Provozierende machtpolitische Überlegungen
Schon immer hat Politik und Wirtschaft die Frage bewegt, was die Zukunft bringen wird. Der amerikanische Strategieforscher George Friedman wagt einen Blick auf die geopolitischen Kräfteverhältnisse in den nächsten 10 und sogar die kommenden 100 Jahre. Das Ergebnis verblüfft - und provoziert.
George Friedman verdient sein Geld als Chef der amerikanischen Beratungsfirma "Stratfor” mit Prognosen und Vorhersagen. Er liefert etwas, an das sich deutsche Autoren und Experten selten heranwagen - nämlich Annahmen über eine sich verändernde Welt. Gerade erst hat er mit "The next decade" eine geopolitische Vorausschau auf die nächsten zehn Jahre vorgelegt. Und mit dem bereits auf Deutsch vorliegenden Buch "Die nächsten 100 Jahre" hat er sogar einen kühnen Wurf für das gesamte 21. Jahrhundert gewagt.
Dass Friedmans Werke vor allem in den USA Furore machen, dürfte damit zusammen hängen, dass er den krisengestressten Amerikanern eine verblüffende und beruhigende These liefert. Für ihn ist die Angst der Supermacht vor radikalen Islamisten oder der "gelben Gefahr" aus China längst Geschichte. Friedman sagt eine völlig andere Entwicklung voraus:
"Wenn ich am Ende nur einen Punkt mit dem Buch machen kann, dann ist es, dass die USA weit entfernt vom Rand des Abstiegs sind und gerade mit dem Aufstieg begonnen haben”,"
schreibt er in seiner Langzeitprognose. Und in seinem Buch über die kommenden zehn Jahre dekliniert Friedman durch, was dies aus sehr realpolitischen Gründen für die Außenpolitik der USA bedeutet. Auf den Punkt gebracht lautet die Botschaft: Vergesst den Glauben an unseren Abstieg oder eine idealistische Politik.
Auch Barack Obamas Aufgabe sei, die Vorrangstellung des einzigen Empires dieser Welt mit (fast) allen Mitteln zu verteidigen – vor allem mit dem klassischem Rezept "teile und herrsche". Die Supermacht müsse auf jedem Kontinent Konkurrenten gegeneinander aufstellen, um die eigene Rolle als einzig globale Macht zu sichern. Immer wieder mahnt Friedman, die Lehren Macchiavellis müssten Richtschnur für jeden amerikanischen Präsidenten sein.
Nicht nur die Härte der Analyse, sondern auch die These eines amerikanischen 21. Jahrhunderts mag gerade europäische Leser überraschen. Sie hatten sich längst an den Gedanken gewöhnt, dass nicht nur der alte Kontinent, sondern auch die westliche Supermacht einen zumindest relativen Abstieg erleben wird. Chinas Aufstieg gilt dagegen als unaufhaltsam.
Zentrale These Friedmans ist aber, dass die Stärke einiger Staaten in Wahrheit nicht stabil ist - und im Gegenzug die militärische und vor allem technologische Überlegenheit der USA massiv unterschätzt werde. So argumentiert er in "The next decade" etwa, dass Chinas enormes, aber kostspieliges Wachstum schon bald erlahmen und das Regime in Peking vor allem damit beschäftigt sein wird, das Riesenreich angesichts wachsender Unzufriedenheit überhaupt zusammen zu halten.
Auf die EU verschwendet Friedman nur wenige Seiten. Für ihn, der klassisch in Nationalstaats-Konfrontationen vergangener Jahrhunderte denkt, werden die Europäische Union und der Euro schon in den kommenden zehn Jahren erheblich an Bedeutung verlieren. Zu stark seien mittlerweile die Zentrifugalkräfte in der EU. In vielen Staaten gebe es Unmut über die deutsche Dominanz seit der Finanzkrise 2008 und über die Vorgaben der Brüsseler Bürokratie. Die Folge sei ein Paradigmenwechsel:
""Wir haben den Höchststand der europäischen Integration hinter uns. In den kommenden zehn Jahren wird vor allem die Macht Deutschlands sichtbar werden."
Wie viele amerikanische Republikaner sieht Friedman darin eher eine Gefahr, weil sich Deutschland seiner Meinung nach langsam von der EU und den USA abwenden und dafür eine enge Kooperation mit Russland suchen werde.
"Deutschland kann sich die Distanz zu den USA leisten, denn das traditionelle Problem, von zwei Seiten eingeengt zu werden, ist vorbei und es hat eine enge und freundschaftliche Beziehung zu Frankreich."
Nur rät er Washington auch hier zur Härte: Aufgabe kommender US-Präsidenten sei es, zur Eindämmung Deutschlands die EU-Partner systematisch gegeneinander auszuspielen und vor allem enge Beziehungen etwa zu Polen oder Dänemark zu pflegen. Von der früher gepflegten transatlantischen Rhetorik ist bei Friedman nichts mehr zu finden. Er argumentiert sogar, dass die USA zur Durchsetzung ihrer Politik der regionalen Balancen lieber gleich Organisationen wie die Nato abwickeln sollten.
