Religion an der Hochschule

Nur zum Forschen, nicht zum Beten?

Eine Studentin in der Bibliothek der Universität Osnabrück bei der Auftaktveranstaltung für die Imamweiterbildung hinter einem Schild "Gebetsraum".
An der Universität Osnabrück gibt ein Gebetsraum den Studierenden die Möglichkeit, sich zur inneren Einkehr aus dem Campusleben zurückzuziehen. © dpa / Friso Gentsch
Von Michael Hollenbach |
Wieviel Platz sollen Religionen im öffentlichen Raum einnehmen? Diese Frage stellt sich auch bei Gebetsräumen und Gottesdienstveranstaltungen an Hochschulen.
"Die deutschen staatlichen Universitäten sind in ihrer Tradition säkulare Einrichtungen, die der Aufklärung verpflichtet sind", sagt der Präsident der Hamburger Universität, Dieter Lenzen. "Religion ist Gegenstand der Forschung in einer Universität, aber sie ist nicht der Ort der Ausübung von Religion."
Das sieht der Göttinger Professor für Staatskirchenrecht, Hans Michael Heinig etwas anders. Zwar müsse die Universität wie auch der Staat in religiösen Dingen neutral sein, aber "wenn Studierende das Bedürfnis haben, ihre Religion auch mit in die Uni hineinzutragen, und wir sagen, die Uni ist nicht nur ein Lernort, sondern ein Lebensort, dann muss es auch Raum für Religion geben, solange sie friedlich ist, keine Dritten und nicht den Betrieb der Uni stört."

"Kirchlich verankerte Feste dürfen nicht gefeiert werden"

Die Evangelische Studierendengemeinde ESG hat unter ihren Hochschulgemeinden eine bundesweite Umfrage durchgeführt und dabei festgestellt, dass es an vielen Universitäten ein Zurückdrängen des Religiösen gibt. Da wird einer ESG der Status als Hochschulgemeinde aberkannt, da werden Räume der Stille geschlossen und christliche Feiern untersagt.
"Wir beobachten auch, dass manchmal in der Uni ein Lichterfest gefeiert wird", sagt Corinna Hirschberg, Bundesstudierendenpfarrerin der ESG. "Das wird dann als exotisch angesehen, das ist was Tolles, aber die klassisch kirchlich verankerten Feste dürfen nicht mehr gefeiert werden."
Gisela Groß-Ikache ist Studierendenpfarrerin in Hamburg. An der Technischen Hochschule in Hamburg-Harburg macht sie die Erfahrung, dass das Beratungs- und diakonische Angebot der Kirchen wie zum Beispiel ein Nothilfefonds für ausländische Studierende von der Unileitung sehr begrüßt werde.
"Aber wenn gesagt wird: Ihr habt doch auch ein Angebot mit explizit religiösem Charakter, dann wird gesagt: wenn ihr hier auf dem Campus auftaucht, kommen wir in die Schwierigkeit: Wenn ihr hier was möchtet, wollen andere das auch."
Seit rund 15 Jahren hat sich die Situation verändert. Im Zuge der Globalisierung und durch die Arbeitsmigration seit den 70er-Jahren studieren auch immer mehr Muslime an deutschen Hochschulen. Viele von ihnen bringen mit ihrem Wunsch, mehrmals täglich auch in der Uni beten zu können, eine andere religiöse Praxis mit als zum Beispiel Christen. Für Hamburgs Uni-Präsidenten Dieter Lenzen eine Herausforderung.

