"Die Leute auszugrenzen, ist zu einfach"
Wir müssen uns mit dem Rechtspopulismus auseinandersetzen, sagt Klaus Farin. AfD-Mitglieder aus dem Schriftstellerverband auszuschließen, halte er deshalb für den falschen Weg. Voraussetzung für einen Dialog sei aber eine Versachlichung.
Joachim Scholl: Seit Uwe Tellkamps ominösem Satz über die Flüchtlinge und der darauffolgenden "Erklärung 2018" rumort es auch in der geistigen Welt Deutschlands tüchtig: Auf jene konservative rechte Erklärung folgte die linke Antwort auf Demokratie und Menschenrechte. Initiiert hat sie der Autor und Lektor Klaus Farin, der jetzt auch ein eigenständiges Buch zum Thema herausgegeben hat. Heute erscheint es unter dem Titel "Unsere Antwort: Die AfD und wir".
Herr Farin, über 5000 Unterzeichner umfasst Ihre Liste inzwischen. Wozu jetzt diese Publikation? Ist das eine Art flankierende Maßnahme zu der Antwort, die ja auch nur einen solidarischen Satz enthält?
Farin: Ja, an dem Buch haben wir schon seit Januar gearbeitet, weil wir uns mit dem Thema beschäftigen wollten. Wir, das sind zehn Autoren, Autorinnen – Zoë Beck, Nina George, Seidel, Michael Wildenhain und so weiter. Es war vorher klar, dass es da auch ein Problem gibt. Die Antwort kam erst später sozusagen und die Tellkamp-Äußerung. Seit Januar haben wir angefangen zu diskutieren, wie gehen wir als Autoren, als Autorinnen mit diesem Thema Rechtspopulismus, mit Rassismus in der Gesellschaft, aber eben auch in unseren eigenen Kreisen um, denn bei Rechtspopulismus geht es ja auch viel um Sprache, und wir arbeiten mit Sprache. Also wer, wenn nicht wir, soll sich damit auseinandersetzen.
Reduzierung auf die AfD sei verharmlosend
Scholl: Zu Beginn des Buches führen Sie ein Interview mit Michael Wildenhain, der sich vehement dafür ausspricht, dass AfD-Mitglieder nicht im deutschen Schriftstellerverband tätig sein dürfen. Ist das eine Strategie? Eigentlich heißt es doch, man soll miteinander reden.
Farin: Ja, das kann man kontrovers sehen. Das wird auch in unserem Buch diskutiert. Also Michael Wildenhain ist dafür, AfD-Mitglieder auszuschließen, um ein deutliches Signal zu setzen. Ich persönlich halte das für den falschen Weg, in der Tat. Ich glaube, dass es fast eine Verharmlosung ist, das Thema auf AfD zu reduzieren. Also Herr Sarrazin ist bekanntlich nicht Mitglied der AfD, und er hat mit seinem rassistischen Pamphlet über zwei Millionen Exemplare verkauft, also halb so viel wie die ganze AfD Stimmen im Bundestagswahlkampf hatte, oder auch Tellkamp oder Broder. Das heißt, das Problem ist eigentlich viel weiter, und wir kommen nicht darum herum, auch uns in unserem Alltag, unserer Nachbarschaft, bei Freunden, bei Bekannten und auch im Schriftstellerverband immer wieder mit menschenfeindlichen Ansichten auseinanderzusetzen. Die Leute einfach auszugrenzen ist etwas zu einfach für mich.
Sachlichkeit statt Emotionen
Scholl: Ich meine, momentan hat man doch den Eindruck, dass, wenn man diese Listenpolitik sieht, dass es da so zwei Säulen gibt, auch in der geistigen Welt, die sich gegenseitig aber auch nicht richtig berühren, also beide Seiten feiern sich irgendwie schön: Die einen sind die Beleidigten und sagen, wir sagen die Wahrheit, die anderen sagen, sagt mal, habt ihr sie noch alle – übersetze ich jetzt mal ganz schlank. Wie sehen Sie das? Wie kommt denn ein Dialog, ein produktiver Dialog, wie könnte der denn zustande kommen?
Farin: Es hängt ja damit zusammen, dass das ein sehr emotional besetztes Thema ist, das ganze Thema Flucht. Es geht ja nicht um Fakten. Wenn ein intelligenter Mensch wie Tellkamp plötzlich eine Boulevardzeitung zitiert und sagt, 95 Prozent der Geflüchteten sind hier Wirtschaftsflüchtlinge, jeder Mensch …
Scholl: Das war jener Satz.
Farin: Selbst Seehofer würde das nicht unterschreiben. Das ist hanebüchener Unsinn. Auch dieser Hass, der einem entgegenprallt, wenn man das Thema anspricht, nicht nur in sozialen Medien, da merkt man eigentlich, es geht um Emotionen und nicht um Sachlichkeit. Es ist also sehr schwierig, das Thema wieder auf Sachlichkeit zurückzuführen. Auch in der Medienberichterstattung, oft werden Politiker gefragt, aber nicht eigentliche Expertinnen und Experten und schon gar nicht die Geflüchteten selbst. Also es ist schwierig. Man kann aber auch nicht mit jedem reden natürlich. Wir wissen, ein Teil der Bevölkerung ist nicht erreichbar, aber viele doch. Deswegen sollte man es immer wieder versuchen und gute Argumente haben.
Runde Tische dürfen keine Alibiveranstaltung werden
Scholl: Was halten Sie von einem runden Tisch, wie ihn Ingo Schulze vorgeschlagen hat?
Farin: Da kommt es darauf an, welches Ziel der runde Tisch hat. Hat er wirklich Einflussmöglichkeiten, ist es eine Alibiveranstaltung, kommen dort wirklich Menschen zusammen, die Wissen haben, die was zu sagen haben? Also da hängt es immer sehr von der konkreten Zusammensetzung ab. Runde Tische ist ja so ein Allheilmittel, überall werden runde Tische gegründet. Sie müssen dann auch wirklich eine breite Mischung präsentieren.
Scholl: Danke, Klaus Farin! Er ist Herausgeber des Bandes "Unsere Antwort: Die AfD und wir. Schriftsteller und Schriftstellerinnen und der Rechtspopulismus", verschiedene Essays, im Verlag Hirnkost erschienen, 172 Seiten zum Preis von 12 Euro.
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