Sam Usher: "Sonne"
Aus dem Englischen von Meike Blatnik
Annette Betz / Ueberreuter Verlag, Berlin 2018
40 Seiten, 14,95 Euro, ab 4 Jahren
Heißer Tag und cooler Opa
Ein fantastischer Ausflug an einem heißen Sommertag: Der rothaarige Junge und sein Opa waren schon einmal die Helden in zwei Bilderbüchern des Engländers Sam Usher. In "Sonne" wandern nun beide am Morgen zu Hause los - in eine Welt die immer exotischer wird.
Oma und Opa sind neben Eltern und Geschwistern mittlerweile die wichtigsten Protagonisten in Kinderbüchern, denn sie hüten einen unbezahlbaren Schatz: Sie haben Zeit. Das ist auch in den hochgelobten Bilderbüchern des englischen Bilderbuchmachers Sam Usher so, in denen ein kleiner Junge gemeinsam mit seinem Opa Abenteuer erlebt. "Regen" hieß das Vorgängerbuch, jetzt kommt "Sonne".
"Als ich heute Morgen aufgewacht bin, schien die Sonne. Es war der heißeste Tag des Jahres", erzählt der Junge mit dem roten Wuschelkopf, der gelben Hose und dem gestreiften T-Shirt. Es ist derselbe Junge, der schon in Sam Ushers Bilderbüchern "Regen" und "Mein Schneetag" Hauptfigur war, genau wie sein Großvater. Und wie in den Vorgängerbüchern erwartet man, dass Opa die Unternehmungslust des Enkels bremst und ihn warten lässt. Aber nein! Spontan meint Opa: "Der perfekte Tag für ein Abenteuer".
Aus der Wiese wird Wüste
Die beiden wandern los: Opa ist der "Steuermann". Der Tag wird immer heißer, der Weg immer beschwerlicher und exotischer. Aus der Wiese wird Wüste, Palmen säumen den Weg, wir sind in Afrika oder Mexiko. Schließlich entdecken die beiden in einer riesigen Höhle Piraten, die ihre Ausfahrt in einem wuchtigen alten Segelschiff vorbereiten. Auf diesem Boot – in dieser anderen Welt – ist endlich der perfekte Picknick-Platz gefunden. Doch schon auf der nächsten Seite sind die Wanderer wieder zurück zu Hause.
Wie ist dieser Sprung aus der realen in die irreale Ebene zu verstehen? Stellt der Junge sich das Abenteuer vor, weil er wegen der Hitze zu Hause bleiben muss? Erzählt der Opa eine spannende Geschichte? Wie in den früheren Büchern beantwortet Sam Usher diese Frage nicht. Er tut einfach so, als gäbe es die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fantasie nicht. Zu Recht, denn im (Bilder-)Buch ist sie ja auch wirklich nicht von Belang! Alles ist erfunden, auch das "Reale".
Man kann "Sonne" anschauen und lesen, ohne die Vorgänger-Bände zu kennen. Aber es ist doch erhellend zu sehen, was der Künstler im Vergleich zu ihnen verändert hat und woran er festhält. Zum Beispiel an der leise sich vollziehenden Wendung von der realistischen in eine fantastische Handlung.
Aufbruch mit einem alten Reisekoffer
Auch hier in "Sonne" geht es alltäglich los, morgens im Bett mit dem Blick aus dem Fenster. Aber schon beim Einpacken aller möglichen Picknick-Utensilien - Fernrohr, Fotoapparat, Schreibzeug, Getränke, Sonnenbrille, Sonnenhut - in einen alten Reisekoffer geht die Handlung leise ins Fantastische über.
Auch Sam Ushers Bildsprache hat sich nicht verändert: Der Text ist reduziert auf wenige, sachliche Sätze. Es dominieren die großen detailreichen Aquarelle. Manche, die Piratenszenen etwa, sind kunterbunt und comicartig-wuselig angelegt, andere – die heißen Landschaften – sind menschenleer und flirren vor Hitze. Ausdrucksstark sind sie alle, ob es sich um die sprechende Mimik und Gestik von Opa und Enkel handelt oder um die wilde Einsamkeit weiter Wüstenlandschaften.
Sam Usher erzählt von Schnee-, Regen- und Sonnentagen mit dem Opa. Von Abenteuern, die bei jedem Wetter möglich sind, weil sie in der Imagination stattfinden. Im Kopf des Großvaters, des Enkelsohns - und des Betrachters. Glücklicherweise gibt es noch viele Wetterlagen, die zu solchen Abenteuern einladen. Freuen wir uns drauf!