Demokratie verteidigen

Der Bewegung gegen rechts entgleist die Sprache

04:24 Minuten
Demonstrierende in Berlin halten ein großes Transparent mit der Aufschrift "Wir sind die Brandmauer".
Demonstrierende in Berlin bezeichnen sich als eine "Brandmauer" gegen die AfD, von der auch die CDU redet. Steffen Greiner rät davon ab, dieses Wort zu propagieren. © picture alliance / ABB
Ein Einwurf von Steffen Greiner · 26.06.2024
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Wie können Rechtspopulismus und Rechtsextremismus eingedämmt werden? Der Autor Steffen Greiner wundert sich über das militärisch anmutende Vokabular dieser Debatte. Er fragt, ob eine solche Sprache der Sache der Demokraten wirklich dienlich ist.
Die Brandmauer, der Dammbruch, und jetzt auch noch in Frankreich die Neue Volksfront: Rechtspopulismus gewinnt überall an Zustimmung, und Politik und Zivilgesellschaft fallen nicht nur keine wirksamen Gegenmittel ein – es gibt nicht einmal eine Sprache, die diese Entwicklung und den demokratischen Widerstand dagegen präzise beschreibt.
Da ist zum Beispiel immer wieder vom Rechtsruck und dem Entzaubern die Rede. Beim Begriff Rechtsruck etwa muss man sich schon fragen, ob man wirklich von einem "Ruck" sprechen kann, wenn Studien schon seit Jahren zeigen, dass zwischen 20 und 30 Prozent der Bevölkerung rechtsautoritären, populistischen oder verschwörungstheoretischen Positionen anhängen. Ist das dann nicht eher eine feste Basis des Faschismus in einer Gesellschaft mit kollektiver Nazi-Vergangenheit? Oder, ob Magie die richtige Metapher ist, wenn eine Partei in so einem Umfeld mit völkisch-autoritären Positionen punkten kann – die AfD beweist ja täglich, dass es dazu kein übernatürliches Talent braucht, im Gegenteil.

Der Metaphernschatz des Faschismus

Aber das größte Problem mit diesen Begrifflichkeiten liegt woanders: Noch immer ist unsere Sprache gegen rechts von Bildern durchzogen, die aus dem rechten, dem faschistischen Metaphernschatz kommen. Noch immer sind Antifaschisten zwangsläufig aufrecht und die Mauer gegen das unkontrollierbare, ganz Andere, das da heranlodert, hoch und fest. Volksfront, Brandmauer, Dammbruch - welche Welt beschreiben solche Metaphern?
Der Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit untersuchte schon vor gut 50 Jahren die Sprache faschistischer Männer, um den Faschismus zu verstehen: Tagebücher aus den Reihen der Freikorps, Romane von der Front, Briefe aus den Kolonien. Als zentrale Begriffsfelder macht er dabei Ströme, Fluten, Wellen und Schlamm aus, die die Faschisten bekämpfen wollen, und eben die in ihren Augen positiven Gegenbilder: das aufrechte Stillstehen, das Festwerden, das Über-das-Flammenmeer-Ragen. Klare Grenzen, die gezogen werden müssen, um das Vermischen, das Auflösen zu verhindern.
Er redet von Männern, die sich einpanzern, die das Andere, seien es Linke, Juden, Schwarze oder Frauen, radikal ausschließen müssen, um sich selbst als Helden ihres eigenen Lebens erzählen zu können. „Es steht ein Mann, so fest wie eine Eiche‟, heißt es zum Beispiel im Lied „Auf, auf zum Kampf‟, das vom Soldatenlied im Ersten Weltkrieg nach dem Mord an Rosa Luxemburg zum Arbeiterlied wurde, 1930 dann zum SA-Lied und 1977 zum Hannes-Wader-Song – ohne dass diese Zeile in einer dieser Versionen verändert werden musste, egal, ob er im Text dann Freiheitskämpfer oder Hitlermann ist. Auch der Dammbruch und die Angst davor findet sich immer wieder in Theweleits Studie "Männerphantasien".

Den Faschismus unterspülen!

Natürlich ist es ganz klar notwendig, klare Grenzen gegen Nazis zu ziehen. Aber wenn wir einmal davon ausgehen, dass Sprache wirklich Wirklichkeit schafft, dann müssen wir neue Begriffe finden, wenn dieser Kampf nachhaltig sein soll. Denn wenn wir Demokraten uns dem Rechtsextremismus mit einer immer wieder militärisch anmutenden, faschistisch-harten Sprache entgegenstellen, tragen auch wir ungewollt dazu bei, den Geist, der hinter dieser Sprache steht, am Leben zu erhalten.
Statt selbst zum Damm zu werden, sollten wir den festen Faschismus besser unterspülen. Unterlaufen, Verschwimmen, Verschmelzen, Wegducken. Fluidität und radikale Weichheit wären sprachliche Ausgangspunkte für eine Praxis, die tatsächlich den faschistischen Alptraum eines vermatschten Deutschlands wahr werden lässt – und die Trockenlegungs-Fantasien der rechten Parteien verhindern könnte. Deutschland, aber versuppt: Am Ende aller Volksfronten und Aufstände der Anständigen könnten solche neuen Narrative eine unerwartete Chance für die Demokratie sein.

Steffen Greiner ist Autor, Dozent und Journalist. Er war Chefredakteur der Zeitschrift zur Gegenwartskultur „Die Epilog“ und Co-Autor des erzählenden Brief-Sachbuchs „Liebe, Körper, Wut & Nazis“ (Tropen 2020). Im Februar 2022 erschien seine Erkundung zur Geschichte der spirituellen Querfront in Deutschland zwischen Lebensreform, Weimar und Corona „Die Diktatur der Wahrheit. Eine Zeitreise zu den ersten Querdenkern“, ebenfalls bei Tropen.

Portrait des Kulturwissenschaftlers Steffen Greiner
© Julia Grüßing
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