"Ich bin ein Projekt"
Die Soziologin Frigga Haug wird von manchen als "Grande Dame der Linken" gesehen, die fast 80-jährige Marxistin und Feministin ist weiterhin engagiert. Ein Gespräch über nationalsozialistische Eltern, Frauenkrimis und das Leben als Projekt.
Manchen gilt die Soziologin Frigga Haug als "Grande Dame der Linken", aber diesen Titel hört sie gar nicht gern, weil er für sie etwas Abgehobenes beinhaltet. So will die Feministin und Marxistin, die in diesem Jahr 80 wird, auf keinen Fall gesehen werden. Denn sie mischt sich immer noch aktiv ein…
Der Drang nach Selbstbestimmung und Emanzipation zieht sich durch ihre wechselhafte Biographie: 1937 geboren im Ruhrgebiet, der Vater fällt als Soldat in Stalingrad, die Mutter muss die vier Kinder allein durchbringen. Mit ihrem Vornamen Frigga, angelehnt an die germanische Göttin, hadert sie lang, deutet er doch auf die nationalsozialistische Vergangenheit der Familie. Umso klarer ist ihre Abgrenzung, als sie Ende der 50er Jahre zum Studium nach West-Berlin geht:
"Indem ich gar nicht wusste, wer ich bin, dachte ich: Ich bin ein Projekt, ich kann alles und alles werden – und ging nach Berlin. Und es war die Freiheit, das war nicht mehr das Dorf und nicht mehr zu Hause; man musste nicht essen, man konnte die Nächte durchmachen, man konnte so viel lesen wie man wollte und zu jederzeit die verrücktesten Dinge tun: in Schwulenbars gehen – das habe ich auch gemacht. In der Krummen Lanke nachts nackt baden mit anderen, dort sitzen und Stunden und Stunden diskutieren über solche Themen wie platonische Liebe oder so. Das war das Leben schlechterdings und wo das Leben schlechterdings ist, ist man sofort natürlich dabei, in Opposition zu gehen; man muss etwas verändern. Alles, was man ergreift, muss man verändern. Also war die gesamte Universität für mich ein Feld, wo wir jetzt eingreifen und verändern; zum Beispiel wurde ich sofort ins Studentenparlament gewählt."
Geschockt von den Erzählungen der Frauen
Die Soziologiestudentin engagiert sich im 1968 gegründeten Aktionsrat zur Befreiung der Frauen und ist geschockt über die Erzählungen der Frauen, die von Gewalterfahrungen in ihren Beziehungen und von ihrer Verzweiflung berichten. Schnell merkt sie aber auch: Dies betrifft auch ihre eigene studentische Umgebung: Sie alle sind "Kinder der Verhältnisse" - und sie entwickelt die "Opfer-Täter-These":
"Opfer-Täter hieß: Wir werden nicht von Männern oder den Verhältnissen unterdrückt, sondern wir produzieren unsere Unterdrückung selber oder wir stimmen ihr zu. Das schwankt hier noch. Diese Opfer-Täter-These wurde sofort in elf Sprachen übersetzt, ging durch alle Länder und war wie ein Blitz, weil sie das Forschungsfeld für alle so enorm weit öffnete und die politische Handlungsmöglichkeit. Denn wenn wir es selber machen können, können wir es ändern. Es ist nur ein Problem wenn andere das tun. Insofern geriet es in das Zentrum der begeisterten Zustimmung und der totalen Ablehnung. Das war der Grund, dass ich aus den Reihen der Organisation der Arbeiterbewegung – von der DKP bis hin zu den Gewerkschaften – herausflog."
Die Verknüpfung von Feminismus und Marxismus bleibt dennoch ihr Lebensthema auch als Professorin. Gemeinsam mit ihrem Mann Wolfgang Fritz Haug gründet sie zudem den Argument-Verlag sowie die Berliner Volksuni, sie geben das "Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus" heraus. Und weil Frigga Haug auch mit fast 80 Jahren ihr Leben nach wie vor als Projekt sieht, ist sie immer noch aktiv – als Mitglied der Partei "Die Linke".