Protest gegen "Deutsche Wohnen" in Berlin

Wie Modernisierungen die Mieten in die Höhe treiben

Sanierungsarbeiten in der Otto-Suhr-Siedlung in Berlin-Kreuzberg
Sanierungsarbeiten in der Otto-Suhr-Siedlung in Berlin-Kreuzberg © Wolf-Sören Treusch
Von Wolf-Sören Treusch |
Die "Deutsche Wohnen" wolle sie ausquetschen wie Zitronen, klagen Mieter über Berlins größtes privates Wohnungsunternehmen. Und während der Konzern einen Milliardengewinn einfährt, bangen Mieter um den Verbleib in ihrem Kiez.
Ein schlichter Mehrzwecksaal in der Otto-Suhr-Siedlung in Berlin-Kreuzberg. 35 Mieter sind zusammengekommen, um ihrem Ärger freien Lauf zu lassen. Darüber, dass die Betriebskosten wieder einmal viel zu hoch und die Fenster undicht sind, und darüber, dass seit drei Tagen die Heizung nicht geht.
"Das ist ja nicht das erste Mal, dass die Heizung ausfällt. Aber für anderes ist Geld da, aber für die Instandsetzung der Heizung, die sollen Sie mal, was gebraucht wird, das sollen sie machen, aber Wohnungen aufstocken, dafür ist Geld da, aber für die notwendigsten Sachen, dass die Leute nicht frieren müssen, ich muss doch nicht bei 17 Grad minus frieren, das ist doch eine Schweinerei so was."
"Michael, wir nehmen det ja gerne zur Kenntnis. Aber wir sind doch nicht der Vermieter."
"Ne, das weiß ich doch."
Nein, der Vermieter ist die Deutsche Wohnen, der größte private Vermieter in der Hauptstadt. 110.000 Wohnungen hat sie in ihrem Portfolio. 1700 davon in der Otto-Suhr-Siedlung, einer jener schmucklosen Sozialbausiedlungen der Nachkriegszeit. Doch weil die Lage der Siedlung äußerst attraktiv ist, direkt an der Grenze zum Bezirk Mitte, hat die Deutsche Wohnen Großes mit ihr vor. Sie will die Siedlung umfangreich energetisch sanieren und modernisieren. Will bei einigen Gebäuden zudem die Dachgeschosse ausbauen. Die Mieter sind verunsichert, befürchten Mietsteigerungen in erheblichem Maße. Und fragen sich: Wofür? Für längst notwendige Instandsetzungsarbeiten oder für Luxus-Modernisierung? Dieser Mieter hat bereits neue Isolierglasfenster eingebaut bekommen. Das Ergebnis, sagt er, ist verheerend.

Schimmel trotz Sanierung

"Schimmel in der Küche, wir haben zwar neue Fenster, aber seitdem haben wir jetzt auch Wasser mehr da drinne, und, ja, seitdem schimmelt das extrem. Damals haben die Fenster ein bisschen Luft raus gelassen, und jetzt haben wir das ja nicht mehr, und jetzt steht das eben."
325 Euro warm zahlt er für seine 36-Quadratmeter-Wohnung. 50 Euro mehr soll sie nach der Modernisierung kosten. Mindestens.
"Nur die neuen Fenster wurden gemacht, bis jetzt. Die Fassade wurde aufgemeißelt, und jetzt wird irgendwann mal eingerüstet. Und dann soll ne Dämmung dran gepackt werden, aber das dauert wohl noch. Die werden wahrscheinlich drauf verweisen, dass sie sagen: ‚erstmal die Dämmung, und dann können wir von innen den Schimmel bekämpfen’. Ich bin ja selbst Maler und Lackierer, und ich weiß: wenn von außen Wasser eindringt, bringt es nichts, von innen was zu machen."
Geld für einen Anwalt hat er nicht. So geht es vielen in der Otto-Suhr-Siedlung, denen die Mieterhöhungen richtig wehtun würden – Alleinerziehende, Migranten, Studierende und vor allem alte Menschen mit niedriger Rente. Berlinweit haben sich deshalb insgesamt neun Mieter-Initiativen zu einem Bündnis gegen die Verdrängungspolitik der Deutschen Wohnen zusammengeschlossen.
"Was wirklich wichtig ist, ich weiß nicht, ob Sie mich das fragen, deshalb sage ich Ihnen das jetzt lieber gleich so."

