Verena Stefan wurde 1947 in Bern geboren, absolvierte in Berlin eine Ausbildung als Physiotherapeutin und studierte Soziologie sowie vergleichende Religionswissenschaften. 1972 gründete sie zusammen mit anderen Frauen die feministische Gruppe "Brot und Rosen".
Kult-Autorin der Frauenbewegung
"Häutungen" von Verena Stefan wurde 1975 zur Bibel der Feministinnen. Bis heute ist das darin thematisierte Machtverhältnis in der Sexualität eine aktuelle Frage, findet Feminismus-Expertin Catherine Newmark.
Knapp zwei Monate nach ihrem 70. Geburtstag ist die Schweizer Schriftstellerin Verena Stefan am 30.11.2017 an ihrem Wohnort in Montreal an Krebs gestorben. Das bestätigte ihr Verlag Nagel & Kimche.
Die Bedeutung ihres internationalen Bestsellers "Häutungen" beschreibt Catherine Newmark:
"Verena Stefan hat in literarischer Form ein Buch geschrieben, wo sie die Suche nach dem eigenen sexuellen Begehren formuliert, auch mit den Problemen, die es gibt für eine Frau innerhalb eines patriarchalen Systems, wo Männer vielmehr Macht haben als Frauen, sexuell eigenständig zu sein."
Kritik am Patriarchat
Ihre Kritik am Patriarchat formulierte sie in Miniaturen, wie dieses Zitat in "Häutungen" über eine Szene mit einem Liebhaber zeigt: "Wenn ich zu ihm kam stand er Gedanken schwer vom Schreibtisch auf: Ich hatte geduscht, er hatte gedacht."
Auch wenn die Autorin etwas in Vergessenheit geraten ist, sei die Frage, die sie stellt, gerade mit Blick auf die #metoo-Debatte heute wieder aktuell, findet Newmark:
"Im Feminismus ging es ab den 80er- und 90er-Jahren um Gender und Queerness und welche Geschlechter es gibt. Und in letzter Zeit scheint es ja vor allem um Kinderkrippenplätze und um Aufstiegschancen in Chefetagen zu gehen. Und diese wirklich zentrale Frage der Sexualität, die wird wenig gestellt. Gerade bei #metoo geht es ums Ganze, ums Eingemachte: Wie sind die sexuellen Beziehungen? Wo ist der Übergang zwischen konsensuellem Sex und Nötigung? Und das sind genau die Fragen, die die 70er-Jahre-Feministinnen gestellt haben."
Es lohne sich, so Newmark abschließend, Verena Stefan wiederzuentdecken, deren These sie so zusammenfasst:
"Wir können uns als Frauen und als alle Geschlechter nicht befreien, wenn wir für uns nicht geklärt haben, wie wir mit unserer Sexualität umgehen."
Ihr letzter Roman: "Die Befragung der Zeit"
Nach ihrem ersten Buch "Häutungen" folgten Monographien, Herausgeberschaften und weitere Romane. Zuletzt erschien 2014 ihr Roman "Die Befragung der Zeit". Darin verarbeitet die Autorin ihre Kindheit in der Nähe von Bern und die Biografie ihres Großvaters Julius Brunner. Brunner war Landarzt und nahm Ende der 40er-Jahre bei notleidenden Frauen Abtreibungen vor. Er wurde dafür angeklagt und in die psychiatrische Klinik Waldau eingeliefert.