Zaudern, zagen, Worte wagen
Die Romantik prägte das Bild des schüchternen, empfindsamen Dichtertypus, der sich fremd und untauglich fühlt in der Realität. Angetrieben von der Sehnsucht nach Einheit und Ganzheit erschafft er ein Reich der Poesie. Ist Schüchterheit ein Motor der Literatur?
Der empfindsame, an sich und der Welt zweifelnde Dichter schafft in sozialer Abgeschiedenheit große Literatur – die Romantik prägte dieses populäre Künstlerbild. In der Moderne repräsentierte Franz Kafka es in solcher Vollkommenheit, dass er heute als exemplarisch Schüchterner gilt: hypersensibel, eigensinnig, voller Ängste und Selbstzweifel. Ein Mann, der am Tag ein angepasstes Leben als Versicherungsangestellter führt, nachts aber, etwas verschämt, das tut, was er für seinen eigentlichen Lebenszweck hält: schreiben.
Ist ein zaghaftes, zweifelndes Selbst- und Weltverhältnis, das in dieser Zeit nur noch wenige Fürsprecher hat, produktiv für die Literatur, fragt Uta Rüenauver in ihrem Feature: "Schüchternheit und Literatur – Zaudern, zagen, Worte wagen".