David Gilbert: Was aus uns wird
Aus dem Amerikanischen von Stefanie Schäfer,
Eichborn Verlag, München 2014
640 Seiten, 22,99 Euro
Wie im mittelmäßigen Kinofilm
Der US-amerikanische Autor David Gilbert entwirft ein Panorama der Literaturwelt New Yorks - und erzählt, wie sich Väter und Söhne die Luft zum Atmen nehmen können. Trotzdem fehlt es seinem Roman an erzählerischer Wucht.
Auf der Homepage von David Gilbert finden sich nicht nur Hinweise auf seine eigenen Bücher, sondern auch auf die eines gewissen A.N. Dyer: Cover, kurze Inhaltsangaben, Auszüge aus Kritiken und ein Video mit Stimmen seiner Fans. A.N. Dyer ist eine Berühmtheit, mindestens so berühmt wie J.D. Salinger, und doch ist er eine Romanfigur, eine Erfindung David Gilberts, aus der Fiktion gewissermaßen in die Netz-Halbweltwirklichkeit entlassen.
Dyer steht im Zentrum von Gilberts zweitem Roman "Was aus uns wird", ein alter, müder Mann, dessen Mega-Bestseller "Ampersand" schon ein halbes Jahrhundert zurückliegt und dessen Kreativität längst erloschen ist. Um seinen Nachlass teuer verkaufen zu können, ist er damit beschäftigt, das einst verbrannte Originalmanuskript von "Ampersand" neu herzustellen. Dafür tippt er den Roman, eine Jungens-Geschichte aus dem Internat, noch einmal ab, dabei bewusst Fehler und Abweichungen produzierend, die er dann mit Füller sorgsam korrigiert: Nur so wird ein echtes falsches Original daraus.
Es beginnt mit einer Beerdigung
"Was aus uns wird" beginnt mit einer Beerdigung. Ein Freund des alten Schriftstellers ist gestorben, er war, wie sich allmählich herausstellt, Vorbild der Figur des von den Mitschülern gequälten Jungen in "Ampersand", damals heftig verliebt in den jungen A.N. Dyer. Und es ist der Sohn des Toten, der als einigermaßen unzuverlässiger Ich-Erzähler fungiert - ein Familienfreund mit dem Talent, in unpassenden Momenten aufzutauchen und allen auf die Nerven zu gehen. Trotzdem ist er nur selten Zeuge der Ereignisse. Die meisten Szenen kann er nur erfunden haben: So oder so ähnlich könnte es gewesen sein.
A.N. Dyer hat drei Söhne, deren Verhältnis zu ihrem berühmten Vater geschildert wird. Der älteste ist ein erfolgloser Drehbuchautor mit plötzlicher Aussicht auf eine Hollywood-Verfilmung. Tatsächlich geht es den Produzenten aber nur darum, an die Rechte am Werk seines Vaters heranzukommen. Das sind die Kränkungen, mit denen Söhne berühmter Leute fertig werden müssen.
Der zweite Sohn dreht Dokumentarfilme über alle Schrecknisse und Grausamkeiten auf Erden, Kriege, Morde, Gemetzel von Bosnien bis Afghanistan. In seinem jüngsten Werk begleitet er das Sterben einer an Krebs erkrankten Jugendliebe, filmt jeden Tag um 12:01 Uhr ihre Aussage, es gehe ihr gut und montiert schließlich eine Kamera in ihrem Sarg, um den Verfallsprozess noch über den Tod hinaus zu dokumentieren. Der Film gelangt ins Internet und wird dort millionenfach geklickt. Und dann gibt es noch einen dritten Sohn, ein Nachkömmling, grade mal 17 Jahre alt, seinem uralten Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, der testosteronbedingt an nichts als an Sex denken kann.
Ein Buch im Buch
Familienroman, Campusroman und Literaturbetriebssatire, Alter und Tod, Kunst und Wirklichkeit, verfehltes Leben, New York als Handlungsort: Aus Schauplatz, Themen und Gattungen ließe sich einiges machen, und David Gilbert nimmt sich mehr als 600 Seiten, um die Geschichten zu erzählen und immer wieder Teile aus "Ampersand" als Buch im Buch auszubreiten.
Doch es entsteht nichts, keine Spannung, keine Tiefe, keine Gedanken, fast so, als ob die ganze Kreativität sich schon im Austüfteln des Plots erschöpft hätte. Endlose Gespräche und Partygeschwätz, breiteste Beschreibungen mit gesuchter Witzigkeit und zwanghafter Metaphern-Originalität und ein unkonzentrierter, dem Stoff nicht gewachsener Ich-Erzähler führen dazu, dass man sehr rasch die Geduld verliert.
Das ganze Elend der literarischen Durchschnitts-Ware vom US-Markt tritt da zu Tage: Sprachlich ist das so glatt und widerstandsfrei, dass man sich eher in einem mittelmäßigen Kinofilm zu befinden scheint als in einer aus Sprache geformten Fiktion. Das liegt daran, dass Autoren derartiger Bücher von vornherein auf die Verfilmung schielen. Mit Literatur im engeren Sinn hat diese Art, auf Plots und Pointen zu setzen, nur wenig zu tun.