Erstaunlich hart urteilt Friedman auch über die Politik im Nahen Osten. Analysiere die US-Führung kühl ihre Interessen, dann müsse sie endlich die Bande mit Israel erheblich lockern, sich dafür dem Iran annähern und Georgien weitgehend fallen lassen, rät er.
Sicher muss man die Richtigkeit vieler seiner Voraussagen und Rückschlüsse in Zweifel ziehen. Aber der Wert der Bücher von Friedman steckt gerade darin, dass er erst einmal auf provozierende Art und Weise scheinbar feststehende Annahmen der Leser in Frage stellt.
Gerade deutsche Leser sollten zudem nicht übersehen, dass auch im Obama-Zeitalter Friedmans machtpolitische Überlegungen sehr viel mehr der Sicht der meisten Akteure von Washington bis Peking entsprechen als die teilweise idealistischen Vorstellungen vieler europäischer Politiker. Friedman warnt deshalb ausdrücklich vor Fehleinschätzungen der US-Politik, die in Wahrheit nicht nach der Einteilung "Gut und Böse", sondern "Für oder gegen uns" funktioniere. Die Supermacht müsse und könne zudem anders agieren als alle andere:
""Die USA haben eine riesige Fehlermarge … Die USA tendieren dazu, ihre globale Macht unvorsichtig einzusetzen. Das geschieht nicht aus Dummheit. Es ist einfach so, dass das Land nicht vorsichtiger sein muss - dass es in Wahrheit sogar so ist, dass mehr Vorsicht die Effektivität des eigenen Handelns reduzieren würde.”"
Wer sich durch die Thesen der Entwicklung der nächsten zehn Jahre provoziert fühlt, wird übrigens vermutlich sogar Empörung bei der Lektüre der Langzeitdiagnose empfinden: Denn für die Jahrhundertmitte sagt Friedman einen neuen Weltkrieg voraus, in den auch Deutschland mit einem erneuten Überfall auf Polen wieder verwickelt sein wird. Allerdings steht für ihn auch das Ergebnis schon fest: Die Weltdominanz der auch gegen Japan und die Türkei siegreichen USA werde danach noch wesentlich größer sein.
""Das Ergebnis ist folgender Widerspruch: Auf der einen Seite sind die USA tief abgelehnt und gefürchtet. Auf der anderen Seite werden individuelle Länder immer noch versuchen, sich mit den USA zu arrangieren. Dieses Ungleichgewicht wird das 21. Jahrhundert dominieren, genauso wie die Anstrengungen, die USA einzudämmen. Es wird ein gefährliches Jahrhundert, besonders für den Rest der Welt.”"
Der Rest der Welt, das sind übrigens wir.
George Friedman: The next decade
Random House (bisher nur in Englisch) und
George Friedman: The next 100 years
Campus Verlag
Dass Friedmans Werke vor allem in den USA Furore machen, dürfte damit zusammen hängen, dass er den krisengestressten Amerikanern eine verblüffende und beruhigende These liefert. Für ihn ist die Angst der Supermacht vor radikalen Islamisten oder der "gelben Gefahr" aus China längst Geschichte. Friedman sagt eine völlig andere Entwicklung voraus:
"Wenn ich am Ende nur einen Punkt mit dem Buch machen kann, dann ist es, dass die USA weit entfernt vom Rand des Abstiegs sind und gerade mit dem Aufstieg begonnen haben”,"
schreibt er in seiner Langzeitprognose. Und in seinem Buch über die kommenden zehn Jahre dekliniert Friedman durch, was dies aus sehr realpolitischen Gründen für die Außenpolitik der USA bedeutet. Auf den Punkt gebracht lautet die Botschaft: Vergesst den Glauben an unseren Abstieg oder eine idealistische Politik.
Auch Barack Obamas Aufgabe sei, die Vorrangstellung des einzigen Empires dieser Welt mit (fast) allen Mitteln zu verteidigen – vor allem mit dem klassischem Rezept "teile und herrsche". Die Supermacht müsse auf jedem Kontinent Konkurrenten gegeneinander aufstellen, um die eigene Rolle als einzig globale Macht zu sichern. Immer wieder mahnt Friedman, die Lehren Macchiavellis müssten Richtschnur für jeden amerikanischen Präsidenten sein.
Nicht nur die Härte der Analyse, sondern auch die These eines amerikanischen 21. Jahrhunderts mag gerade europäische Leser überraschen. Sie hatten sich längst an den Gedanken gewöhnt, dass nicht nur der alte Kontinent, sondern auch die westliche Supermacht einen zumindest relativen Abstieg erleben wird. Chinas Aufstieg gilt dagegen als unaufhaltsam.
