Wolfgang Herrndorf: Bilder deiner großen Liebe
Gesprochen und gesungen von Sandra Hüller
Mit Musik von Sandra Hüller, Moritz Bossmann und Sandro Tajouri
Roof Music, Bochum 2018
2 CDs, 20 Euro
Eine Road Novel als rauschartige Performance
Im Zentrum von Wolfgang Herrndorfs "Bilder deiner großen Liebe" steht Isa. Das geheimnisvolle Mädchen aus seinem Bestseller "Tschick" ist schwer zu fassen. Sandra Hüller singt und spricht ihre Geschichte. Dabei zieht die Schauspielerin alle Register - bis zum furiosen Finale.
"Wenn ich will, dass die Sonne steht, dann steht die Sonne. Wenn ich will, dass das Eisentor aufgeht, dann geht das Eisentor auf. Und im selben Moment geht es auf. Ein LKW fährt durch, und ich hinter dem LKW vorbei gehuscht und raus."
Bis zum Tod am Roman gearbeitet
Man erfährt nicht viel Biografisches über dieses seltsame 14-Jährige, die sich da auf den Weg macht. Warum sie in der Psychiatrie war, wird nicht auserzählt, genauso wenig was eigentlich ihr Ziel ist.
"Ich schlafe bei Tag und gehe bei Nacht. Ich seh die Sterne, im Wald sind keine Sterne, Wald, Feld, Wiesen und Wege, ich gehe immer gerade aus."
Wolfgang Herrndorf arbeitete bis zu seinem Tod immer wieder an diesem Text über Isa, jenes Mädchen, das auch in seinem Erfolgsroman "Tschick" auftaucht. "Bilder deiner großen Liebe" ist eine Road Novel voller Einsamkeit, trotz der Begegnungen mit unterschiedlichsten Menschen auf dem Weg. Der Roman blieb unvollendet, fragmentarisch - genauso wie die Erinnerung von Isa.
"Ich schreibe: Mein Vater war Physiker und seine Arbeit war sinngemäß für das Auswärtige Amt, sinngemäß im Sinne von meistenteils geheim. Als er starb, wurde ich eingeschult. Die Wahrheit: Ich kann mich nicht erinnern."
Gefühlszustände wechseln schlagartig
Was Sandra Hüller aus dieser Vorlage von Wolfgang Herrndorf macht, ist viel mehr als nur eine Lesung mit Musik. Sie zieht alle Register ihres Könnens: Sie ist laut, leise, wütend, ängstlich, zögernd, hilflos, barsch – die Gefühlszustände können von einem Moment auf den anderen wechseln.
"Der goldene Berg – ich nenn ihn so, weil er rund ist und von einer Haube aus Weizen bedeckt. Von oben seh ich über das Land und bin müde. In meinem Inneren wüten eiserne Zangen."
Und so ist sieht man vor dem inneren Auge auch kein 14-jähriges Mädchen, sondern eine am Rande des Wahnsinns changierende junge Frau.
Mit den Musikern hat Sandra Hüller für diesen Stoff schon zusammen auf der Bühne gestanden. Die Songs, die sie zum Teil mitkomponiert und getextet hat, klingen groß, emotional, rauschartig.
Eine schwer zu fassende Umherstreiferin
Isa ist schwer zu fassen – und genauso wird sie von Sandra Hüller auch gesprochen, als eine Person, die ihrer selbst nicht gewiss ist, aber zu allem fähig. Die an sich zweifelt und gleichzeitig voller Kraft ist. Beim Umherstreifen trifft Isa schließlich auch auf Tschick und Maik.
"Wir schwimmen im See. Es ist schön, aber auch kalt. Die Jungs haben eine Flasche Shampoo dabei und sich nach so langer Zeit mal wieder einzuseifen, fühlt sich an wie gelöschter Durst."
Doch das ist auch nur eine Begegnung unter anderen, dramaturgisch nicht der Höhepunkt der Erzählung, in der es viel mehr um das geht, was sich im Kopf abspielen kann, wenn man versucht, die Welt zu begreifen:
"In einem Moment denkt man, man hat es, dann hat man es wieder nicht. Und wenn man diesen Gedanken zu Ende denken will, dann dreht er sich unendlich im Kreis und wenn man aus dieser unendlichen Schleife nicht mehr raus kommt, dann ist man wieder verrückt, weil man etwas verstanden hat."
Rund 70 Minuten dauert diese großartige Sandra-Hüller-Performance, die furios endet. Im Gegensatz zum Buch gibt es hier nach dem letzten Wort keine Stille - wenn die Kugel, die Isa mit einer Pistole abfeuert, wieder vom Himmel fällt...
"... Millimeter genau zurück in den Lauf der Waffe."