Rechtsradikale im antifaschistischen Staat

Von Philip Banse |
Viel wird derzeit über den Erfolg von Rechtsradikalen in Ostdeutschland diskutiert. Dass es bereits vor der Wende in der DDR faschistische Gewalttäter gab, zeigt der Film "Die Nationale Front - Neonazis in der DDR". Darin sieht man, wie die SED-Führung das Problem der Neonazis ignorierte und verdrängte, weil im antifaschistischen Staat nicht sein konnte, was nicht sein darf.
"Diese Skinheads, die kamen rein, wie so ein Keil."
"Juden raus aus deutschen Kirchen, kann ich mich entsinnen, haben die geschrieen."
"Kommunisten verrecke ist richtig, stehe ich auch zu. Ihr roten Schweine, stehe ich alles zu."

17. Oktober 1987. Die Westdeutsche Band "Element of Crime" spielt in der Ostberliner Zionskirche, der Heimstatt ostdeutscher Oppositioneller. Das Gotteshaus ist überfüllt, Punks tanzen auf der Kanzel, aber Rauchen ist verboten, das ging irgendwie zu weit. Als das Konzert zu Ende ist, stürmen rund 30 Neonazis die Kirche, schlagen auf alles ein, was sich bewegt, mit Latten und Flaschen. Siegbert Scheffke hat das Konzert damals organisiert. Geschockt hat ihn die Gewalt, aber vor allem die Reaktion der Staatsmacht.

"Draußen stand ja die Polizei, aber sie hat uns nicht geschützt. Sie hat im Gegenteil die Nazis geschützt. Wir haben das natürlich medienmäßig ausgeschlachtet, weil das wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen: Der antifaschistische Staat, der seine Bürger nicht vor den eigenen Nazis schützen kann. Das wollte ich nicht auf sich beruhen lassen."

Scheffke begann, als Wessi getarnt, ostdeutsche Neonazis zu filmen. Das Material ist ein Höhepunkt des 45-minütigen Dokumentarfilms "Die Nationale Front - Neonazis in der DDR", den Tom Franke für den Rundfunk Berlin Brandenburg drehte. Die Filmemacher schildern den Überfall auf die Zionskirche als Wendemarke im Umgang der DDR mit ihren Neonazis. Der Fotograf Harald Hauswald:

"Dort ist es ja dann das erste Mal öffentlich geworden. Das kam ja in den Westmedien und da schwappte es ja wieder zurück. Es war ja sozusagen das erste Mal da."

Bis zum Überfall dahin hatte die DDR ihre Neonazis geduldet, verschwiegen, verharmlost.

"Da ist das Phänomen gewesen, dass zum Beispiel im Fußballstadion, vor allen Dingen beim BFC war das wohl so gewesen, dass die Fußballfans da mit erhobener Hand da vor der Mielketribüne gestanden haben und irgendwelche faschistischen Parolen gebrüllt haben."
"Mielke, das war ja nun mal seine Truppe gewesen, dass dann da welche stehen und 'Sieg heil' brüllen, konnte man sich gar nicht vorstellen, dass sie das erlaubt haben. Irgendwie müssen die Rückendeckung gehabt haben."

Ein Hitlergruß war Rowdytum, wie der Tritt gegen die Mülltonne. Punks verfolgte Mielkes Maschine mit aller Härte. Auf dem rechten Auge war die Stasi lange bild, sagt Bernd Wagner, einst Oberstleutnant der DDR-Kriminalpolizei und dort Leiter der Gruppe "Rechtsextremismus". Denn es konnte nicht sein, was nicht sein durfte: Nazis im antifaschistischen Arbeiter- und Bauernstaat.

"Intern hat man natürlich versucht, sich dem zu nähern, konnte sich aber überhaupt nicht vorstellen, dass das was aus dem Sozialismus heraus Gemachtes war. Sondern man hat das immer nur dem Westen zugeschoben. Denn nach der klassischen marxistischen Lehre konnte das aus dem Innern der DDR nicht entspringen. Und da waren die natürlich stinksauer, dass da Leute so wie in meiner Arbeitsgruppe gesagt haben: Ist alles Quatsch mit Soße, das läuft alles ganz anders."

Gedacht wurde in der DDR allenfalls kommunistischen Opfern der NS-Diktatur. Verantwortung wurde verdrängt, über die Mauer abgeschoben. Hitler war Westdeutscher, sagte Doris Liebermann, Vorstandsmitglied der Stiftung Aufarbeitung SED-Diktatur:

"In der DDR war der Antifaschismus eine Art Staatskult, die Identitätsressource überhaupt. Mit der Behauptung einer völlig eigenen Abkehr vom Nationalsozialismus durch eine antifaschistisch-demokratische Umwälzung legitimierte die SED schließlich ihre Herrschaft nach Innen und rechtfertigte damit auch ihre Angriffe auf die angeblich faschistisch gebliebene Bundesrepublik."

Antifaschistische Propaganda und ritualisiertes Gedenken - den einseitig dogmatischen Umgang mit der NS-Vergangenheit präsentiert der Film als Nährboden rechter Gedanken in der DDR. Der DDR-Neonazi Ronni Busse war am Überfall auf die Zionskirche beteiligt.

"Die haben uns doch nur Scheiße erzählt. Ob das in der Schule war, ob das in der Lehre war oder auf Arbeit, diese politischen Diskussionen, diesen ganzen Mist. Ich konnte den Dreck nicht mehr hören. Haben die gedacht, wir sind alle nur blöd, oder watt?! Ich konnte die ganze rote Scheiße nicht mehr hören."

Busse wird zunächst zu zwei Jahren Haft verurteilt, wegen Rowdytum. Nach Protesten von Holocaust-Überlebenden und Berichten in Westmedien wird die Strafe auf vier Jahre verdoppelt. Der Film ist reich an Aussagen der zentralen Protagonisten. Vor allem die Auftritte der Nazis von damals sorgen für den Eindruck eines runden Bildes des Phänomens.

Allerdings zieht der Film keine Parallelen zwischen der rechten Szene in der DDR und den Erfolgen von NPD und Republikanern im Osten heute. Experten wissen, es gibt personelle Kontinuitäten. Aber in der Existenz rechter Gruppen in der DDR die Ursache für den Einzug rechter Parteien in die Parlamente der östlichen Bundesländer zu suchen, griffe zu kurz, sagte Doris Liebermann von der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur. Die Ursachen der braunen Renaissance zwischen Schwerin und Dresden seien vielfältig: wirtschaftlicher Niedergang, Perspektivlosigkeit.

"Die Entwicklung in der DDR aber lehrt uns, dass Tabus und ein staatlich verordneter Antifaschismus keine hinreichenden Mittel sind, den Rechtsextremismus zu bremsen und seinen Nährboden auszutrocknen. Drüber sollte nachgedacht werden, wenn über die Ursachen des heutigen Rechtsextremismus debattiert wird. Eine aktuelle und lebhafte Diskussion und eine echte Aufarbeitung von politischen Unrecht sind von höchster Wichtigkeit."