab ich Hitler vor Augen und kriege es mit der Angst zu tun. Das ist so eine Massenkaserne - schlimm."
An Prora scheiden sich die Geister. Schon immer – und wohl auch für immer. Wobei man sagen muss, derzeit hat die Meerblick-und-alles-gut-Fraktion Oberwasser. Eindeutig.
Kein einziger KdF-Urlauber machte Ferien in Prora
Meerblick für alle. Das war und ist das große Versprechen von Prora. Ein Leben quasi am Strand, gleich barfuß über die Düne ans Meer, das 150 Meter vor den Häusern rauscht. Darin Luxusapartments. Heute. Damals waren nur kleine Kämmerchen geplant, kaum zehn Quadratmeter für zwei Volksgenossen, die hier zum Urlaub antreten sollten. Meerblick für alle! Augen geradeaus! Erholen! In unmittelbarer Nachbarschaft zu Binz, dem mondänsten Bad der Insel Rügen, wurde Prora im Auftrag der NS-Organisation "Kraft durch Freude" zwischen 1936 und 1939 gebaut.
(Reporter Grundsteinlegung 1936:) "Auch heute herrscht Feststimmung, gilt es doch, den Grundstein zu legen für das KdF-Bad, das einmal 20.000 Volksgenossen Erholung und Freude geben soll."
Doch kein einziger KdF-Urlauber streckte hier je den Bauch in die Sonne. Der Krieg kam dazwischen. Das längste und wohl größenwahnsinnigste Bauwerk der Welt wurde nie fertiggestellt: eine viereinhalb Kilometer lange Häuserzeile mit regelmäßig angeordneten Quergebäuden. Aus der Luft sieht es aus wie ein Riesen-Kamm mit groben Zinken.
Nach dem Krieg machte die Nationale Volksarmee, kurz NVA, Kasernen daraus. Nach der Wende siedelten sich Kulturinitiativen, Vereine und eine Jugendherberge an. Doch der größte Teil des Areals verfiel immer mehr. Der Architekt Daniel Libeskind bezeichnete Prora als "das gebaute Böse", das man am besten abreißen sollte. Es kam anders. Ganz anders.
(Werbefilm Musik, Gesang): "Wir sind immer noch hier, das ist ein gutes Zeichen. Das was gestern war, das muss dem Heute weichen..."
Ein Werbevideo kündet von der Goldgräberzeit in Prora. Man ist dabei dem nie von Urlaubern bezogenen "KdF-Seebad der 20.000" das "Böse" auszutreiben: In den Blocks entstehen gerade Hunderte Wohnungen im High-End-Segment. 20 Jahre lang passierte nichts.
Denn der Denkmalschutz forderte: Keine Anbauten oder Überdachungen, und vor allem keine Balkone. Eine Ferienwohnung direkt am Meer ohne Balkon? Kauft kein Mensch. Investoren strichen die Segel. Bis auf einen: Ulrich Busch. Er grub alte Pläne aus, die ursprünglich Balkone vorsahen und ließ an einem Stück Hauswand probeweise einen Balkon aus Stahl und Glas anbringen. Das überzeugte die Denkmalschützer.
Ein Wohnprojekt für heutige Bedürfnisse
Ulrich Busch: "Es wäre natürlich sehr schwierig gewesen, eine Ferienwohnung ohne Balkon zu verkaufen. Das Denkmalgesetz sagt ja ganz klar, dass jemand, der ein Denkmal erwirbt, auch verpflichtet ist, es sinnvoll zu nutzen. Und eine sinnvolle Nutzung ist nun mal heute nicht möglich bei einer Wohnnutzung, wenn man keine Balkone in einer solchen Lage und in solcher Größe hat.
Und es ist eine wesentliche Bereicherung der Anlage, wenn sie auch von der Bevölkerung akzeptiert und angenommen wird. Das ist ja unsere eigentliche Aufgabe gewesen: Aus einer alten, nationalsozialistischen und DDR-Liegenschaft ein Wohnprojekt zu errichten, das den heutigen Bedürfnissen entspricht und wo sich die Menschen wohlfühlen."
