Später Erfolg eines Autodidakten

Von Christian Berndt · 06.02.2007
Als sein Debüt-Roman mit dem skurrilen Titel "In Plüschgewittern" 2002 herauskam, gab es begeisterte Kritiken. Aber richtig beachtet wurde der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf erst, als er 2004 mit einer ungewöhnlichen Erzählung den Publikumspreis des Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preislesens gewann. Die Geschichte um die Begegnung eines frustrierten 30-Jährigen mit einem vorlauten 13-Jährigen traf einen Nerv und zeigte, wie präzise der Autor beobachtet. Außerdem schreibt Herrndorf, der seine Laufbahn ursprünglich als Maler begann, für das mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Weblog "Riesenmaschine". Heute erscheint im Eichborn-Verlag Herrndorfs Erzählungsband "Diesseits des Van-Allen-Gürtels". Christian Berndt über den Schriftsteller, der viel lieber Fußball spielt als schreibt.
"Also wenn ich könnte, würde ich den Rest meines Lebens nur Fußball spielen. Es ist wie alle rein physischen Betätigungen, es macht mich auf unkomplizierte Weise glücklich."

Eine Eckkneipe im Berliner Wedding. Wolfgang Herrndorf kommt gerade vom Fußballspielen. Jetzt sitzt er hier mit seinen Freunden. Autoren und Journalisten, man plaudert über Kultur im weitesten Sinne.

""Aber die Witwe ist doch wirklich der Standardskandal der Literatur. Neben der Darstellung der Realität ist die Witwe der Standardskandal."

Herrndorf und seine Freunde schreiben unter anderem für Internet-Netzwerke wie "Die höflichen Paparazzi" oder die "Zentrale Intelligenz Agentur": Ein Gemeinschaftsunternehmen, dessen feuilletonistischer Weblog "Riesenmaschine" im vergangenen Jahr mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Es sind Leute, für die Begriffe wie "digitale Boheme" erfunden wurden, eine junge Avantgarde urbaner Kultur.

""Das sind keine Schriftsteller. Das sind alles Versager, die ihr Scheitern damit bemänteln, dass sie 8 Stunden am Tag im Internet hocken. Aber wenn man sie persönlich kennt, sind sie alle sehr nett."

So klingt es, wenn Wolfgang Herrndorf über sich, seine Arbeit und seine Freunde spricht. Der 41-jährige gebürtige Hamburger stapelt gerne tief. Bescheiden gibt er sich. Mit der schlanken Figur und den rasierten Haaren hat er etwas asketisch Sanftes, ist gesellig und freundlich, aber auch spitz. Und genauso wenig schmeichelhaft und doch auch fast zärtlich blickt er auf die Figuren in seinen Geschichten. Lakonisch und psychologisch präzise schreibt Herrndorf über Menschen, die sich unbehaglich und fremd in ihrer Welt fühlen.

Um einen solch einsamen Helden geht es in der Titelgeschichte des Erzählungsbandes "Diesseits des Van-Allen Gürtels". Heute erscheint das Buch im Eichborn-Verlag. Ein melancholischer 30-Jähriger trifft auf einen aufgeweckten 13-Jährigen. Der Junge erzählt schockiert über den so genannten Kannibalen von Rothenburg, von dem er im Fernsehen gehört hat. Mit dieser Geschichte ist Herrndorf 2004 beim Ingeborg-Bachmann-Preislesen in Klagenfurt angetreten.

Ich kann mir das nicht vorstellen.
Was genau?
Wie das abläuft. Ich meine, das hat ja Tage gedauert, die müssen sich ja unterhalten haben, als sie schon wussten, was sie gleich machen: 'Kannst Du schon mal den Tisch decken, bitte?' Oder? Das ist doch krank.
Ich nickte: 'Aber wenn beide einverstanden sind, wo ist das Problem? Ich meine, was gibt es Schöneres, als wenn zwei Menschen genau das machen, was beide sich wünschen.'
Aber wenn der eine... Ne!."


Die Geschichte - jetzt im Erzählungsband veröffentlicht - war der Überraschungserfolg in Klagenfurt und erhielt den Publikumspreis. Präzise und knisternd beschreibt Herrndorf hier, wie der zynische 30-Jährige den Jungen einerseits mit kruden Verschwörungstheorien aller Illusionen beraubt, andererseits aber auch eine Art inniger Nähe entsteht.

"Ich hatte ja keine Ahnung, wie man Kurzgeschichten schreibt. Meine Vorstellung war dann meistens, zwei oder mehr Figuren in einen engen Raum oder in eine enge Situation zu sperren und gucken, was passiert. Und die gehen dann meistens eher ruppig miteinander um. Ich finde es immer interessant, wenn Leute grausam werden, ich finde Grausamkeit und Gewalt in der Fiktion herrlich, in der Realität unerträglich."

Es ist diese Ambivalenz von zynischer Kälte und Sehnsucht nach Nähe, die Herrndorfs Figuren so fesselnd macht. Das ist schon spürbar in seinem ersten Roman "In Plüschgewittern" von 2002. Ein junger Mann gerät nach Berlin und verliert sich immer hoffnungsloser im Großstadtgewirr. Ein Buch, das trotz ironischen Witzes von einem melancholischen Grundton getragen ist - eher verzweifelt als lustig. Der hochgelobte Roman ist ein spätes Debüt des Autodidakten, der erst nach und nach zum Schreiben kommt.

""Ich komme aus einem sehr kleinbürgerlichen Haushalt, wo es Kultur im normalen Feuilletonsinne nicht gab. Es wurde zwar gelesen, aber Literatur, genauso wie überhaupt ein Museum oder so etwas, das habe ich erst entdeckt, als ich volljährig war, vorher ist mir das verschlossen geblieben. Und ich habe mich dann mit einer gewissen Begeisterung darauf gestürzt und viel gelesen, und ich glaube, wenn man viel liest, kommt man automatisch dazu, dass man den Gedanken hat, das selber versuchen zu wollen."

Zuerst aber studiert Herrndorf Malerei in Nürnberg, arbeitet nach dem Studium als Illustrator und zeichnet für das Satiremagazin "Titanic". Zur Veröffentlichung seines ersten Romans kommt Herrndorf eher zufällig durch seine Illustrationsarbeit beim Haffmans-Verlag. Und er bleibt beim Schreiben.

So wie der Minimalist Herrndorf schreibt - knapp und pointiert - so lebt er auch, in einer kleinen Ein-Zimmerwohnung in Berlin-Mitte. Er braucht nicht viel, sagt Herrndorf, er geht viel ins Kino und liebt Fußball. Im Gegensatz zum Schreiben, wozu sich Herrndorf manchmal disziplinieren muss, braucht er sich zum Fußball nie zu zwingen.

"Schreiben ist auch sehr schön, aber es erfordert mehr Anstrengung, um glücklich zu sein. Allein, ich habe nichts anderes gelernt, ich muss, mehr oder weniger, bei dieser Sache bleiben."