Siddhartha Mukherjee: "Das Gen. Eine sehr persönliche Geschichte"
Übersetzt aus dem Englischen von Ulrike Bischoff
S. Fischer, Frankfurt a.M. 2017
768 Seiten, 26,00 Euro
Was Gene wirklich machen
Siddhartha Mukherjee führt den Leser in "Das Gen" anschaulich in die Genetik ein. Der Mediziner und Bestseller-Autor schafft über seine Familiengeschichte einen unterhaltsamen roten Faden. Viele kleine Stories über zufällige Entdeckungen runden das Ganze ab.
Genetik ist eine junge Wissenschaft. In den letzten Jahrzehnten durchlebte sie eine rasante Entwicklung. Und es geht weiter. Fast monatlich verkünden Experten neue "Durchbrüche" und sorgen beim Publikum gleichermaßen für Euphorie, Hoffnung, aber auch für Skepsis, Ablehnung oder gar Angst. Das Durcheinander ist kaum zu durchschauen.
Zum Glück gibt es den Mediziner, Bestsellerautor und Pulitzer-Preisträger Siddhartha Mukherjee. Mit vielen kleinen Geschichten und wegweisenden Gedanken bietet er Überblick im Chaos. Leicht verständlich und unterhaltsam, aber ohne grobe Vereinfachungen verknüpft er geschickt große Ereignisse der Wissenschaft mit seiner eigenen Familiengeschichte, gewürzt mit einer Prise Humor und jeder Menge Fantasie.
Die Familiengeschichte als Einstieg ins Wissenschafts-Epos
Immer wieder begegnet die Familie Mukherjee in Indien dem Wahnsinn. Onkel Moni wird von Schizophrenie geplagt und landet schließlich in einer "Irrenanstalt". So nennt Siddhartha Mukherjees Vater die Klinik, in der er seinen Bruder nur selten besucht. Onkel Rajesh ist ebenso temperamentvoll wie genial, aber er eckt auch immer wieder an und wird von tiefer Melancholie gequält.
Und dann gibt es noch die beiden Zwillingsschwestern, die trotz gleicher Gene völlig unterschiedliche Lebenswege einschlagen. Indem Siddhartha Mukherjee das Schicksal seiner Verwandten beschreibt, beschäftigt er sich mit seiner eigenen Abstammung. Seine Gene verkörpern gleichermaßen sein Bild von sich selbst, seine Wünsche und seine Ängste.
Die persönliche Familiengeschichte ist für Siddhartha Mukherjee allerdings nur der Einstieg in ein großes Wissenschaftsepos. Von Anfang an erzählt er die Geschichte der Genetik und öffnet seinen Lesern eine Tür ins Allerheiligste der Biologie: Wie kann es sein, dass Chemie das Leben kontrolliert, und das Leben doch so viel mehr ist als Chemie?
Die Geschichte beginnt mit Gregor Mendel, einem Mönch, der im Klostergarten mit Erbsen experimentiert. Dabei entdeckt er grundlegende Mechanismen der Vererbung. Er begründet eine neue Wissenschaft, ohne dass die Welt dies zur Kenntnis nimmt.
Erst Jahrzehnte später entsteht die Genetik und erst danach der Begriff "Gen". Der nächste große Schritt gelingt in den 1920er-Jahren im Fliegenraum an der New Yorker Columbia-Universität. In einem versifften, dunklen Zimmer voller Milchflaschen, Maden und Fliegen entdecken Thomas Hunt Morgan und seine Mitarbeiter, dass Gene auf den Chromosomen im Zellkern nebeneinander angeordnet sind. Und so geht es weiter über die DNA-Doppelhelix, die Entwicklung der Gentechnik bis zum Human-Genom-Projekt und zur Epigenetik.
Mukherjee erzählt wie ein Romanautor
Wie schon in seinem ersten Buch "Der König aller Krankheiten" gelingt es Siddhartha Mukherjee, abstrakte Zusammenhänge anschaulich zu präsentieren und zu einer unterhaltsamen Erzählung zusammenzufügen. Statt unnötige wissenschaftliche Details aneinander zu reihen, erzählt er die Geschichten seiner Protagonisten: ihre Fragen, Ideen und Selbstzweifel.
Wie ein Romanautor versetzt er sich in die Gedankenwelt der Menschen, über die er schreibt. Er zitiert Shakespeare, viele Wissenschaftler und Philosophen, aber auch Patienten, seinen Vater, einen Gärtner und einen Samba-Lehrer.
So entstehen fantasievolle Geschichten aus dem Leben, die zum Nachdenken anregen. Sowohl Einsteiger als auch Fachleute erhalten einen neuen Blick auf die Genetik, ohne unbegründeten Enthusiasmus, aber nicht ohne Hoffnung.