Sayaka Murata: "Die Ladenhüterin"
Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe
Aufbau Verlag, Berlin 2018
146 Seiten, 18,00 Euro
Einblick in die japanische Psyche
Die Supermarktverkäuferin Keiko versucht, nicht weiter aufzufallen. Zum unscheinbaren "Glück" fehlt nur noch ein Ehemann. Sayaka Muratas "Die Ladenhüterin" ist eine bitterernste Satire auf die japanische Gesellschaft.
Ein Ladenhüter war "Die Ladenhüterin" wahrlich nicht. 650.000 mal hat sich der Roman der knapp 40jährigen Sayaka Murata in Japan verkauft. Das ist sicher kein Zufall, gibt das Buch doch Einblick in die japanische Psyche und in eine Gesellschaft, in der das Funktionieren am Arbeitsplatz und die Konventionen gesellschaftlichen Zusammenlebens alles andere dominieren. Sayaka Murata zeichnet das Bild einer modernen, kapitalistischen, gefühlskalten Welt, in der jeder Mensch seine definierte Rolle zu spielen und seinen Platz einzunehmen hat.
Ein glückliches, zufriedenes Nichts
In der Figur der Supermarktverkäuferin Keiko spitzt sie dieses Lebensgefühl zu. Die Ich-Erzählerin arbeitet seit vielen Jahren als Aushilfe in einem "Konbini" genannten kleinen Supermarkt, der rund um die Uhr geöffnet hat. Sie geht ganz und gar in dieser Tätigkeit auf, hat keine anderen Ziele und Wünsche, als die Regale sorgfältig aufzufüllen und die Kunden mit dem richtigen Gesichtsausdruck und einem freundlichen Lächeln zu bedienen. Der Feierabend und der Nachtschlaf dienen ausschließlich dazu, sich zu kräftigen und als vorbildliche Arbeitskraft zu erhalten. Jenseits des Konbini ist Keiko nichts. Und das Erstaunlichste daran: Genau das macht sie glücklich und zufrieden.
In Rückblenden erfährt man, welche Schwierigkeiten sie hatte, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Woran es Keiko mangelt, ist Empathie. Als Kind fand sie einmal einen toten Vogel, über dem die anderen Kinder in Tränen ausbrachen. Die Mutter schlug vor, ihn zu beerdigen. Keiko fand das verschwenderisch: Warum ihn nicht essen? Vater mag doch so gerne gegrilltes Geflügel! Mit derlei Äußerungen stößt sie ihre Mitmenschen immer wieder vor den Kopf, so dass sie beschließt, nichts mehr zu sagen, um nicht aufzufallen. So kommt sie durchs Studium, doch erst im Supermarkt, wo sie ganz und gar in ihrer Rolle als Verkäuferin verschwindet, hat sie ihren Platz gefunden.
In Rückblenden erfährt man, welche Schwierigkeiten sie hatte, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Woran es Keiko mangelt, ist Empathie. Als Kind fand sie einmal einen toten Vogel, über dem die anderen Kinder in Tränen ausbrachen. Die Mutter schlug vor, ihn zu beerdigen. Keiko fand das verschwenderisch: Warum ihn nicht essen? Vater mag doch so gerne gegrilltes Geflügel! Mit derlei Äußerungen stößt sie ihre Mitmenschen immer wieder vor den Kopf, so dass sie beschließt, nichts mehr zu sagen, um nicht aufzufallen. So kommt sie durchs Studium, doch erst im Supermarkt, wo sie ganz und gar in ihrer Rolle als Verkäuferin verschwindet, hat sie ihren Platz gefunden.
Dass es schließlich zu einer seltsamen Liebesgeschichte mit einem verlotterten jungen Mann kommt, ist eine Zutat, die fast schon zu viel an Handlung bietet. Als Kollege im Konbini ist er unfähig, weil faul, unzuverlässig und desinteressiert. Nach seiner Entlassung nimmt Keiko ihn bei sich auf, bietet ihm die Badewanne als Schlafplatz, füttert ihn mit Fertigkost und plant sogar, ihn zu heiraten. Denn eine ordentliche Heirat ist das, was ihr noch fehlt, um endlich sozial vollkommen unauffällig zu sein.
Die Austreibung der Gefühle
"Die Ladenhüterin" ist eine bitterernste Satire auf die Austreibung der Gefühle in einer aufs bloße Funktionieren ausgerichteten Gesellschaft. Weil der kleine Roman von Unveränderlichkeit und starren Rollenmustern handelt, ist er notwendigerweise stagnativ und endet da, wo er auch beginnt: im Supermarkt. So präzise und eiskalt Murata erzählt, krankt ihr Text doch ein wenig daran, dass man bald schon verstanden hat, worum es ihr geht. Erzählerisch bleibt nur der Ausweg, die Absurditäten immer weiter zu steigern.
Nicht ganz glaubwürdig ist zudem die Position der Ich-Erzählerin. Wenn es ihr wirklich so sehr um Unauffälligkeit und die reibungslose Einordnung in die Arbeitswelt ginge – warum und wem erzählt sie dann ihre Geschichte? Wenn sie ihr ganzes Leben darauf ausgerichtet hat, verbergen zu lernen, wie sozial unfähig sie eigentlich ist, dann wäre doch das fortgesetzte Schweigen der konsequente Weg. Und dass Keiko sehr konsequent ist in ihren Handlungen, das beweist sie mit ihrer Beichte hinreichend.