Sebastian Kohlmann: Frank-Walter Steinmeier - Eine politische Biographie
Transcript Verlag, 2017
648 Seiten, 39,99 Euro
Im Maschinenraum der Macht
Dass über einen neuen Bundespräsidenten Biografien veröffentlich werden, gehört zum normalen Geschäft der Publikumsverlage. Ungewöhnlich ist aber eine Art Dissertation wie "Frank-Walter Steinmeier" von Sebastian Kohlmann, die ihn als Repräsentanten eines neuen Politiker-Typus vorstellt: der "Büroleiter".
Wir Wahlbürger haben spezielle Erfahrung mit dem "Blick hinter die Kulissen" der politischen Macht. Es geht zumeist um die Enthüllung der Tatsache, dass Menschen ihrer Macht nicht gewachsen sind, sei es charakterlich oder intellektuell, wobei gern überzeichnet oder diffamiert wird. Wenn sich ein Politiker seinem Beruf gewachsen zeigt, ist das kaum eine Meldung wert, denn good news are bad news.
Einen unaufgeregten Blick hinter die Kulissen leistet die Steinmeier-Biografie des Referenten der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung Sebastian Kohlmann. Wir erfahren, was es bedeutet, in das politische Geschäft hineinzuwachsen, ohne charakterlich Schaden zu nehmen, und mehr, daran charakterlich zu wachsen, vom öffentlich kaum sichtbaren Malocher "im Maschinenraum der Macht" bis ins höchste Amt, das diese Bundesrepublik zu vergeben hat. Als ein wichtiges Motiv dieser Biografie bekennt Kohlmann sein Erstaunen über diese durchaus untypische politische Karriere:
"Wie konnte Steinmeier überhaupt so weit aufsteigen? Welche bleibende Wirkung hat Steinmeier in seinen jeweiligen Ämtern erzielt? Und: Wie groß ist Steinmeiers Rolle bei der Neupositionierung der SPD in den vergangenen zwei Jahrzehnten?"
Einen unaufgeregten Blick hinter die Kulissen leistet die Steinmeier-Biografie des Referenten der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung Sebastian Kohlmann. Wir erfahren, was es bedeutet, in das politische Geschäft hineinzuwachsen, ohne charakterlich Schaden zu nehmen, und mehr, daran charakterlich zu wachsen, vom öffentlich kaum sichtbaren Malocher "im Maschinenraum der Macht" bis ins höchste Amt, das diese Bundesrepublik zu vergeben hat. Als ein wichtiges Motiv dieser Biografie bekennt Kohlmann sein Erstaunen über diese durchaus untypische politische Karriere:
"Wie konnte Steinmeier überhaupt so weit aufsteigen? Welche bleibende Wirkung hat Steinmeier in seinen jeweiligen Ämtern erzielt? Und: Wie groß ist Steinmeiers Rolle bei der Neupositionierung der SPD in den vergangenen zwei Jahrzehnten?"
Als Kanzlerkandidat wurde er verheizt
Als Frank-Walter Steinmeier von der Universität Gießen in die Hannoversche Staatskanzlei wechselte, konnte er nicht ahnen, was seine hohen Ämter im Staate, was die Partei, der er seit Studentenjahren angehörte, ihm charakterlich abverlangen würden. Ohne das Amt je angestrebt zu haben, wurde er als Kanzlerkandidat "verheizt", eine Erfahrung, die ihn nicht grundsätzlich vor politischen Ämtern abgeschreckt hat.
Was ihm nach der Niederlage als Kanzlerkandidat bevorstand, war etwas, das Kohlmann als "Ochsentour rückwärts" bezeichnet. Es war der obligatorische Weg durch die Institutionen und die Niederungen der Parteipolitik, die Steinmeier sozusagen nachholen musste. Aber auch diese Jahre haben ihn wachsen lassen:
"Selbst als Außenminister wurde er von klassischen Parteikadern noch kritisch beäugt, dass dort sich nun einer aufmachen würde, in die Partei vorzudringen, was insofern auf Gegenseitigkeit beruhte, als dass Steinmeier bis zum Ende seiner Parteivize-Zeit mit Streitigkeiten, Intrigen und Belanglosigkeiten einer Parteipolitik, wie sie in der SPD praktiziert wurde, (…) fremdelte."
