Bora Ćosić: Die Tutoren
Roman. Mit einem Nachwort des Autors
Aus dem Serbischen von Brigitte Döbert
Schöffling, Frankfurt am Main 2015
787 Seiten, 39,95 Euro
Gefangen in der Sprachhölle
Der 800-seitige Roman "Die Tutoren" von Bora Cosic handelt von den Verwirrungen der Sprachen, insbesondere dem Serbischen und Kroatischen. Bislang galt das Buch als unübersetzbar. Nun hat Brigitte Döbert eine deutsche Fassung vorgelegt, die es in sich hat.
Bora Ćosićs 800-seitiges Opus magnum "Die Tutoren" aus den 1970er-Jahren ist ein avantgardistisches Werk, dabei keineswegs unlesbar, vielmehr sehr erheiternd und auf den ersten Blick zudem konventionell wirkend. Seine fünf Kapitel sind Mitgliedern der Familie Uskoković gewidmet: "Theodor, 1828", der Uropa, ist ein Pope im kroatischen Grunt, "Katharina, 1871" seine Schwiegertochter, "Laura, 1902", ihre Schwiegertochter.
Dem vierten Kapitel "Lazar, 1938" leiht Lauras Schwiegersohn seinen Namen, der trinkende Angestellte eines Belgrader Eisenwarenhändlers, und "Der Autor, 1977" beschließt das Buch. Er kann dank Großmutter Laura schon mit sechs Jahren lesen und schreiben.
Ein autobiografischer Familienroman also, wie Ćosić schon mehrere geschrieben hat? Eine weitere Version des absurden, grotesken, hochtourig spaßigen "Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution", das den Serben 1969 berühmt machte?
"Die Tutoren", nach 1969 verfasst, ist ein Buch der Bücher, ein wüstes Geplapper aus Klischee, Klatsch und Kokolores aller Art, eine "Chronik unerheblicher Vorkommnisse" – und zugleich voller Anspielungen auf die Weltliteratur von der Bibel bis zu James Joyce und auf die Gebrauchsliteratur von Kochrezepten bis zu Comics.
Erzählt wird in Prosa, Gedichten und Dramoletten von allem Erdenklichem, auch von einer "Horde Krautwickel, in Weinblätter gekleidet, hier und dort mit frischer Sauermilch befeuchtet". Jede mögliche Erzählperspektive zwischen innerem Monolog und allwissendem Erzähler scheint vertreten.
Im Roman wird nicht erzählt, sondern gesprochen. Nicht Menschen, auch nicht die Uskokovićs, sondern die Sprache steht im Mittelpunkt, insbesondere das Kroatische und das Serbische, die im Streit miteinander liegen. Gesprochen wird durcheinander, beschränkt, voller Vertrauen auf Verständnis, voller Unfähigkeit zum Verstehen und vor allem endlos. Bora Ćosić entwirft eine Hölle, aus der niemand entkommen kann. Denn die Völker, behauptet der Autor im Nachwort, sprächen eine ihnen von Tutoren übergestülpte Sprache "voll vorgefertigter Floskeln".
Sprachklischees und Formeln
Seine Erkundung der tutorialen, "nicht-sprachlichen, wider-sprachlichen Regeln" ist sehr unterhaltsam. "Die Tutoren" kalauert, verballhornt und reimt, was das Zeug hält. Der Autor breitet mit subversiver Faszination und Komik ein Herbarium der Sprachklischees und Formeln aus, das seinesgleichen sucht: Die machistische Suada des Ganoven, der angelesene Konversationston des Kleinbürgers, der Verordnungstext ausspuckende Jurist, Maximen und Phrasen von Namenlosen, dazu Glücksvorstellungen, Schulerzählungen, Kaufhauskataloge, Hefte mit dem Titel "Oma weiß es am Besten", rasende Aufzählungen all dessen, was so geschieht, Hexen inklusive, und all das immer in erschöpfender Eloquenz, ausgebreitet auf 40, 60, 120 Seiten – "Die Tutoren" ist ein Füllhorn, das mit Opulenz die Leere der Welt offenbart.
Zeit zum Herbarisieren hatte Ćosić, weil er 1972, eben noch gefeiert, in Ungnade fiel. Er zog sich zurück, hörte den Belgradern zu und schrieb es auf. 1978 war alles vergessen, 1979 erschien "Die Tutoren", wurde ausgezeichnet und galt bisher als unübersetzbar. Zwei Jahre hat Brigitte Döbert an der Übersetzung gearbeitet. Bora Ćosić lobt sie im Nachwort zu Recht.