Der Mieter wird für Modernisierung kräftig zur Kasse gebeten

Manuela Damianakis sitzt auf der Gegenseite. Sie leitet die Abteilung Corporate Communication and Public Affairs bei der Deutschen Wohnen. Sie nennt die Mieter, die sich im Bündnis zusammengeschlossen haben, "Aktivisten".
"Wir haben den Mietern sehr deutlich kommuniziert, und haben das jetzt auch noch mal beim Bezirksamt gemacht, dass diejenigen, die glauben, dass sie die Miete nicht bezahlen können danach, selbstverständlich eine Härtefallregelung bekommen. Das ist x Mal, das ist öffentlich kommuniziert worden, das ist den Mietern gegenüber kommuniziert worden, aber es wird oftmals, gerade auch von Aktivisten, unter den Tisch gekehrt. Es ist so, dass der Mieter nach Modernisierung bei der Modernisierungsumlage, die zur Miete dazu kommt, nicht mehr als 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens für die Warmmiete aufbringen muss. Und das ist eine sehr klare Regelung, und die schützt genau die Leute, die sich das nicht leisten können, die Modernisierungsumlage voll zu bezahlen."
Diejenigen jedoch, die keinen Härtefall geltend machen können, werden kräftig zur Kasse gebeten. Denn elf Prozent der Modernisierungskosten darf der Vermieter auf die Jahresmiete umlegen. Und die Erhöhung ist nicht durch die ortsübliche Vergleichsmiete begrenzt. Laut einer Studie des Berliner Mietervereins steigt die Miete dadurch um durchschnittlich 42 Prozent, das sind 186 Euro 37 im Monat.
Sanierungsarbeiten in der Otto-Suhr-Siedlung in Berlin-Kreuzberg
Viele Mieter in der Otto-Suhr-Siedlung fürchten um ihren Verbleib.© Wolf-Sören Treusch
Erst aufwändig sanieren, dann die Miete drastisch erhöhen: der Mieterverein kritisiert, die Deutsche Wohnen sei nur an Profitmaximierung interessiert und würde ihre Mieter, Zitat, "ausquetschen wie Zitronen". Falsch, erwidert die Kommunikationschefin der Deutschen Wohnen.
"Die Mieter werden nicht ausgequetscht, die Mieter werden ganz normal an der Modernisierungsumlage beteiligt, wir kappen sogar an vielen Stellen schon, das heißt bei den hohen Baukosten, die wir momentan haben, unter denen wir auch leiden, legen wir gar nicht so viel um wie wir theoretisch umlegen könnten. Aber es ist richtig, dass für eine neue Wohnung, die dann ja auch einen anderen Standard hat, also die Bäder erneuert, die Fenster erneuert, die Fassade wärmegedämmt, wo weniger Wärme, Energie benötigt wird, wird tatsächlich ein etwas höherer Preis fällig. Ja."