Was ihm nach der Niederlage als Kanzlerkandidat bevorstand, war etwas, das Kohlmann als "Ochsentour rückwärts" bezeichnet. Es war der obligatorische Weg durch die Institutionen und die Niederungen der Parteipolitik, die Steinmeier sozusagen nachholen musste. Aber auch diese Jahre haben ihn wachsen lassen:
"Selbst als Außenminister wurde er von klassischen Parteikadern noch kritisch beäugt, dass dort sich nun einer aufmachen würde, in die Partei vorzudringen, was insofern auf Gegenseitigkeit beruhte, als dass Steinmeier bis zum Ende seiner Parteivize-Zeit mit Streitigkeiten, Intrigen und Belanglosigkeiten einer Parteipolitik, wie sie in der SPD praktiziert wurde, (…) fremdelte."
Auch die Agenda 2010 hat seinem Image nicht geschadet
Seit seiner Inthronisierung als Außenminister im Jahre 2005 sei er in der Beliebtheitsskala der Umfrageinstitute auf die vorderen drei Plätze abonniert gewesen, schreibt Kohlmann, und zwar obwohl - oder weil? - er einen neuen Typus der politischen Elite repräsentiere: den so genannten "Büroleiter". Von den Medien wird er gern als visionslos und ideologiefrei beschrieben, als Pragmatiker, dem jede politische Leidenschaft fehle.
Wir, das Wahlvolk, haben also offenbar gelernt, dass die "Büroleiter" einen besseren Job machen als die Selbstdarsteller. Dass Frank-Walter Steinmeier es bis ins Bundespräsidialamt geschafft hat, dazu können wir, das Wahlvolk, uns wohl nur gratulieren.
Steinmeier hat die Fernsehkameras nie geliebt, aber er hat gelernt, mit ihnen umzugehen. Er hat auch die Parteiversammlungen nie geliebt und hat sich dennoch zur "Ochsentour rückwärts" bereit gefunden. Gewiss nicht aus reinem Vergnügen, sondern weil er dieses politische System als das bestmögliche ansieht, weil er dessen Zwänge und Nötigungen auf sich nimmt, um dessen Freiheiten in Gestaltungsspielräume zu verwandeln.
"Die Agenda 2010 war (…) Steinmeiers Werk, der sie im Auftrag von Schröder entwickelt hatte. (…) Steinmeier wurde so immer mehr das Korrektiv zum ´situativen Regieren` Schröders. (…) Dabei kam es zu einer zunehmenden Entkoppelung zwischen Partei und Regierung, die allerdings Steinmeier nur bedingt zu verantworten hatte.(…) Er zeichnete damit entscheidend für die nachgeholten, über Jahrzehnte verschleppten, auch unter Rot-Grün zunächst nur zögerlich angegangenen größten Sozialreformen nicht nur der sozialdemokratischen, sondern auch der bundesrepublikanischen Geschichte – und damit für eine nachhaltige Genesung des einstigen ´kranken Mannes Europas`."
Das kann man gewiss auch ganz anders sehen, der Autor ist nicht unparteiisch. Interessanter scheint mir diese Dokumentation politischer Zeitgeschichte, wo sie das Verhältnis der Nachkriegsdeutschen zu ihren Politikern in den Blick nimmt. Das Wahlvolk hatte zu lernen, dass es im politischen Raum nicht mehr um großes Theater gehen darf, um den Rausch der Gefolgschaft.
Wir, das Wahlvolk, haben also offenbar gelernt, dass die "Büroleiter" einen besseren Job machen als die Selbstdarsteller. Dass Frank-Walter Steinmeier es bis ins Bundespräsidialamt geschafft hat, dazu können wir, das Wahlvolk, uns wohl nur gratulieren.
Steinmeier hat die Fernsehkameras nie geliebt, aber er hat gelernt, mit ihnen umzugehen. Er hat auch die Parteiversammlungen nie geliebt und hat sich dennoch zur "Ochsentour rückwärts" bereit gefunden. Gewiss nicht aus reinem Vergnügen, sondern weil er dieses politische System als das bestmögliche ansieht, weil er dessen Zwänge und Nötigungen auf sich nimmt, um dessen Freiheiten in Gestaltungsspielräume zu verwandeln.
"Die Agenda 2010 war (…) Steinmeiers Werk, der sie im Auftrag von Schröder entwickelt hatte. (…) Steinmeier wurde so immer mehr das Korrektiv zum ´situativen Regieren` Schröders. (…) Dabei kam es zu einer zunehmenden Entkoppelung zwischen Partei und Regierung, die allerdings Steinmeier nur bedingt zu verantworten hatte.(…) Er zeichnete damit entscheidend für die nachgeholten, über Jahrzehnte verschleppten, auch unter Rot-Grün zunächst nur zögerlich angegangenen größten Sozialreformen nicht nur der sozialdemokratischen, sondern auch der bundesrepublikanischen Geschichte – und damit für eine nachhaltige Genesung des einstigen ´kranken Mannes Europas`."