Mehr als 90 Prozent aller Wohnungen sind schon verkauft. 455.000 Euro hat Ulrich Busch dem Bund für zwei Blöcke bezahlt, so viel kostet jetzt eine Wohnung.
"Klar, Prora ist nach wie vor immer noch ein Objekt, was die Leute trennt in ihrer Auffassung. Es gibt nur zwei Dinge: Entweder ich hasse es, oder ich liebe es. Ein Grau dazwischen gibt es nicht. Aber diejenigen, die es gehasst haben, sind jetzt weniger als die, die es lieben. Und das ist doch das spannende Ergebnis, was wir haben, und das Positive."
Iris Hegemann gehört zu jenen, die Prora lieben. Nachdem Ulrich Busch das mit den Balkons klargemacht hatte, kauften sie und ihr Partner ihm Block 1 ab. Dort sind die Bauarbeiten noch voll im Gange.
"Bevor hier irgendetwas gestartet ist, hatte Prora ja schon 70.000 Besucher jedes Jahr. Die einfach hier lang gegangen sind und das sehen wollten. Die wollten einfach dieses Stück Geschichte hier spüren. Und das Gute ist ja, dass hier nie was Schlimmes passiert ist. Und die Lage ist einzigartig."
So ganz sicher ist sich Iris Hegemann, die Chefin der Berliner Baufirma "Neues Prora", dann doch wohl nicht gewesen, dass hier "nie was Schlimmes passiert" sei. Schließlich wurde ein Teil der Gebäude von Zwangsarbeitern nach 1939 notdürftig fertig gebaut und diente im Krieg als Ausbildungslager für Polizei-Batallione, als Notunterkunft und Kaserne. Tausende Wehrdienstverweigerer durchlitten hier zu DDR-Zeiten ihre Armeezeit als Bausoldaten.
Die Geschichte einfach "wegchanten"
Wie auch immer die Geschichte war, wer auch immer hier unter welchen Bedingen baute, lebte, diente - es gibt für alles eine Lösung.
"Ich habe eine Feng-Shui-Dame hier gehabt, die komplett durch das Gebäude durch ist. Die Energien sind sensationell, keine Wasseradern, gar nichts. Eine Geomantie-Frau, die geprüft hat, ob da noch alte Energien sind, die vielleicht nicht so gut. sind. Dann habe ich 111 Mönche 16 Tage lang 24 Stunden chanten lassen - für den Fall, dass wenn irgendwas drin ist, das auch noch raus geht und dass es echt einen Neustart geben kann. Und es hat sich auch wirklich ganz anders angefühlt, das Gebäude, ganz toll."
Ja, was denn nun, Geschichte "wegchanten" oder doch spüren? Wer für "spü-ren" ist, sollte bald nach Prora reisen. Der Eindruck der Monstrosität und das Bedrückende, das einen angesichts der grau-braunen, ruinenartigen Blöcke im hinteren Teil befällt, verschwindet beim Anblick der neuen, cremeweißen Fassaden der beiden ersten Blöcke. Unweit der der neuen, weißen Pracht sieht man Plattenwege mit Schlaglöchern, Bauzäune, Schutthaufen, verfallene Hallen und Gebäude.
Museum und Dokumentationszentren sind bedroht
Baustellensound. Eine Frau mit Hund geht zwischen zwei Bauzäunen in Richtung Strand.
"Das ist nah am Wasser, ich meine, das ist ja auch verlockend! Wenn es nicht so furchtbar aussehen würde! Ich hab es bisher immer nur auf der Karte gesehen, da sah es sehr viel ansprechender aus."
Die Dame mit dem Hund schaut zum Block 3. Dort künden nur noch Graffitis und ein paar Schilder von den Kulturinitiativen, die sich in den 90ern hier angesiedelt hatten. Ihnen wurde längst gekündigt. Doch drei Initiativen harren noch aus: zwei Dokumentationszentren und ein privates Museum, das sich vor allem der NVA-Geschichte widmet. Hier arbeitet Thomas Wolff, ein ehemaliger NVA-Offizier.