Deutsche Wohnen mit einem Jahresgewinn von 1,8 Milliarden Euro

Das Geschäftsjahr 2017 hat die Immobiliengesellschaft mit einem Konzerngewinn von 1,8 Milliarden Euro abgeschlossen. Gegenüber dem Vorjahr ist das eine Steigerung um neun Prozent – ein neuer Höchstwert in der Unternehmensgeschichte.
Um ihre Interessen durchzusetzen, zieht das börsennotierte Unternehmen auch schon mal vor Gericht. Zum Beispiel gegen Florian Hille, auch er Mieter in der Otto-Suhr-Siedlung. Der junge Mann, angehender Jurist, hat in seiner Wohnung bisher alle Sanierungsmaßnahmen untersagt.
"Ich habe noch keine Fenster drin, ich habe verhindert, dass die meinen Balkon kleiner dämmen, das sind ja so ne Platten, da wird der Balkon ja auch ewig viel kleiner. Ich zahle ungefähr 300 kalt. Plus knapp 150 Nebenkosten. Die Deutsche Wohnen hat mit der Modernisierungsvereinbarung angekündigt, dass sie gern über 100 Euro mehr an Kaltmiete haben möchte. Das wird sich leider durch die Nebenkosten nicht komplett ausgleichen, wir reden hier also über eine Kaltmieterhöhung um etwa 30 Prozent."
100 Euro mehr für geringere Heizkosten, die schon jetzt, im nicht energetisch sanierten Zustand, nur 70 Euro ausmachen. Florian Hille stellt die Modernisierung als solche in Frage. Doch die Deutsche Wohnen will durchsetzen, dass der Mieter die Maßnahmen zu dulden hat.
"Wollen wir langsam mal reingehen? Mir wird langsam kalt."
Mehr als 30 Sympathisanten begleiten ihn in den viel zu kleinen Gerichtssaal. Schnell wird klar: seinem Rechtsanwalt geht es vor allem um die künftige Miethöhe nach Abschluss der Modernisierung. 30 Prozent Erhöhung seien zu viel, mit 20 sei sein Mandant einverstanden, dann sei er auch sofort bereit, die Maßnahmen zu dulden. Der Anwalt der Gegenseite lässt sich auf den Deal nicht ein. Nach 20 Minuten ist die Verhandlung vorbei. Die Richterin vertagt die Entscheidung auf Mitte April. Vieles spricht dafür, dass Florian Hille wird dulden müssen. Und die 6000 Euro Kosten für Verfahren und Gutachten trägt. Dennoch ist Florian Hille überzeugt davon, dass es richtig war, diesen Weg zu gehen.

Der Bezirk greift ein

"Die Siedlung hat dadurch etwas gewonnen, dass ein Gutachten in der Welt ist. Dass wir jetzt tatsächlich wissen, was diese Modernisierung wirklich bringt. Ursprünglich war zum Beispiel vorgesehen, dass mit Polysterolplatten gedämmt wurde, als die Deutsche Wohnen gemerkt hat, dass sich Widerstand regt, ist sie umgeschwenkt auf Mineralwollplatten. Also ich denke, in einzelnen Bereichen wird sich durchaus was verbessert haben an diesem Vorhaben. Auch für die Mieter."
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wird das Gebiet zudem unter Milieuschutz stellen. Dann sind Modernisierungsmaßnahmen nur noch möglich, wenn der Bezirk zustimmt. Mit der Deutschen Wohnen will er außerdem vertraglich festlegen, dass die Kosten bestimmter Modernisierungsmaßnahmen bei der Otto-Suhr-Siedlung deutlich niedriger auf die Miete umgelegt werden. Bei einer anderen Siedlung existiert ein solcher Vertrag bereits.

Zwei Kilometer weiter, in der Friedrichstraße, protestieren Aktivisten vor einem gediegenen Gründerzeit-Altbau gegen die Profitmacherei der Wohnungswirtschaft. Drinnen diskutieren Baulöwen und Projektentwickler über die Perspektiven der Stadt und ihrer Branche. Eine Momentaufnahme im kalten Berliner Frühling 2018.
Auch der rot-rot-grüne Senat ist sich der Mietenproblematik bewusst. Im Koalitionsvertrag heißt es, "die Sicherung von bezahlbaren Wohnungen" genieße oberste Priorität. Doch das Mietrecht, im Wesentlichen Bundesrecht, lässt dem Senat wenig Handlungsspielraum. Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher von der Linken ist besonders die Modernisierungsumlage ein Dorn im Auge.
"Das ist ja das Dilemma, in dem wir sind. Modernisierungen sind ein sehr beliebtes Instrument, Mieten nach oben zu treiben, und um daraus einen kleinen Ausweg zu wählen – und nur das können wir ja auf Landesebene machen – bieten wir hier ne Förderung an, gegen soziale Bindungen, parallel dazu werden wir unsere Anstrengungen verstärken, gegenüber dem Bund klarzumachen, dass wir hier dringend Änderungen im Mietrecht brauchen, weil elf Prozent Modernisierungsumlage, und das für immer und ewig, das ist der Killer für die soziale Wohnraumversorgung."
Mieter Florian Hille mit Unterstützern
Mieter Florian Hille mit Unterstützern© Wolf-Sören Treusch