Zentrale These Friedmans ist aber, dass die Stärke einiger Staaten in Wahrheit nicht stabil ist - und im Gegenzug die militärische und vor allem technologische Überlegenheit der USA massiv unterschätzt werde. So argumentiert er in "The next decade" etwa, dass Chinas enormes, aber kostspieliges Wachstum schon bald erlahmen und das Regime in Peking vor allem damit beschäftigt sein wird, das Riesenreich angesichts wachsender Unzufriedenheit überhaupt zusammen zu halten.
Auf die EU verschwendet Friedman nur wenige Seiten. Für ihn, der klassisch in Nationalstaats-Konfrontationen vergangener Jahrhunderte denkt, werden die Europäische Union und der Euro schon in den kommenden zehn Jahren erheblich an Bedeutung verlieren. Zu stark seien mittlerweile die Zentrifugalkräfte in der EU. In vielen Staaten gebe es Unmut über die deutsche Dominanz seit der Finanzkrise 2008 und über die Vorgaben der Brüsseler Bürokratie. Die Folge sei ein Paradigmenwechsel:
""Wir haben den Höchststand der europäischen Integration hinter uns. In den kommenden zehn Jahren wird vor allem die Macht Deutschlands sichtbar werden."
Wie viele amerikanische Republikaner sieht Friedman darin eher eine Gefahr, weil sich Deutschland seiner Meinung nach langsam von der EU und den USA abwenden und dafür eine enge Kooperation mit Russland suchen werde.
"Deutschland kann sich die Distanz zu den USA leisten, denn das traditionelle Problem, von zwei Seiten eingeengt zu werden, ist vorbei und es hat eine enge und freundschaftliche Beziehung zu Frankreich."
Nur rät er Washington auch hier zur Härte: Aufgabe kommender US-Präsidenten sei es, zur Eindämmung Deutschlands die EU-Partner systematisch gegeneinander auszuspielen und vor allem enge Beziehungen etwa zu Polen oder Dänemark zu pflegen. Von der früher gepflegten transatlantischen Rhetorik ist bei Friedman nichts mehr zu finden. Er argumentiert sogar, dass die USA zur Durchsetzung ihrer Politik der regionalen Balancen lieber gleich Organisationen wie die Nato abwickeln sollten.
Erstaunlich hart urteilt Friedman auch über die Politik im Nahen Osten. Analysiere die US-Führung kühl ihre Interessen, dann müsse sie endlich die Bande mit Israel erheblich lockern, sich dafür dem Iran annähern und Georgien weitgehend fallen lassen, rät er.
Sicher muss man die Richtigkeit vieler seiner Voraussagen und Rückschlüsse in Zweifel ziehen. Aber der Wert der Bücher von Friedman steckt gerade darin, dass er erst einmal auf provozierende Art und Weise scheinbar feststehende Annahmen der Leser in Frage stellt.
Gerade deutsche Leser sollten zudem nicht übersehen, dass auch im Obama-Zeitalter Friedmans machtpolitische Überlegungen sehr viel mehr der Sicht der meisten Akteure von Washington bis Peking entsprechen als die teilweise idealistischen Vorstellungen vieler europäischer Politiker. Friedman warnt deshalb ausdrücklich vor Fehleinschätzungen der US-Politik, die in Wahrheit nicht nach der Einteilung "Gut und Böse", sondern "Für oder gegen uns" funktioniere. Die Supermacht müsse und könne zudem anders agieren als alle andere:
""Die USA haben eine riesige Fehlermarge … Die USA tendieren dazu, ihre globale Macht unvorsichtig einzusetzen. Das geschieht nicht aus Dummheit. Es ist einfach so, dass das Land nicht vorsichtiger sein muss - dass es in Wahrheit sogar so ist, dass mehr Vorsicht die Effektivität des eigenen Handelns reduzieren würde.”"
Wer sich durch die Thesen der Entwicklung der nächsten zehn Jahre provoziert fühlt, wird übrigens vermutlich sogar Empörung bei der Lektüre der Langzeitdiagnose empfinden: Denn für die Jahrhundertmitte sagt Friedman einen neuen Weltkrieg voraus, in den auch Deutschland mit einem erneuten Überfall auf Polen wieder verwickelt sein wird. Allerdings steht für ihn auch das Ergebnis schon fest: Die Weltdominanz der auch gegen Japan und die Türkei siegreichen USA werde danach noch wesentlich größer sein.
""Das Ergebnis ist folgender Widerspruch: Auf der einen Seite sind die USA tief abgelehnt und gefürchtet. Auf der anderen Seite werden individuelle Länder immer noch versuchen, sich mit den USA zu arrangieren. Dieses Ungleichgewicht wird das 21. Jahrhundert dominieren, genauso wie die Anstrengungen, die USA einzudämmen. Es wird ein gefährliches Jahrhundert, besonders für den Rest der Welt.”"
Der Rest der Welt, das sind übrigens wir.
George Friedman: The next decade
Random House (bisher nur in Englisch) und
George Friedman: The next 100 years
Campus Verlag