Sebastian Smee: Kunst und Rivalität. Vier außergewöhnliche Freundschaften. Matisse und Picasso – Manet und Degas – Pollock und de Kooning – Freud und Bacon
Aus dem Englischen von Stephan Gebauer
Insel Verlag, Berlin 2017
398 Seiten, 26,00 Euro
Von Verbundenheit, Wertschätzung, Neid und Missgunst
Sebastian Smee erzählt in "Kunst und Rivalität" von vier Freundschaften. Seine Protagonisten sind allesamt weltberühmte Maler, die ohne ihr Gegenüber nicht das geworden wären, was sie schließlich wurden. Ein lebendiges, spannendes und tiefgründiges Buch.
Eigentlich hatte Picasso einen komfortablen Vorsprung. 1901, da war der Spanier gerade einmal 19 Jahre alt und noch gar nicht in Paris ansässig, bekam er seine erste Einzelausstellung bei Ambroise Vollard. Werke von Matisse zeigte der wegweisende Galerist erst zwei Jahre später. Und auch Leo Stein, der sich gemeinsam mit seiner Schwester Gertrude anschickte, in der französischen Metropole die aufregendsten Sammlungen moderner Kunst zusammenzutragen, kaufte zunächst Picasso und dann erst Matisse.
Mit der Ausstellung 1905 im Salon d’Automne wendete sich aber das Blatt. Hier hatte der 35-jährige Franzose derart für Furore gesorgt, dass sogar ein neuer Kunstbegriff geprägt wurde: der Fauvismus. Seither war Matisse in aller Munde. Doch Picasso blieb ihm auf den Versen.
Tatsächlich wechselten die zwei herausragenden Künstler immer wieder die Position im Kampf um den eigenen, radikal modernen Ausdruck.
Dass sie dabei nicht nur mit sich selbst, sondern auch miteinander rangen, und wie produktiv diese Auseinandersetzung für beide Maler war, beschreibt Sebastian Smee in "Kunst und Rivalität". Darin porträtiert der australische Kunstkritiker vier außergewöhnliche und legendenumwobene Künstlerfreundschaften der Moderne: Lucian Freud und Francis Bacon, Édouard Manet und Edgar Degas, Jackson Pollock und Willem de Kooning und eben Henri Matisse und Pablo Picasso.
Der Malerfreund sorgte für Entwicklung
Keiner dieser heute weltberühmten Künstler hätte sich ohne die enge Beziehung zu einem Malerfreund so entwickeln können, lautet Smees zentrale These. Meist war es ein Zeitraum von wenigen Jahren, in dem die entscheidenden Impulse gesetzt wurden.
So stehen im Mittelpunkt dieses blendend erzählten Buches zentrale Ereignisse wie gegenseitige Atelierbesuche, Porträtsitzungen, Diskussionen, Partys und nicht zuletzt der Austausch von Arbeiten; brillant eingebettet in den jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontext.
Alle Freundschaften bargen Zündstoff. "Verdammter Manet! Alles, was er tut, gelingt ihm auf Anhieb, während ich endlose Qualen auf mich nehme", klagte etwa Degas. Und Freud konstatierte über Bacon: "Als meine Bilder erfolgreich wurden, wurde Francis bitter und gehässig."
Sebastian Smee zeigt, dass Picassos bahnbrechendes Werk "Demoiselles d’Avignon" ohne den drängenden Matisse kaum entstanden wäre, dass Freud sich erst durch Bacons Einfluss vom peniblen Zeichner zum Maler üppiger Lebendigkeit wandelte, oder dass es Manet war, der Degas zum Porträtisten des städtischen Lebens machte.
Erfreulicherweise geht es Smee nie um klischeehafte Rivalität. Seine Porträts zeigen vielmehr die ganze Bandbreite der Künstler-Beziehungen: innige Verbundenheit, Wertschätzung, Empfänglichkeit, gegenseitige Ermutigung und Verständnis genauso wie Abhängigkeit, Neid und Missgunst. Wie die acht Wegbereiter der Moderne zu ihrer eigenen Handschrift fanden – mit- und gegeneinander – wurde selten so lebendig, spannend, tiefgründig und aufschlussreich beschrieben.