Studentenvertretung gegen Fastenbrechen auf dem Campus

"Es geht nicht um Theologie, sondern um den Vollzug von rituellen Handlungen in der Universität und das ist ein Novum, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen."
Lenzen nennt mögliche Konfliktfelder:
"Das eine sind Gebete, die über den Tag verteilt sind, aber auch die Erwartung, bestimmte Feiern auf dem Gelände der Uni durchzuführen, Bekleidungsregeln, Speiseregeln bis hin zu der Erwartung, die Anfangszeiten von Lehrveranstaltungen nach Gebetsrhythmen auszurichten."
Eine dieser Feiern ist das Fastenbrechen während des Ramadans. Die Islamische Hochschulgemeinde veranstaltet dieses Fastenbrechen einmal im Jahr an der Hamburger Uni. Bilal Gülbas:
"Die Tendenz ist immer steigend. Wir haben vor 15 Jahren begonnen mit 30 Studierenden, und im letzten Jahr waren es 1300 Studierende."
Bilal Gülbas ist der Vorsitzende der Islamischen Hochschulgemeinde. In den vergangenen Jahren fand das öffentliche Fastenbrechen immer auf dem Campus statt – bis der jetzige AStA gegen diese religiöse Feier opponierte.
"Im Moment ist es ein linker AStA, und die sehen die Religionen an sich sehr kritisch und deshalb auch die Aktivitäten der islamischen Hochschulgemeinde."
Deshalb zog sich die muslimische Gemeinschaft diesmal in die Mensa zurück.
Die Uni Hamburg hat nun eine Expertenkommission aus Theologen, Psychologen und Juristen berufen, um einen Verhaltenskodex zu erarbeiten, wo die Grenzen religiöser Betätigung innerhalb der Hochschule liegen. Diese Grenzen würden immer enger definiert, meint die Berliner ESG-Pfarrerin Ulrike Wohlrab:
"Eines ist eben auch, dass sich in der öffentlichen Meinung die Überzeugung breit zu machen scheint: Religionsfreiheit heißt hier eher Freiheit von Religion, als dass man den öffentlichen Raum auch für Religion nutzen darf."
Und sie hat den Eindruck, dass unter solchen Aktionen wie der Schließung der muslimischen Gebetsräume an der Berliner TU vor einem Jahr auch andere religiöse Gruppen – wie die ESG - zu leiden haben.
"Die Leute haben Angst vor Religion, vor allem in Deutschland, dass sie Angst vor fanatischen Islamisten haben, das dann mit Islam gleichsetzen und das dann mit Religion insgesamt gleichsetzen - und darunter leiden wir schon, weil es schwierig ist, Zugänge zu bekommen."

Universitäten als Lernort für die Gesellschaft

Zugänge zum Beispiel bei Erstsemesterveranstaltungen, um auch auf die Angebote der evangelischen und katholischen Studierendengemeinde hinzuweisen. Doch im Fokus der Hochschulleitungen stehen nicht nur muslimische Studierende, räumt Lisa Singer ein. Sie ist Geschäftsführerin des katholischen Forums Hochschule und Kirche.
"Es gibt auch Hochschulstandorte, wo man nicht weiß, mit den christlichen Hochschulgemeinden umzugehen: mit freikirchlichen Ambitionen oder irgendwelchen sehr konservativen Strömungen wie Opus Dei oder sonstige Gruppierungen. Und um zu vermeiden, dass man irgendwo in eine extreme Richtung läuft, ist die Schutzhaltung, eben gar keine Religionsgemeinschaften zuzulassen."
Muslime an der Hamburger Uni befürchten nun, dass mit der Berufung der Expertenkommission der Raum der Stille, der vor allem den Muslimen für das tägliche Gebet dient, zur Disposition stehen könnte. Die evangelische Pfarrerin Gisela Groß-Ikache:
"Es ist ein Raum, wo interreligiöses Lernen schon Programm ist, und wenn es Störungen geben sollte, dann geht es darum, eventuelle Konflikte miteinander auszutragen. Ich sehe darin eher eine Chance. Die Hochschule sieht darin eher ein Potenzial, was Unruhe in den Unialltag bringen könnte. Da hapert es ein bisschen."
"Es gibt keine Absicht, diesen Raum zu schließen, im Gegenteil", entgegnet Uni-Präsident Dieter Lenzen. "Solange diejenigen, die ihn nutzen, sich an die Regeln halten, ist es sehr willkommen, eine solche Einrichtung zu haben."
Auch der Staatskirchenrechtler Hans Michael Heinig pocht auf die Einhaltung der Regeln. Er warnt aber zugleich vor Überreaktionen der Hochschulleitungen:
"Wenn die Universität ein Lernort für die Gesellschaft sein soll und ein Labor, wie man mit Problemen umgeht, dann müssen wir an der Universität genau dieses leisten: ernsthafte Debatten über reale Probleme ohne Vorurteile und Stereotypen."
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