"Für das Museum könnte man neben der Jugendherberge Räume bekommen. Das Problem ist dort, dass das Gebäude in einem desolaten Zustand ist und die Millionen, die man da bräuchte, die haben wir schlichtweg nicht, und die finanziert uns auch keiner."
Ein Neubau irgendwo im weitläufigen Prora-Gelände, das ist der Plan. Zudem der Landkreis nun auch noch den letzten Block an Hotel-Investoren verkaufen will.
"Wenn man über 20 Jahre in so einem Museum arbeitet, dann ist das ein Stück des eigenen Lebens, und das will man nicht einfach über Bord werfen, weil es nicht so läuft, wie man es gerne hätte. Insofern wollen wir nicht kampflos aufgeben."
Das hat auch Katja Lucke nicht vor. Sie ist die Leiterin des Dokumentationszentrums Prora. Die Ausstellung "Macht Urlaub" legt den Schwerpunkt auf die Zeit des Nationalsozialismus. Drei Schulklassen waren hier heute schon zu Besuch. Jetzt ist es ruhiger. Die Historikerin steht vor dem fünf Meter langen Modell der KdF-Anlage.
"Ich finde, man sieht mit dem Gebäude die NS-Ideologie in Stein gehauen. Es ging darum, mit diesen 20.000 Menschen, die hier zugleich Urlaub machen sollten, hier Einfluss zu nehmen auf sie. Es ging hier um Gleichschaltung. Man sollte sich hier verstehen als Bestandteil einer großen Idee, der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. Und zugleich sollte man hier auch fit gemacht werden für gute Arbeitsleistung, und vor allem freudigen Kriegseinsatz."
Ungewisse Zukunft für die Bildungsstätte
Mehr Platz für Ferienwohnungen bedeutet weniger Platz für Kultur und Bildung. Das zweite Dokumentationszentrum in Prora, das sich vor allem der Geschichte der Bausoldaten widmet, musste schon aus dem Hauptgebäude in ein abgelegenes Nebengebäude umziehen. Seitdem kommen weniger Besucher. Auch Katja Lucke weiß noch nicht, was die Zukunft für ihre Bildungsstätte bringt. Vielleicht entsteht hier bald eine Kletterhalle.
"Der Punkt ist: Man muss authentische Teile beibehalten, damit man an irgendeiner Stelle sehen kann, was eigentlich die Absicht hinter dem Gebäude gewesen ist. Ich finde, dass ein Ort wie Prora, was ja die zweitgrößte NS-Hinterlassenschaft hinter dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände ist, nicht unkommentiert stehen bleiben kann."
(Werbevideo:) "Die klare Form des Gebäudes wirkt elegant, die Ästhetik perfekter Geometrie. Bei der Weltausstellung 1937 in Paris wurde das Modell Seebad Prora mit einem Grand Prix ausgezeichnet."
In den Werbeprospekten ist von der Vergangenheit nicht die Rede
Die Historikerin findet es befremdlich, dass Werbeprospekte und Werbevideos mit keinem Wort die Vergangenheit von Prora erwähnen.
"Ich meine, gut, manchem fällt es dann leichter, sich hier einzukaufen. Irgendwann muss doch mal Schluss sein, das ist ein Satz, den man noch oft hört. Ja, ist auch schon eine Weile her - aber ich finde umso mehr, dass man dann darüber sprechen muss. Die zeitliche Distanz zieht Relativierungen nach sich und das muss gerade heute, wo wir über postfaktische Argumentation zu ganz eigenartigen Entwicklungen kommen - da ist es nötiger denn je. Relativierungen brauchen wir überhaupt nicht."
(Werbevideo:) "Echte Ziegel, made in Germany, ein Begriff von Qualität und Unvergänglichkeit."