Das kann man gewiss auch ganz anders sehen, der Autor ist nicht unparteiisch. Interessanter scheint mir diese Dokumentation politischer Zeitgeschichte, wo sie das Verhältnis der Nachkriegsdeutschen zu ihren Politikern in den Blick nimmt. Das Wahlvolk hatte zu lernen, dass es im politischen Raum nicht mehr um großes Theater gehen darf, um den Rausch der Gefolgschaft.
Steinmeier als Musterbeispiel des pragmatischen Politikers
Auf beiden Seiten gab es da immer wieder große Unsicherheiten, ob man einerseits als Politiker den richtigen Ton und die passenden Gesten, und andererseits als Zuschauer des schaumgebremsten Polittheaters die angemessene Haltung findet zwischen Interesse, Belustigung und Langeweile.
An ihren Taten sollt ihr sie erkennen: Frank-Walter Steinmeier wird als Musterbeispiel eines Politikers beschrieben, der stilbildend wirkte auf die deutsche Demokratie. Auch, und für alle sichtbar, als Außenminister:
"Und so hatte er mit der Absage an ein militärisches Engagement, was den Iran angeht, (…) einen entscheidenden Anteil an dem später zustande gekommenen – friedlichen – Atomabkommen mit diesem schwierigen Partner. (…) In der Ukraine-Krise reaktivierte er das Weimarer Dreieck und das Normandie-Format, warb nachhaltig für einen Kurs ohne Waffen (ohne diese auszuschließen), eine ´Kultur des Dialogs` und forcierte mit Review 2014 und den daraus entstandenen Plattformen für Bürgerdialoge einen umfangreichen Dialogprozess mit der Zivilgesellschaft über Deutschlands Rolle in der Welt."
An ihren Taten sollt ihr sie erkennen: Frank-Walter Steinmeier wird als Musterbeispiel eines Politikers beschrieben, der stilbildend wirkte auf die deutsche Demokratie. Auch, und für alle sichtbar, als Außenminister:
"Und so hatte er mit der Absage an ein militärisches Engagement, was den Iran angeht, (…) einen entscheidenden Anteil an dem später zustande gekommenen – friedlichen – Atomabkommen mit diesem schwierigen Partner. (…) In der Ukraine-Krise reaktivierte er das Weimarer Dreieck und das Normandie-Format, warb nachhaltig für einen Kurs ohne Waffen (ohne diese auszuschließen), eine ´Kultur des Dialogs` und forcierte mit Review 2014 und den daraus entstandenen Plattformen für Bürgerdialoge einen umfangreichen Dialogprozess mit der Zivilgesellschaft über Deutschlands Rolle in der Welt."
Ein bewusst nicht-journalistische Darstellung
Macht offenbart Charakter: Erstaunlich war mir bei der Lektüre, dass man in dieser gereiften deutschen Demokratie durchaus unpopuläre Maßnahmen durchsetzen und dennoch – oder gerade deshalb – so populär werden kann wie es dieser Politiker inzwischen ist.
Eine politische Biografie, nennt sich das Buch: Ein Hineinwachsen in die politische Macht, eine Charakterbildung entlang der wachsenden Aufgaben wird meist posthum nacherzählt, mit der Tendenz zur Glorifizierung. Ganz anderes hier: Es ist die bewusst nicht-journalistische, etwas hölzerne, mit Anmerkungen gespickte wissenschaftliche Darstellung, deren Stil durchaus dem des beschriebenen Politikers ähnelt.
Wie diese Biografie will auch ihr Protagonist nichts von sich her machen, nichts scheinen, sondern so nüchtern, klar und präzise agieren wie nur irgend möglich. Der Ton ist der des diplomatischen Parketts: umsichtig, nuanciert und ausgewogen. Das Buch ist nicht wirklich gut lesbar. Hoch aktuell und wichtig ist es allemal.
Eine politische Biografie, nennt sich das Buch: Ein Hineinwachsen in die politische Macht, eine Charakterbildung entlang der wachsenden Aufgaben wird meist posthum nacherzählt, mit der Tendenz zur Glorifizierung. Ganz anderes hier: Es ist die bewusst nicht-journalistische, etwas hölzerne, mit Anmerkungen gespickte wissenschaftliche Darstellung, deren Stil durchaus dem des beschriebenen Politikers ähnelt.
Wie diese Biografie will auch ihr Protagonist nichts von sich her machen, nichts scheinen, sondern so nüchtern, klar und präzise agieren wie nur irgend möglich. Der Ton ist der des diplomatischen Parketts: umsichtig, nuanciert und ausgewogen. Das Buch ist nicht wirklich gut lesbar. Hoch aktuell und wichtig ist es allemal.