Smarte Glühbirnen & Co.

Das Internet der Dinge löst Probleme, die es nie gab

Querschnitt eines elektronischen Hauses: Immer mehr Objekte werden auch für Anwendungen im Alltag miteinander vernetzt.
Querschnitt eines elektronischen Hauses: Immer mehr Objekte werden auch für Anwendungen im Alltag miteinander vernetzt. © imago / Ikon Images
Von Stefan Ullrich |
Kühlschrank, Garagentor, Etagenheizung und Mikrowelle – alles sollen wir per Smartphone steuern, außerdem sollen die Geräte miteinander kommunizieren. Der Informatiker Stefan Ullrich bezweifelt den Nutzen und befürchtet massive Probleme durch das „Internet der Dinge“.
Sie wollen das Licht einschalten? Kein Problem. Sie nehmen Ihr Smartphone aus der Hosentasche, geben das Passwort für den Sperrbildschirm auf dem hoffentlich aufgeladenen Telefon ein, wählen die korrekte App und Drücken oder Wischen dann über den Bildschirm. Dann wird ein entsprechender Befehl direkt oder indirekt an die smarte Glühbirne geschickt, die sich daraufhin – schwupp – einschaltet. So einfach ist das im Zeitalter des "Internet der Dinge". Früher hätten Sie auf den Lichtschalter drücken müssen.
Dieses "Internet der Dinge" haben sich nicht etwa Informatikerinnen und Informatiker ausgedacht, der Begriff stammt aus dem Marketing. Von dort kommen auch all die anderen Geschichten, was noch alles – schwupp – möglich sein soll: Ofen aus, Kühlschrank an, Jalousien halb geschlossen. In Wahrheit geht es beim "Internet der Dinge" aber nicht um "Dinge im Internet", sondern um einen riesigen neuen Markt mit neuen Produkten und einer neuen Währung. Die Schwergewichte aus dem Silicon Valley lassen sich ihre Produkte vor allem mit Daten bezahlen, wenn wir von den überteuerten Adapterkabeln einmal absehen.

Schadsoftware hangelt sich von Glühbirne zu Glühbirne

Nun fällt beim Drücken eines Lichtschalters kein Datum an, ebenso wenig bei einem beliebigen anderen Haushaltsgerät und auch nicht beim Betrachten einer Litfaßsäule. Das "Internet der Dinge" verspricht nicht weniger, als endlich das gesamte Leben in Daten zu fassen.
Und um wirklich überall Daten generieren zu können, hat das "Internet der Dinge" das Prinzip des Internets auf den Kopf gestellt. Das Internet sollte ein freies Netzwerk sein, dezentral und jedem Menschen offenstehen. Das "Internet der Dinge" hingegen verstärkt den Trend, die Nutzerinnen und Nutzer in einen "Walled Garden" zu stecken. "Ummauerter Garten": So wird dieses Paradies der neuen Bequemlichkeit genannt. Und dieser Garten ist bestens abgesichert, zumindest gegen Ihren Ausbruchsversuch. Wehe, Sie wollen die smarte Glühbirne eines anderen Herstellers in die Fassung drehen: Sie wird schlicht den Dienst verweigern.
Gegen Einbrüche von außen dagegen sind viele der kleinen Geräte nur ungenügend geschützt. Sie können ohne großen Aufwand infiziert und ferngesteuert werden. Ein einzelnes Schadprogramm kann sich von Glühbirne zu Glühbirne hangeln und Millionen (angeblich smarter) Geräte zu einem Botnetz zusammenschalten. Das dann konzertiert zuschlägt.

Die Besitzer merken nicht, was die Glühbirne im Dunkeln treibt

Das ist keine bloß theoretische Gefahr. Im letzten Jahr gab es mehrfach massive Internetstörungen, weil eine Million Glühbirnen, Festplattenrekorder und Überwachungskameras gleichzeitig über eine Billion Nullen und Einsen an die Server wichtiger Infrastrukturfirmen schickten – pro Sekunde! Die brachen daraufhin unter der Last zusammen.
Doch die Hersteller und Käufer von smarten Glühbirnen zucken mit den Achseln. Niemanden interessiert’s. Warum auch? Der massive Schaden, den ein Botnetz aus ständig mit dem Internet verbundenen Dingen verursachen kann, trifft ja nicht die Besitzer der smarten Geräte selbst. Sie können ihre Glühbirne weiter per Smartphone ein- und ausschalten – und merken gar nicht, was die Birne im Dunkeln treibt.
Als Informatiker finde ich die technischen Lösungen rund um das "Internet der Dinge" äußerst spannend. Seit ihrem Bestehen beschäftigt sich die Informatik mit Netzwerktechniken und traf immer wieder auf Probleme, die gelöst wurden. Nun ist es freilich umgekehrt: Das "Internet der Dinge" ist eine Lösung, die sich die Probleme erst schafft.

Stefan Ullrich versteht sich als kritischer Diplom-Informatiker. Er ist Sprecher der Fachgruppe "Informatik und Ethik" der Gesellschaft für Informatik und forscht als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Interdisziplinären Labor "Bild Wissen Gestaltung" der Humboldt-Universität zu Berlin.

Stefan Ullrich
© Deutschlandradio / Cara Wuchold
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