Senat fordert eine Absenkung der Modernisierungsumlage

Im Klartext heißt das: der Senat fährt zweigleisig. Auf Bundesebene will er sich dafür stark machen, die Modernisierungsumlage von elf auf sechs Prozent zu senken und nur noch zu genehmigen, wenn sie die energetische Sanierung, Barrierefreiheit und Einbruchshemmende Maßnahmen betrifft. Und auf Landesebene plant der Senat, 50 Millionen Euro in einen Wohnraumförderfond für Modernisierung zu geben.
"Jetzt sind die Förderrichtlinien so weit abgestimmt, dass wir sagen können, es gibt zinslose Kredite plus 15-20-prozentige Tilgungszuschüsse für modernisierungswillige Eigentümer, wenn sie im Gegenzug die Wohnungen zehn Jahre lang Mietpreis- und belegungsgebunden vermieten, wenn sie die Miete um maximal 30 Prozent gegenüber der Vormiete und nur bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete erhöhen, und wenn sie im Bindungszeitraum die Mieten nicht um mehr als zwei Prozent jährlich erhöhen."
Ob private Immobiliengesellschaften wie die Deutsche Wohnen unter diesen Bedingungen die Fördergelder überhaupt in Anspruch nehmen, ist offen. Manuela Damianakis bezweifelt das.
"Bisher waren die Förderinstrumente, die das Land aufgelegt hat, für die Privatwirtschaft nicht attraktiv."
Die Deutsche Wohnen kämpft stattdessen gegen den Berliner Mietspiegel. Hat Verfassungsbeschwerde gegen ihn eingelegt. Wenn es nach den privaten Vermietern in der Stadt ginge, solle die sogenannte Marktmiete herangezogen werden, um den Mietzins zu ermitteln. Problem: wäre das der Fall, würden auch Bestandsmieter kräftige Mieterhöhungen bekommen und das Angebot an sozialem Wohnraum weiter schrumpfen. Wie in der Otto-Suhr-Siedlung in Berlin-Kreuzberg, wo die Deutsche Wohnen aufgrund des immer attraktiver werdenden Umfeldes plant, die Nettokaltmieten auf elf bis zwölf Euro zu erhöhen.
"Wir planen nicht mittelfristig eine Verdoppelung der Nettokaltmiete, sondern wir sehen bei Neuvermietungen, welche Mieten dort in diesem Umfeld erzielt werden. Dass wir eine Marktmiete dort haben, die sich in dem Bereich zwischen elf und zwölf Euro ansiedelt. Das bedeutet nicht, dass die Mieter, die da jetzt drin wohnen, diese Mieten zahlen müssen. Überhaupt nicht. Aber selbstverständlich sind bei so großen Siedlungen – wir sprechen da von mehreren tausend Wohnungen – natürlich ist da ne normale Fluktuation. Die liegt vielleicht so zwischen fünf und zehn Prozent. Ganz normaler Bereich. Und diese Wohnungen sind dann Neuvermietungen. Und da sind tatsächlich die Mieten anders als für die Bestandsmieter."
Doch klar ist: die Angebotspreise von heute sind die Mietspiegelwerte von morgen. In einer Stadt, in der bald jeder zweite Mieterhaushalt wegen eines vergleichsweise geringen Einkommens Anspruch auf Wohnberechtigungsschein und Wohngeld hat, ist das ein ernstes Problem. Viele Mieter sind ernüchtert: Unternehmen wie die Deutsche Wohnen würden ihre Geschäftspolitik deshalb wohl kaum ändern.
"Freundlicher mit den Menschen umgehen, uns nicht nur als Kapital zu sehen. Wird aber nicht passieren. Ist eben eine Aktiengesellschaft. Die wollen Geld machen.
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