Robert Hültner: "Lazare und der tote Mann am Strand"
btb, München 2017
384 Seiten, 20 Euro
Jenseits aller Frankreich-Folklore
Etliche Krimi-Autoren nutzen Frankreich als Kulisse und bedienen dabei übliche Klischees. Robert Hültners "Lazare und der tote Mann am Strand" ist anders. Das Buch überzeuge mit klugen Beobachtungen und einem spannenden Plot, meint unser Kritiker.
Böse Zungen lästern, dass Frankreich zur Zeit eine "Zweite Besetzung" durch die vielen Kriminalromane von deutschen Autorinnen und Autoren erdulden müsse, die so tun, als ob sie französische Kriminalromane seien (Stichwort: Bannalec und die Bretagne). Jetzt hat auch der des Konjunkturrittertums völlig unverdächtige und mit seinen historischen "Kajetan-Krimis" zu recht hochrenommierte Robert Hültner einen Südfrankreich-Krim" vorgelegt: "Lazare und der tote Mann am Strand".
Es geht auch um deutsche Geschichte
Tatsächlich scheinen der Schauplatz – die Hafenstadt Sète und die Cevennen – und die titelgebende Figur, Kommissar Lazare aus Montpellier, den Klischees der Frankreich-Welle zu folgen, aber glücklicherweise stimmt das nur sehr eingeschränkt. Die Geschichte, die Robert Hültner erzählt, ist zu großen Teilen eine deutsche Geschichte aus dem Themenfeld des NSU-Skandals. Zwar stammt der tote Mann am Strand aus ein französischen Roma-Sippe und die anderen Morde, die in den Cevennen stattfinden, scheinen auch rein französische Affairen zu sein, aber spätestens wenn Hültner zwei deutsche Kriminalbeamte einfliegen lässt und sich plötzlich Geheimdienste für anscheinend normale Morde interessieren, wird die Angelegenheit komplex. Auch an der Stelle vermeidet Hültner sehr deutlich das übelste alle Klischees: deutsche Polizisten, die auf fremden Terrain den Einheimischen zeigen, wie der Hase läuft.
Überraschende Wendungen
Was wie ein biederer Whodunit beginnt, entwickelt sich zu einem Szenario aus dem Geiste Jean-Claude Izzos, in dem es um Rassismus, Xenophobie, Zwangsprostitution und um die Verflechtungen von Big Business, Front National und organisiertem Verbrechen geht. Hültner lagert diese Problemlage jedoch nicht nach Frankreich aus, sondern spielt sie über Bande nach Deutschland zurück – eben zu den auch grenzüberschreitenden Aspekten des NSU und zudem zu den toxischen historischen Dimensionen (Stichworte: Okkupation und Kollaboration) des französisch-deutschen Verhältnisses. Bemerkenswert ist auch die Dynamik des Romans, der mit zunehmender Komplexität immer schneller und actionhaltiger wird und bis zuletzt mit überraschenden Wendungen in der Geschichte aufwartet. Dazu braucht es dann auch keine Frankreich-Folklore, kulinarische Exkurse und andere touristischen savoir-vivre-Albernheiten.